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Der Noctifantenpakt – Kurzgeschichte

Ich hielt den Stock in meiner Hand, so als ob sie gar nicht meine wäre, so als ob es gar nicht ich sein müsste, der diesen Pakt vollzieht. Nichtsdestotrotz beobachtete ich wie der Stock, meinen linken Arm erweiternd, bedeutungsvoll gegen den Stock des Noctifanten klopfte, den er mit seinem Rüssel umschlang. Es schien mir, als hätte diese Wesenheit im Gegensatz zu mir genau gewusst was sie tut. Als hätte sie den Stock wie ein altbekanntes Werkzeug aufgenommen und mit dem Rüssel eingerollt, um schließlich mit mir den Pakt zu vollbringen.

Zunächst fiel es mir schwer, diesen Noctifanten als ein handelndes Wesen anzunehmen, das Bedürfnisse hat, Interessen hegt und diese in die Tat umsetzt. Es lag am Gesicht, insofern man es ein Gesicht nennen kann. Schließlich meinen wir mit Gesicht in der Regel das was Menschen haben, und das war kein Mensch, es war etwas anderes. Doch es hatte Augen, aber ganz andere Augen. Es hatte Ohren, aber gigantisch große. Es hatte eine Nase, doch eine ganz andere. Und obwohl ich zwei Hände hatte, wies der Noctifant mit seinem alleinigen Rüssel viel größere Fertigkeit auf als ich.

Ich wusste nicht was ich tu, von dem Moment an, an dem ich ihn vor mir sah. Das Nächste, das ich sah war ein eher bescheiden starker Stock rechts von mir. Ich schnappte mir diesen Stock. Es war die einzig verfügbare, greifbare Option meiner Handlungsmöglichkeiten. Obwohl ich Rechtshänder war, hielt ich den Stock mit der linken Hand, fester als es nötig gewesen wäre. Meine rechte Hand wollte einfach offen bleiben, obwohl die linke mit dem Stock nichts anzufangen wusste. Der Noctifant ging auf mich zu, insofern man das gehen nennen konnte. Menschliche Schritte sind ganz anderer Natur als diese. Er hatte vier Beine und keines dieser Beine brauchte einen Zeh. Doch das Entscheidende war der Blick dieses Wesens. Ich sah in seine Augen, ich sah hinein und suchte nach etwas. Ich suchte etwas mit dem ich Umgang finden konnte, doch ich fand weder seine Pupillen noch sonst irgendwas. Allmählich versank ich in diesem weißen Nichts. Es war der Moment, in dem ich nichts mehr zu suchen versuchte, in dem sich meine linke Hand plötzlich zu bewegen begann.

Keines der nächsten Ereignisse war meine Entscheidung. Es passierte einfach und ich sah zu. Mein Arm richtete sich derart langsam auf, als würde er die Ankunft des Noctifanten vor meiner Nase abwarten. Als ich wieder in sein Gesicht blickte, sah ich was mir zuerst verborgen oder eher verschleiert blieb. Während ich diesem unbekannten Geschöpf zunächst voller Angst eine potenzielle Gefahr ins Gesicht schrieb, erkannte ich nun ohne diesen Schleier, der nichts war als ich selbst, dass dieses Wesen mir vertraut war und einen Auftrag oder eine Bitte für mich parat hielt. So neigte es im Gang den Kopf und rollte den weiß gefleckten Rüssel aus, um schließlich den Stock vor seiner Nase aufzuheben. Und so verneigte ich meinen Kopf und machte fest, dass unter dem Rumpf des schwarzen Riesen, quasi eingezäunt von seinen vier säulenartigen Beinen, es so etwas wie regnete. Dass dessen Geruch, als er meine Sinne erreichte, vermischt mit dem gewitter-artigen Geräusch seines Magengrummelns ein Deja-Vu Erlebnis in mir erzeugte, hat mich nicht verwundert. Es schien mir die einzig logische Konsequenz für diese Schrittfolge der Begebenheiten zu sein. Das Deja-Vu Gefühl suggerierte mir, dass das nächste, was „letztes Mal“ passiert gewesen war, ein Beben war. Und plötzlich hörte ich seine stampfenden aber sanften Schritte, so als wäre das Geräusch frisch hinzugeschaltet worden. Dass er schon längst bei mir hätte ankommen müssen, fiel mir zu diesem Zeitpunkt nicht ein. Ich war nämlich gefesselt von der Übereinstimmung des Donners über mir und den Schritten dieser Bein-Säulen. Dies zog mich deshalb so in den Bann, weil der Donner, das Krachen und das dunkle Lachen der Wolken mehr zu einem Kontinuum wurden, die Schritte aber pointiert erschienen und sie dennoch übereinstimmten, eine alokale Harmonie sozusagen.

Würde ich es heute nicht besser wissen, müsste ich wohl annehmen, dass der Noctifant in Wahrheit riesig und zuerst nur weit entfernt war, mir dann immer näher kam, bis ich schließlich zur Ameise unter diesem Koloss wurde. Und wenn dieser Noctifant nun das Spektakel über mir war, musste der, den ich nach wie vor auf mich zukommen sah, ein zweiter gewesen sein. Da könnte man spekulieren, ob dieser nun genauso riesig und weit weg wäre wie der erste oder ob es eigentlich nur einer war und ich mich täuschen ließ. Aber dies alles spielt nun keine Rolle, denn der Noctifant kam dann doch vor meiner Nase an, mit seinem Stock ausgestattet. Mein Deja-Vu war schon längst vorbei, über mir schüttete es aus Kübeln und die vier Säulen, die sich an meinem Horizont nun vorfanden, wurden vom stürmischen Wind mit Blättern oder Diskusscheiben verziert, die aus der Ferne aussahen wie gelbe Blutkörperchen.

Ich wusste, dass dies meine Geburt sein wird und während ich beim letzten Mal nur zusah, wie ich meinen an seinem Stock abklopfte, freute ich mich nun, es selbst tun zu können. Ich fühlte wie die gelben Partikel meinen Körper füllten und sich eine ungewohnte Normalität in Form einer Frische, wie sie auch der Wind erzählte, in mir ausbreitete. Sie erreichten meine Hand, die sich anschließend auf den Weg zu seinem Stock machte, früher als mein Gesicht, das sich nach dieser Verzögerung zu einem Lächeln verleiten ließ.

Der abklopfende Impuls, der die vereinten Stöcke zum Klangkörper machte, geschah kurz nachdem ich ihn bereits losließ. Ich wollte nämlich meine beiden Hände frei haben und ich schrie in den Himmel, in den Donner, in das Gewitter und der Regen wurde zur kosmischen Anerkennung meiner Tanzkünste. Nachdem die Ekstase rund um die Verkörperung meiner Freude wieder abflachte, sah ich den Noctifanten in meinen Augenwinkeln seine Augen schließen, wodurch sich die aufgezeichneten Augen auf seinen Lidern erkennbar machten. Ich sagte mir still „bis zum nächsten Mal, in neuer Form, mein Gefährte“ und er war schon nicht mehr da.

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