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Die DIAMETRALE – Rundschau der Emotionen

© Iolo Edwards

Das diskrete Aufploppen der Biere hört sich fast an wie ein leiser Applaus zum Auftakt der Vorstellung. Der Kinosaal ist gut gefüllt, auch mit Wein sitzen die Zuseher:innen in den vielen Reihen. Sie tauschen noch leise tuschelnd einzelne Worte aus, bis sich dann der Vorhang hebt und in rosa glänzenden Lettern die Überschrift „Diametrale – nutzlos und schön“ auf der Leinwand zu lesen ist.

Die Innsbrucker DIAMETRALE, zum ersten Mal 2017 veranstaltet, entstand rund um einen Kurzfilmwettbewerb. Heute hat sich das exotische Filmfestival zwar deutlich weiterentwickelt – über mehrere Tage hinweg, anstatt wie damals nur an einem, kann man sich nun an einer umfangreichen Palette experimenteller, neuartiger, kritischer Filme begeistern, inklusive fulminantem Rahmenprogramm – doch in dessen Kern dreht sich das Festival immer noch um den Kurzfilmwettbewerb, für den nicht zuletzt der hauseigene Filmpreis, der „goldene Rahmen“, verliehen wird.

Emotionen fühlen im Kurzfilmwettbewerb

9 Kurzfilme werden an diesem Abend gezeigt, die alle dadurch herausstechen, dass sie vor allem auf einem Grundprinzip des Kinos beruhen – dem Erzeugen von Emotionen.    
Es sind bei Filmen zwar auch die erzählten Geschichten, die begeistern, aber, wenn man die Geschichten wegreißt und schaut was darunter liegt, so ist es doch das Erleben von Emotionen, das eine:n ins Kino lockt. Als Zuseher:in will man so viel fühlen wie möglich, die ganze Bandbreite an Gefühlen verspüren. Ein Film, der eine:n kaltlässt, hat etwas falsch gemacht. Und die gezeigten Kurzfilme meistern dieses starke Hervorrufen von Emotionen auf jeden Fall. Sie spielen in abstrakten Welten und brechen Geschichten, die auch auf normale Filmlänge erzählt werden könnten, auf ihre absolute Essenz herunter. In nur wenigen Minuten werden Gefühlslagen erzeugt, durch die man die gleichen Emotionen fühlen kann, wie in einem ganzen Film. Es sind Momentaufnahmen, die gezeigt werden. Die Geräuschkulisse der Kurzfilme ist eindringlich und essenziell, zeitweise geradezu überwältigend, dann wieder subtil und präzise. Es werden keine großen Geschichten erzählt, sondern Stimmungen erzeugt, die eine:n als Zuseher:in aber dennoch enorm bewegen. Die Emotionen erzählen die Geschichte. Sei es Abscheu, wenn in BB mit Stricken gefesselte und von der Decke herabhängende, völlig entblößte Frauen gezeigt werden, Faszination, wenn man in die erschreckende Traumwelt des fiktiven Malers Mablo Micasso eintaucht oder simpel eine zufrieden stimmende Gelassenheit, die das rauschende Meer und die knisternde Radiomusik des Kurzfilms A grand day out, durch einen alt wirkenden Schwarz-Weiß Film in einem erzeugen. Die Musik, die Bilder, sie bringen eine Gefühlslage mit sich und übermitteln so das, was sie sagen wollen, meist mit wenig oder auch ganz ohne Text.

Der Siegerfilm Precautionary Measure von dem Künstlerduo Lizzy Deacon und Ika Schwander geht dann aber doch etwas weg von dem Abstrakten und bietet eine konkretere, wenn auch genauso skurrile, Erzählung. Der Kurzfilm dreht sich um Helen, die, es wirkt fast schon unfreiwillig, an einem Selfhelp-Programm teilnimmt. Sie erforscht darin mit ihrem Life Coach Hazel die eigenen Emotionen und betrachtet, wie diese am besten zu verarbeiten sind. Der Film ist komisch, witzig, irgendwie nahbar. Sätze wie „Once in a while I wake up covered in slugs” oder „I just booked you to sing at Max’s funeral” wirken skurril, passen aber in die Atmosphäre des Films. Er endet schließlich damit, dass Helen und Hazel in ihrem selbst errichteten „Healing Circle“ liegen, sich umarmen und ihre Emotionen verarbeiten. Der Film bietet eine Anleitung, wie man seiner Emotionen Herr wird, in einer doch so bizarren Welt, in der wir wohl immer schon gelebt haben. Und zwar, indem man ihnen Raum bietet, sie hinauslässt und so ihren Ursprung und ihre Bedeutung erkennt. Vielleicht ist der Film aber auch als ein etwas außenstehender Rahmen zu den vielen Eindrücken der Kurzfilme davor zu verstehen. Eine Hilfsanleitung vielleicht, dafür, wie man die zuerst wie wild erzeugten Emotionen dann auch wieder in eine angebrachte Form bringen kann.


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