Eine Einladung, sich in das Alltägliche zu verlieben.
Der Tag beginnt mit dem Foto vom gesunden Frühstück, einem Spiegelselfie im heutigen Outfit, einer Instastory der sonnenbestrahlten Stadt. Irgendwann folgt ein halbspontanes BeReal, das den heutigen Tag mit einem Foto im Kalender definiert. Mein Alltag wird in viele kleine Momentaufnahmen unterteilt, die ich oft nach wenigen Wochen wieder lösche. Sie dokumentieren meinen Tagesablauf zwar detailliert, nach gewisser Zeit vergesse ich allerdings die Geschichten, die sie erzählen sollten. Im Gespräch mit einer Freundin habe ich erstmals probiert, meinen Alltag anders zu denken – weg von „Lieblingsmomenten“ und hin zur „Lieblingsstunde“. An manchen Tagen wähle ich abends meine Favoritin unter den Stunden des vergangenen Tages und mache mir kurz Notizen dazu– was habe ich gemacht, wer war bei mir, wie ging es mir?
Es sind kleine Beiträge zwischen dem WhatsApp-Zweizeiler an meine Freunde und dem Tagebucheintrag im Umfang, mit denen ich meinen Alltag nicht fotografieren und posten, sondern für mich beschreiben will. Dabei ist mir aufgefallen, dass meine Lieblingsstunden oft in den unscheinbaren Teilen meines Tages liegen – vor, zwischen oder nach den Ereignissen, die ich sonst so gerne akribisch dokumentiere.
Ein Beispiel dafür ist die Lieblingsstunde des vergangenen Donnerstags, die nach dem Ende einer langgeplanten Veranstaltung einsetzt: Eine unspektakuläre Abschlussstunde zu einem sonst eventreichen Tag, in der ich ohne jeglichen Druck und Aufregung ich selbst sein kann.
„Magst du noch einen zweiten Träger mitnehmen? Wir haben eh noch so viel übrig.“ Ja gerne, meine ich und mache mich mit 24 Bierflaschen auf dem Arm auf den Heimweg. Das angenehme Bier-Räuschchen lässt dabei die Flaschen leichter, die Nacht heller und die Menschen auf der Straße freundlicher erscheinen. Daheim angekommen stelle ich das Bier auf den Balkon und einen Topf Milch auf den Herd. „Jetzt ein geiler Porridge“ ist mein treibender Gedanke. Den Porridge versüße ich dann mit Nutella und Honig, nehme ihn mit ins Zimmer und suche mir eine Platte aus dem Regal – heute ist es Lana’s Born To Die. Drei meiner Freunde erhalten kurz darauf Videos, wie ich mit Porridge in der schwankenden freien Hand die Lyrics flüsternd mitsinge – selbst in diesem Zustand ist die Angst vor der Lärmbeschwerde der Nachbarn präsent. Doch bevor ich das Klopfen der Nachbarn oder das Ende der Platte hören kann, holt mich der Schlaf plötzlich ein und zieht mich in seine Tiefe.
Auch die Lieblingsstunde des Samstags spielt in einem Zwischenraum: Der anstrengendste Teil des Tages liegt bereits hinter mir, und ich kann kurz durchatmen, ehe das nächste Programm ansteht.
Ich komme gegen viertel vor sieben bei Killian an. Durch seine Wohnung dröhnt amerikanischer Rap mit gewaltiger Lautstärke. Er hat auf mich gewartet, meint er. Ob er keine Angst vor Beschwerden der Nachbarn habe, entgegne ich. Beide voller Hunger entscheiden wir uns, auswärts essen zu gehen. Ich lasse mein Handy in der Wohnung und nerve ihn, während er auf seinem in der Tram spielt. Im Restaurant angekommen braucht er ewig, sich zu entscheiden. Wir sind laut und schicken Fotos an seine Mutter, während wir auf das Essen warten. Er sagt mir, dass meine Haare nie besser ausgesehen haben. Ich mache mich über seinen knöchellangen Mantel lustig. Wir schwelgen in Erinnerungen und reden über Menschen und Dinge, die schon lange passé sind. Wir erzählen uns von heute und besprechen unsere Pläne für morgen. „Kommst du nächste Woche mit nach Prag?“ „Was machst du im Sommer?“ Neu oder überraschend ist dabei kaum etwas, haben wir doch unsere Nummern schon vor über acht Jahren ausgetauscht. Wir zahlen und ich gebe Trinkgeld für zwei, ehe wir wieder verschwinden. Wir wollen später ausgehen, sagen wir.
Was zeigen mir diese Lieblingsstunden? Dass mein Tag nicht dadurch definiert wird, wie viele einzigartige Momente er beinhaltet und wie ausgefallen die Pläne sind, die ich gemacht habe. Dass meine Handykamera allein nicht ausreicht, um das Schöne an meinem Alltag abzubilden.
Und wie glücklich ich mich schätzen kann, dass ich ein Umfeld geschaffen habe, in dem die scheinbar banalsten Stunden des Tages zugleich auch meine liebsten sind.