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Aural Visions II – Zwischen Hexenwahn und sozialen Ängsten

CW: Angst, Angstattacken, Panik, Panikattacken

Das Gewinnerprojekt des Leokino-Ideenwettbewerbs, Aural Visions II – Alpine Black Magic by Quintessenz fand am 24.09.2022 statt. Zuerst wurde der Film Hagazussa, der vom Hexenwahn der Vergangenheit in einer abgeschiedenen Bergwelt handelt, im Cinematograph gezeigt. Später fand ein Konzert von Staad und Häxenzijrkell im p.m.k statt. Nicht nur etwas verstörende Einblicke ergaben sich an diesem Abend, sondern auch eine halbe Panikattacke als Resultat sozialer Ängste.

In weiser Voraussicht ziehe ich mir ein komplett schwarzes Outfit an. Damit liege ich nicht weit entfernt von meiner sonstigen Garderobe. Viel zu wenig Zeit habe ich mir eingeplant, um mich fertig zu machen, viel zu wenig Zeit, um noch einmal vorab in die Musik des heutigen Abends eintauchen zu können. Ich lasse meine Hündin für einige Stunden allein zuhause, sie wird schlafen, wenn ich nachts zurückkomme. Mit zwei verbleibenden Minuten auf der Uhr laufe ich zum Bus, erwische ihn. Die erste Hürde ist geschafft.

Ich gehe allein durch die Türen des Cinematographs. Am Ende des Ganges sehe ich bereits Personengruppen herumstehen, rauchend unterhalten sie sich über den heutigen Abend oder den letzten, so genau höre ich ihnen nicht zu, mein Herz schlägt viel zu laut, als dass ich ihre Worte wirklich verstehen könnte. Ich betrete das Kino und hole mir meine Karte am Einlass ab. „Valentina von Die Zeitlos“, sage ich und bekomme mit einem Lächeln und einem freundlichen „Hallo“ einen Stempel auf meinen linken Unterarm gedrückt. Mit einem Getränk verdrücke ich mich in eine Ecke des Raums, sehe mich um. Hier lächelt mich eine Person an, da studiert jemand mein Outfit. Ich atme durch, versuche die Luft tief in meinen Bauch fließen zu lassen. „Niemand stört sich daran, dass du allein hier bist, das ist doch kein Problem!“. Für mich aber leider schon.

Sobald es möglich ist sich Plätze im Kinosaal zu suchen tue ich genau das. Im Cinematograph gibt es links zwei schräge Reihen mit ganz wenigen Sitzen, diese steuere ich an. „Nicht zu viele Personen um mich rum“, denke ich mir und setze mich. Wieder versuche ich tief einzuatmen, doch es fällt mir schwerer. Ich hebe den Blick und studiere den Raum, versuche jedes Detail zu erkennen und einzuordnen. Dort sitzt eine Gruppe Freund*innen, noch ganz vertieft in ein Gespräch über etwas, das ich wieder nicht hören kann. Ich lasse meinen Blick schweifen, über Personen mit dunklen Haaren und noch dunklerem Make-Up, Lederjacken und -boots, freundliche Gesichter, schöne Tattoos. Der Film beginnt.

Ich bin verwirrt. Soll es nicht um Hexen gehen? Ich starre auf den Bildschirm, die verschneite Landschaft, das Kind, welches auf der Rodel sitzt. Gleich zu Beginn werden wohl fast die meisten Worte des Film gesprochen. Die Mutter des Kindes verändert sich nach diesem gezeigten Tag, wird scheinbar krank. Das Kind versucht, sie zum Essen zu bringen, sorgt sich, holt den Pfarrer, während die Mutter nur Ächzen und Stöhnen von sich gibt. Komische Geräusche kommen aus ihrem Mund, ihr Kind, Albrun, wäscht sie. Es breiten sich Blasen und Beulen auf ihrer Haut aus, bis eines Tages, eine Moment im Film, der mich zusammenzucken lässt, lautes Poltern und Geschrei durch die kleine Hütte hallt. Das Bett der Mutter ist leer, die Türe steht offen. Später findet das Kind die tote Mutter in einem Moor wieder.

Als es erwachsen ist, sieht man es wieder auf dem vorher schwarz gewordenen Bildschirm. Die Soundeffekte, die sich vorab schrill zuspitzten, wichen der sanften Melodie des Bergidylls. Die nun erwachsene Albrun trägt selbst ein Kind in einem Tuch an ihren Oberkörper gebunden, verkauft Milch am Markt und wird als Hexe von anderen gemieden. Ich schmunzle in meinem Sitz am Rande des Kinos, abgegrenzt von allen anderen. Doch ich wollte es so, allein sitzen ist mir immer lieber. Von hier an wird der Film gefühlt nur lauter, schriller, dunkler und verdrehter. Ich sehe Furchteinflößendes. Gefundene Pilze versetzen Albrun in einen psychotischen Zustand. Wieso denke ich ständig an das Baby im Tuch? „Bring es doch nach Hause“, schreit alles in mir. Ich strecke meine Beine aus, vorsichtig, denn mein Kinositz knarrt und ich will nicht, dass jemand mich vorwurfsvoll ansieht, will niemanden stören.

Unterwasser. Ich sehe pulsierende Venen, Verbindungen, sind es Wurzeln oder Gefäße? Übelkeit stieg in mir hoch als die Frau das Tuch mit dem Kind in den Teich im Wald gleiten lässt. Nun sehe ich nur mehr unter Wasser, quasi nichts. Menschen, die mich kennen, wissen, dass Wasser, in dem man nicht nach unten sehen kann, mir Angst macht. Genau diese Angst, diese Frustration über die Bewegungen der Frau auf der Leinwand in dieser Wassermasse, machen mich rasend. Ich möchte aufstehen und gehen, der Situation den Rücken zudrehen. Doch ich bleibe, während der Film verstörender wird, dunkler, lauter, greller. Ich bleibe, während das Baby aus dem weißen, nun nassen und dreckigen Tuch ausgewickelt wird und die Frau, Albrun, entsetzt in dessen totes Gesicht starrt. Sie kocht einen Eintopf und isst dabei große Stücke Fleisch. Sie verlässt ihre Hütte und geht in Flammen auf. Verwirrend, aber eindeutig.


Die Veranstaltungsreihe “Aural Visions” lädt dazu ein, unterschiedliche Medien im Einklang miteinander zu erleben. Die Kombination atmosphärisch resonierender Inhalte soll eine Erfahrung schaffen, die über die Summe der einzelnen Teile hinauswächst.
Auf schmalem Grat zwischen Horror und Psychodrama erzählt Regisseur Lukas Feigelfeld in seinem Debütfilm “Hagazussa” vom Hexenwahn in der schroffen Bergwelt der Alpen im 15. Jahrhundert und dringt dabei tief in die Seele einer gepeinigten Frau vor. In vier Akten beleuchtet er das Leben von Albrun und ihre Existenz am Rande einer abergläubischen, ursprünglichen und gottesfürchtigen Gesellschaft.

Das Soloprojekt Staad kombiniert Synthesizer, Field Recordings, Aufnahmen alpenländischer Instrumente und Folklore zu einem düsteren Klangteppich und entführt mit einer audiovisuellen Show in die alpinen Bergregionen vergangener Tage. Staad hat ein brandneues Album im Gepäck und wird es im Rahmen von Aural Visions erstmals live präsentieren.
Häxenzijrkell aus Essen spielen rohen Black Metal, der in seinen ausladenden und von Spoken Word Passagen durchsetzten Kompositionen eine okkulte Atmosphäre heraufbeschwört, die einer Manifestation schwarzer Magie gleicht. Das Licht ist offenbarte Finsternis.
Als atmosphärische Ergänzung des Abends dient eine 2021 von Mirjam Miller entwickelte Rauminstallation, welche den Barbereich der P.M.K in mystische Sphären taucht.
Instagram-Posting-Text von @quintessenz.kulturverein

Ich spüre die Flammen auf meiner Haut als ich mich noch einmal in die Toilette des Cinematographs begeben muss, weil ich mein Handy dort liegen gelassen habe. Ich senke den Blick, „Oh shit, ist das peinlich“, denke ich mir. Mein Hirn spricht mir die Szenarien vor, die Gedanken der anderen, die Angst lacht mich aus. „Du bist allein hier und alle denken du seist ziemlich komisch, gehörst hier nicht hin, da nicht dazu“, einatmen, ausatmen. Ich verlasse das Gebäude und gehe. Ein paar Schritte weiter drehe ich um, gehe eine Runde um die Häuser. „Ich komme lieber später ins p.m.k, wenn das Konzert begonnen hat“, ich mich hinten im Raum platzieren kann, meine Angst sich in Zaum hält. Ich weiß noch nicht, dass ich nicht einen Ton der Musik hören werde.

Ich bin ehrlich, ich habe es versucht. Trotz meiner Ängste und dem stets steigendem Druck in meinem Brustkorb trugen mich meine Beine zum p.m.k. Ich ging sogar hinein, holte mir ein Getränk, stand abermals in einer Ecke, meinem Lieblingsplatz in überfüllten Räumen, und beobachtete wieder dieselben Menschen. Doch wieder war nur ich mit mir da. Und das wurde zunehmend stressiger, unangenehmer für mich. Ich versuchte zu atmen, versuchte mich als Beobachterin dieses Raumes zu sehen, eines Raumes, in den ich sonst eigentlich nie eingetreten wäre. Niemals hätte ich auch nur einen Fuß in ein Event gesetzt, welches mir komplett neu ist und bei dem ich gleichzeitig auch niemanden kenne. Doch ich tat es doch, wegen meiner Neugier, vielleicht auch wegen dieses Artikels? Ich versuche es wieder, einatmen, ausatmen. Stumm breitet sich Panik in mir aus. Eine Person kommt mir zu nahe, drängt mich etwas ab. Ich stehe da, gefühlt in die Ecke gedrängt durch meine Angst und diese Person. Ich verkrieche mich für zwei Minuten in der Toilette. Dort versuche ich es wieder, ich versuche es wahrscheinlich zu viel, ich atme ein, atme aus. Ich schreibe Nachrichten an Personen, die mich beruhigen sollen, die mir sagen sollen, dass alles okay ist. Ich stehe wieder verlassen im Raum herum, entscheide mich jemanden anzurufen und gehe mit meinem Telefonam Ohr, angestrengt normal zu wirken, hinaus, ohne entschieden zu haben, ob ich das Gebäude wieder betreten werde.

Die Stimme am anderen Ende beruhigt mich. Ich muss nicht hier sein, das stimmt. Ich kann meinen Artikel auch schreiben, ohne mir das Konzert anzuhören, ich höre die Musik einfach später und schreibe darüber hinweg. Doch das fühlt sich falsch an. Genauso falsch wie es sich anfühlt, die Veranstaltung jetzt zu verlassen. Panik keimt immer noch in mir, ich laufe den Gehsteig rauf und runter, während die Stimme beruhigend, aber bestimmt in mein Ohr spricht. Die Hälfte einer Stunde dauert es, bis ich mich entscheide mich selbst nicht mehr der Panik auszusetzen, sondern zu gehen. Eine halbe Stunde in der ich mir selbst Vorwürfe mache, warum ich es nicht einmal schaffe, ein soziales Event allein durchzustehen.

„Nichts ist es wert dich einer Panikattacke auszusetzen, geh nach Hause.“ Ich wende mich ab, gehe heimwärts, einen Umweg, ich weiß nicht einmal wieso. Ich verspreche mir diesen Part in meinem Artikel nicht auszusparen. Meiner Angst die Schuld zu geben anstatt mir selbst, mich zu erklären, wie immer. Doch auch anzuerkennen: nicht jede*r ist gemacht für soziale Veranstaltungen, Events, fremde, durch ihre augesprochene Coolheit beeindruckende Menschen, neue Situationen, laute Musik. Und das ist gut und normal und absolut okay. Ich nehme meine Kopfhörer aus meiner Tasche und höre mir Staad an. Und Häxenzijrkell. Fast wie auf einem Konzert nicht allzu weit von hier, nur allein, mit minimal kleiner werdender Panik. Nach einigen Songs wechsle ich zu meinem gewohnten Hörbuch. Irgendwann ist’s dann auch wieder gut mit dem Ausbrechen aus meiner Komfortzone.


Das Event Aural Visions II – Alpine Black Magic by Quintessenz ist ein Gewinnerprojekt des Ideenwettbewerbs “Dein Tag im Cinematograph”, den das Leokino für besonders innovative Film-Events im Cinematograph ausgeschrieben und mit 1500,- Euro Projektbudget ausgestattet hat. Die Konzerte im Anschluss fanden im p.m.k statt und wurden ebenso vom Kulturverein Quintessenz organisiert und veranstaltet.

Beitragsbild und alle verwendeten Fotos © Forgotten Film Entertainment

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