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Innsbruck in Regenbogenfarben

Am 29.07. fand in Innsbruck der von Pride Tirol organisierte Christopher Street Day statt. Trotz Regenphasen kamen etwa 4500 Menschen zusammen, um für die LGBTQ+ Gemeinschaft zu demonstrieren und ihre Existenz zu feiern.

Ich schwimme in einem Meer aus Regenbögen. Zumindest fühlt es sich so an, wenn ich mich auf die Zehenspitzen stelle und den Kopf drehe – zu allen Seiten erstreckt sich ein Zug aus farbenfrohen Outfits und Haaren, geschminkten Gesichtern und Flaggen. Dann eine Berührung an meinem Ellenbogen: Eine der Freund*innen, mit der ich hier bin, weist mich darauf hin, dass ich gerade grandios den Weg versperre.

Die Parade selbst zieht bereits seit einer halben Stunde durch Innsbruck. Der erstmals von dem neu gegründeten Verein Pride Tirol veranstaltete Innsbrucker CSD begann am Parkplatz der Olympiaworld mit Musik- und Redebeiträgen. Davon habe ich leider die meisten verpasst, während ich mit meinen Freund*innen durch die Stände am hinteren Ende des Platzes geschlendert bin und mir Sticker, temporäre Tattoos mit Pride-Motiven und interessanten Input von verschiedenen queeren und queer-unterstützenden Organisationen holte. Neben mehreren politischen Parteien sind z.B. das QueeresChaosKollektiv und die Courage* Beratungsstelle vertreten. Eine Person aus meinem Freundeskreis unterhielt sich länger mit der Gruppe Venib, die sich mit der Genderklage für einen nicht binären Geschlechtseintrags einsetzt. Um 15 Uhr startete dann die Demonstration: Angeführt von einem Lastwagen und begleitet von Musik, Seifenblasen und Glitzer setzen sich die etwa 4500 Menschen in Bewegung.

Der Ursprung des CSD und der gesamten Pride-Bewegung liegt in den Stonewall-Aufständen in New York von 1969, bei denen gegen staatliche und gesellschaftliche Gewalt gegen queere Menschen protestiert wurde. Die inzwischen in vielen Städten jährlich stattfindenden Demonstrationen wurden nach der Christopher Street benannt, auf der sie ihren Anfang nahmen. 50 Jahre und einige Antidiskriminierungsgesetze später hat sich die Situation zwar verbessert, dennoch ist der Kampf für queere Rechte sowohl im österreichischen und europäischen als auch im globalen Kontext weiterhin notwendig: Rund um die Welt gibt queerfeindliche Politik Anlass zur Besorgnis und auch in Österreich nahmen die polizeilich festgehaltenen „Hate Crimes“, darunter auch gegen queere Menschen gerichtete Angriffe, im Zeitraum der bisherigen Aufzeichnungen zu. Gesondert dokumentiert werden diese erst seit 2020. Dazu fügen sich eine unbekannte Dunkelziffer sowie alltägliche Hürden und Diskriminierung, seien es homophobe Kommentare oder der mit vielen Anforderungen verbundene Prozess zur Änderung des Geschlechtseintrags. Das macht es umso wichtiger, ein Zeichen für die Unterstützung der LGBTQ+ Gemeinschaft zu setzen, und das Bewusstsein, wie viele Menschen in Innsbruck dafür einstehen, für mich umso bedeutender.

Auf der Demonstration bekomme ich Glitzer auf die Wangen gestäubt, als eine Person in unserer Nähe eine Packung aus ihrer Tote-Bag kramt und allen herum anbietet. Eine meiner Freund*innen bemerkt begeistert, wie beiläufig sich Menschen hier in den außergewöhnlichsten oder alltäglichsten Outfits bewegen: niemandem werden schräge Blicke zugeworfen, niemand zupft nervös an der eignen Kleidung herum. Gleichzeitig erinnern wir uns aber auch an den Hinweis zu Beginn der Demonstration, dass man sich bei Ärger von außen an die Ordnungskräfte wenden solle.
Ärger von außen gibt es zum Glück, zumindest soweit ich mitbekomme, keinen. Wir sind allerdings recht weit im Demonstrationszug zurückgefallen, den Lastwagen sehen wir höchstens noch, wenn er um eine Kurve biegt, dafür fährt ein Lastenfahrrad mit Diskokugel und Musik in unserer Nähe. Kurz nachdem wir an der Triumphpforte links Richtung Wiltener Platz abgebogen sind, setzt der vom Wetterbericht angekündigte Regen ein – zunächst nur ein leichtes Nieseln, das stärker wird, als wir die Sill überqueren und den Bogen zurück zur Olympiaworld schlagen. Ich versuche mir aus meiner Flagge ein behelfsmäßiges Regencape zu basteln, das allerdings nicht viel bringt. Der Himmel klart auf, kurz nachdem wir an der Olympiaworld angekommen sind, dafür sind meine Haare klatschnass.

Nach einer letzten Kundgebung, die durch einen Stromausfall an der Hauptbühne kürzer dauert als geplant, wird die Demonstration beendet und die Party soll beginnen. Es wird improvisiert, für kurze Zeit beschallt der Lastwagen die Anwesenden noch einmal mit Techno, dann verstummt die Musik für eine Weile. Trotzdem nimmt die Stimmung nicht ab und ich bekomme die Gelegenheit, mich bei geringerer Geräuschkulisse mit meinen Freund*innen zu unterhalten. Zwei Personen aus meiner Gruppe sprechen an, dass die Toiletten der Olympiaworld geschlechtergetrennt sind, aber aktiv dagegen vorgegangen wird, indem einfach jede*r unabhängig vom gelesenen Geschlecht auf die nächste freie Toilette geht. Die Ressourcen sind nicht perfekt, aber es wird das Beste daraus gemacht.
Als die Lautsprecher wieder funktionieren und meine Haare halbwegs trocken sind, beginnen die Auftritte von Drag Queens und Tanzgruppen. Auch meine Gruppe begibt sich auf die Tanzfläche. Es regnet Konfetti (zwei Teilchen werde ich noch am nächsten Tag aus meinem Pulli fischen) und das Durcheinander wird einmal unterbrochen mit dem Aufruf, „Innsbrucks längste Polonaise“ zu bilden. Ob es wirklich die längste war, kann ich kaum beurteilen – Spaß gemacht hat’s auf jeden Fall.

Offiziell geht die Veranstaltung bis 23 Uhr, mit Afterpartys in verschiedenen Innsbrucker Clubs, aber meine Freund*innen und ich brechen bereits um kurz nach 10 nach Hause auf. Während ich mein Fahrrad die Rampe am hinteren Ende des Parkplatzes hinaufschiebe, werfe ich einen letzten Blick auf die in bunten Lichtern erstrahlende Bühne und die Abschiedsrede, die von dort gehalten wird. Wir alle sind Pride, heißt es in dieser Rede, und ich stimme stumm zu. Wir sind die, die mit Regenbogenfarben die Nacht erhellen – nicht nur heute, sondern jeden Tag, das ganze Jahr.

Foto: Jana Merrifield

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