Trotz dem erwiesenen Nutzen von Wölfen in heimischen Gebieten ist der Schutzstatus der Tiere in den meisten österreichischen Bundesländern de facto aufgehoben. Zwar sind Wölfe laut FFH-Richtlinie der EU nach wie vor streng zu schützen, doch haben einige Regionen Ausnahmeregelungen auf die Beine gestellt, die den tatsächlichen Schutz enorm verringern. In Tirol zum Beispiel wurde der Herdenschutz auf allen Almen pauschal als nicht zumutbar eingestuft, was dazu führt, dass Wölfe auf allen Almen erschossen werden können.
Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) der EU soll Biodiversität und Artenschutz sichern. Sie gibt eine Richtung vor, die die EU-Staaten selbst umsetzen müssen. Grundsätzlich beinhaltet sie das Ausweisen von Schutzgebieten, die Festlegung eines Erhaltungszustandes bei gefährdeten und geschützten Tieren und Maßnahmen, den Erhaltungszustand zu erreichen und zu halten. Wölfe sind laut der Richtlinie mit dem höchsten Schutzstatus versehen. Ein Managementplan aus 2012 regelt in Österreich den Umgang mit Wölfen. Trotz dieser Regelung verabschiedeten einige Bundesländer in den letzten zwei Jahren lokale Gesetze, die den Abschuss der Tiere leichter ermöglichen. Stand Mitte Oktober wurden in Österreich im Jahr 2023 zwölf Wölfe geschossen.
2022 wurde gegen Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, das zu dem Schluss gelangte, dass alle drei zentralen Punkte der FFH-Richtlinie nicht oder nicht ausreichend erfüllt wurden. Obwohl die Situation der Wölfe auch in vielen anderen Ländern prekär ist, gibt es doch einige europäische Länder mit erprobten Konzepten.
Die Schweizer Lösung
In der Schweiz regelt ein landesweites Konzept zum Umgang mit Wölfen und empfohlenen Herdenschutzmaßnahmen. Einige Kantone haben eigene, erweiterte Konzepte. Wo das nicht der Fall ist, greift die gesamtschweizerische Lösung. Diese beinhaltet unter anderem die staatliche Unterstützung des Herdenschutzes, wie auch die Möglichkeit, einzelne Tiere zu schießen – allerdings nur in Gebieten, „in denen alle zumutbaren Herdenschutzschutzmaßnahmen umgesetzt sind, oder[…] die grundsätzlich nicht schützbar sind.“
Dieser letzte Satz gilt auch für Österreich. Tirol „löste“ dieses Problem wie anfangs erwähnt dadurch, dass alle Tiroler Almen als nicht schützbar definiert wurden. Das erlaubt nun das Töten praktisch aller Wölfe, die sich auf den Almen aufhalten. In einem Fall im Juli 2023 wurde ein Tier zum Abschuss freigegeben, ohne dabei Sichtungen zu überprüfen – im Gegenteil war hier nicht sicher, ob es sich überhaupt um einen Wolf handelte, Schafrisse gab es auch keine. Ein Abschuss wurde trotzdem erlaubt.
Stabile Populationen in Italien und Frankreich
Auch in Italien gibt es im Einklang mit der FFH-Richtlinie einen Plan zum Umgang mit der Wolfspopulation, die dort je nach Quelle 2500-3300 Tiere misst. Im französischen Umgang mit Wölfen steht deren Schutz an erster Stelle. Das bedeutet unter anderem sehr strenge Prüfungen vor Abschüssen und eine andere Auslegung der wirtschaftlichen Schäden: Laut Regierungsvertreter*innen seien nur solche Schäden als ernst einzustufen, die dem Staat erheblich schaden würden – ein Schadensausmaß, das einzelne Tiere schlicht nicht verursachen können. Damit rechtfertigen Schäden in Frankreich grundsätzlich keine Abschüsse von Einzeltieren. Den Landwirt*innen entstehende Schäden werden von Staat und EU ersetzt.
Herdenschutz in Österreich?
Im März 2022 wurde eine parlamentarische Anfrage an das Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus gestellt, laut der bisher in Bezug auf Herden- und Wolfschutz wenig erreicht und der Schutz der Wölfe auch in Schutzgebieten nicht als Priorität gesehen wird. Das Österreichzentrum Bär Wolf Luchs, das für eine „konfliktarme Koexistenz von Landnutzern und Beutegreifern“ gegründet wurde, sei wenig in Entscheidungen eingebunden gewesen. Während man in Wien von Wolfschutz spreche, erlaubten die Bundesländer eine Reihe von Abschüssen, so die Anfrage.
Zwar existieren staatliche Förderungen für Herdenschutzmaßnahmen, genaue Informationen dazu gibt es aber nur für das Bundesland Oberösterreich. In Tirol scheinen für Herdenschutz in den vergangenen zwei Jahren etwa 370.000 € ausgezahlt worden zu sein (laut Interviews mit Vertreter*innen der Landesregierung mehr). Grundsätzlich werden Kosten des Herdenschutzes und von etwaigen Rissen von der EU übernommen, aber nur, wenn die Mitgliedsstaaten ein entsprechendes Konzept zum Schutz der Wölfe haben.
Laut Blog des Tier- und Umweltschützers Martin Balluch werden Schafe seit dem zweiten Weltkrieg ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen in die Berge getrieben und dort sich selbst überlassen. Nach Statistik Austria seien 2019 österreichweit über achtzigmal so viele Schafe an Steinschlägen gestorben wie an Wolfsrissen – dementsprechend ist die wirtschaftliche Bedeutung eher gering. Dabei gibt es viele Möglichkeiten, Schafe vor Übergriffen durch Wölfe zu schützen. Grundsätzlich wird eine ständige „Behirtung“, also Begleitung der Herden durch Menschen empfohlen. Weiters sind Herdenschutzhunde ein erprobtes Mittel. Auch Alpakas könnten ergänzend zu Hunden zum Herdenschutz eingesetzt werden. Sie sind keine Fluchttiere und versuchen, Angreifer mit Huftritten zu vertreiben. In Österreich wird allerdings von der Nutzung von Alpakas abgeraten.
Drei vom Land geförderte Pilotprojekte zum Herdenschutz auf Tiroler Almen funktionieren bisher sehr gut. Die Schafherden erhalten eine ständige Behirtung und Herdenschutzhunde. In der Nacht werden sie in ein umzäuntes Gebiet gebracht. Auf diesen Almen wurden keine Risse durch Wölfe mehr gemeldet.
Der aktuelle Rechtsstreit zwischen Tierschutz und Landesregierung
Im Falle Tirols ging ein Rechtstreit zwischen Tierschutzorganisationen und Landesregierung über die Legalität von Abschüssen von Wölfen zum Europäischen Gerichtshof, gleichzeitig sollen sich EU-Kommission und -Parlament mit einer Evaluation des Schutzstatus‘ der Tiere beschäftigen. Dabei ging es unter anderem um die Frage, warum Almen als nicht schützbar definiert wurden, obwohl Herdenschutz in drei Pilotprojekten gut funktioniere. Die Entscheidung des Gerichts wird im Jänner 2024 erwartet.
Bis dahin können weiterhin Wölfe auf allen Tiroler Almgebieten und in Siedlungsnähe zum Abschuss freigegeben werden, ohne dass eine Möglichkeit auf Einspruch besteht.
Foto: https://unsplash.com/de/fotos/braun-weisser-wolf-auf-schneebedecktem-boden-9y-XkkOk2XI
https://unsplash.com/de/@didiofederico_photographer