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Odyssee – ein Hin und Her im Landestheater

Ein nicht so kühler Herbsttag in der Hauptstadt der Alpen. Das Landestheater ragt hoch über die Berge und dabei erinnert es mit imposanten massiven Gestein an die Bauten der alten Griechen. Schon länger als 3000 Jahre versammeln wir Menschen uns, um in solchen Räumlichkeiten den Göttinnen und Göttern  zu huldigen. Dieses Mal, am 28.10.2023, ist es die österreichische Erstaufführung von Roland Schimmelpfennigs “Odyssee”. Bettina Bruinier, die neue Co-Direktorin Schauspiel des Landestheater Innsbruck beginnt mit diesem Stück ihre Regiereise. 

Nach kurzem Blick- und Wortwechsel läuten auch schon die Glocken und die Gäste marschieren auf ihre zugewiesenen Plätze. Das Theater füllt sich gut, aber einige Plätze bleiben wohl den griechischen Geistern überlassen.
Unmittelbar will das Stück auffallen: Nebelwolken im Raum und riesige Gestalten an die Rückwand projiziert. Mitten auf der Bühne, in blaue Plastikmäntel gehüllt, stehen eine Reihe von Figuren. → Das Stück handelt Großteils von Odysseus’ Irrfahrten über die Meere, das Plastik soll sogleich die erste Verknüpfung zur Aktualität dieser Neuinterpretation bringen. Im Laufe des Stücks werden einige solcher Verknüpfungen zu aktuellen Problemen und Debatten sichtbar gemacht, manchmal regelrecht auf die Zuschauer*innen geworfen: Krieg, Entfremdung, Heimat, Migration, Gleichberechtigung, toxische Maskulinität, Fake News, Verführbarkeit und Treue…

(c) Birgit Gufler

Während Odysseus unschlüssig umherreist, wartet Penelope, seine Ehefrau, nach über 10 Jahren weiterhin auf die Rückkehr des starken Soldaten. “Sie wartet auf seinen Anruf.” Die Figuren auf der Bühne (gespielt von Daniela Bjelobradic, Marie-Therese Futterknecht, Christoph Kail, Patrick Ljuboja, Kristoffer Nowak, Marion Reiser, Philipp Rudig) haben keine zugewiesene Rollen. Jede*r spielt jede*n, in Alltagssprache und Alltagsgewand (Kostüme: Justina Klimczyk). Bis auf ein extravagantes pinkes Kostüm herrscht der Dresscode „Casual“. Das bringt wieder die Aktualität des Stücks im Sinne Roland Schimmelpfennigs auf die Bühne, allerdings verliert sich dadurch das Potenzial einer 3000 Jahre tradierten Geschichte: Eine blaue Jogginghose vollbringt auch bei den jungen Leuten einen Überraschungseffekt, aber darüber hinaus nur ein Stechen im Auge. Moderne Sneaker mit blauem T-Shirt an einem Mann mit dem Körper eines Apollon verursachen in manchen von uns, neben dem leichten Erröten, eine gewisse Enttäuschung, weil wir solchen Apollons auch auf der Straße begegnen könnten.
Bewundernswert bleibt über den Schockmoment hinaus die Göttin der Morgenröte, Eos (gespielt von Daniela Bjelobradic), in ihrem massiven, pinken Kostüm.

Die zuvor noch von den Scheinwerfern und der tanzenden Morgenröte erleuchtete Bühne, wird in ein dämmriges kühles Licht getaucht. Chorstimmen von allen Seiten erheben sich, Nebel beginnt sich von der Bühne auszubreiten. Die Seefahrer wenden sich wie unter Hypnose immer weiter zum Rand der Tribüne, bis der Gesang der Sirenen sie mehr und mehr einnimmt und sie von der Bühne durch das Publikum irren. (Dramaturgie: Uschi Oberleiter & Elisabeth Schack)

Trotz der Einfachheit des Bühnenbildes birgt es eine passende Intensität: Breite Holzbalken und Gestelle dienen als Schiffe, Burgen und Unterwelten. Dazwischen fährt immer wieder inmitten der Bühne ein froschgrüner Kleinwagen seine Runden. Eindrucksvolle Szenen werden auf den Hintergrund projiziert und nicht zuletzt erzeugt wabernder, auf das Publikum zukommender Nebel eine schummrige Atmosphäre, die unter die Haut fährt.  Aber auch andere Requisiten finden ihren Platz, so zum Beispiel eine Reihe an Fernsehern, mit Ausschnitten aus Nachrichtensendern, die als „Lügner“ angeschrien werden. Zu guter Letzt kommt ein Aquarium zum Einsatz – natürlich mit kleinem, froschgrünem Miniaturwagen. Wie könnte man diesen vergessen (Bühne und Video: Ayse Gülsum Özel).

(c) Birgit Gufler

Beim Setzen der Stimmung unterstützten auch die besonderen, musikalischen Kompositionen (Komposition & Sounddesign: Kenneth Winkler) und ein eigens für das Stück zusammengestellter Bürger*innenchor (Jolanda Dietl, Sara Khorsand, Maryna Kryvinchuk, Samuel Labrecque, Christoph Pfeifer, Nando Reisinger, Victoria Schiffer, Romina Schmidlechner, Gracija Tomic, Nehir Topcu).
Dieser, zu Beginn des Stücks mit goldenen Masken verzierte, „Chor der Reisenden“ erinnert an die ursprünglich gesanglich tradierte griechische Tragödie (Musikalische Leitung und Chorarrangement: Maria Craffonara).

Die neuen Oberleute des Landestheaters Innsbruck strecken also ihre Fühler aus und versuchen mit Comedy, Überraschung und Gesellschaftspolitik ein jüngeres Publikum zu erreichen. Wie uns eine überaus freundliche Türsteherin mitteilen konnte, waren die Reaktionen grob wie folgt: Die älteren Generationen waren teilweise entsetzt, teilweise belustigt. Die jüngeren Generationen (übrigens weiterhin eine Rarität) fanden es interessant, aber etwas träge.

Wir als junges Publikum (dabei nehmen wir uns das Recht für die jüngere Generation zu sprechen) wollen im Theater zu neuen Emotionen bewegt werden, kreative künstlerische Expressionen bestaunen und vielleicht nur nebenbei in unseren Meinungen bestätigt werden. Also brecht alle Normen und Regeln, wenn ihr müsst, aber vergesst dabei eins nicht: Ihr müsst uns zeigen, was wir sehen wollen, nicht andersrum! (Autor*innen: Marie Hallberg und David Peric)

Die nächsten Vorstellungen des Stücks „Odyssee“ von Roland Schimmelpfennig sind: FR 10. / MI 15. / FR 17. / DO 30. November 2023 im Tiroler Landestheater

Bilder: Birgit Gufler

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