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Lass dich bespielen! Ein Abend im Haus der Musik

Das Haus der Musik in Innsbruck wurde 2018 eröffnet und zählt u.a. Kammertrios, Symphoniekonzerte und Jazzabende zu seinem dichten Programm. Obwohl es zentral direkt zwischen Hofgarten und Hofburg liegt, finden Studierende, die nicht am hauseigenen Konservatorium studieren, nur selten ihren Weg in diesen 61 Millionen Euro schweren Musiktempel der Stadt. Auf der Suche nach möglichen Erklärungen dafür und neuen Erzählungen, habe ich ein Jazzkonzert im Haus besucht.

Die Absätze meiner Stiefel klackern im schnellen Rhythmus über die Pflastersteine der Altstadt. Ich haste unter dem Bogen der Hofburg hindurch zum Haus der Musik, um zumindest höfliche zehn Minuten vor Konzertbeginn dort zu sein. Am Eingang wird mein Ticket nicht kontrolliert, also lasse ich mich selbst ein, unter den musternden Blicken der herausgeputzten Herrschaften im Foyer. Ein Angestellter fängt mich ab und bietet mir an, meine Tasche in der Garderobe abzugeben. Ich reiche ihm meine übervolle Tote Bag mit ihrem einen intakten Henkel, aus der mein zugestickerter Laptop und 1kg-Pack Spaghetti ragen und sehe ihm zu, wie er das wackelige Konstrukt nicht auf den Boden, sondern auf einen extra herbeigeholten Stuhl unter den Übergangsmänteln und Sommerjacken stellt.

Ich erhalte einen kleinen seriösen Chip im Gegenzug und warte in einer Ecke vor dem Saal. Still beobachte ich die Menschen in ihren gebügelten Hemden und Cocktailkleidern, wie sie ihre Aperolgläser zwischen ihren Fingerspitzen balancieren. Mir fällt auf, dass meine Stiefel dringend geputzt werden sollten und die geflickte Naht meiner Hose mal wieder nachgenäht werden muss.

Um Punkt halb sieben ertönt ein Gong, der die Besucher*innen sanft dazu verleiht, in den Saal zu trippeln. Jede*r findet seinen vorbestimmten Platz und ich führe ein höflich-distanziertes Gespräch mit der Dame, die sich auf den Platz mit meiner Nummer gesetzt hat. „Das ist doch nicht so tragisch“, sage ich tausendmal, doch will ich trotzdem, dass sie meinen Platz freiräumt. Der Saal ist voll und ich merke, keiner ist allein gekommen. Das Publikum scheint in Familien und Ehepaaren organisiert zu sein, obgleich die Musiker*innen im Schnitt in meinem Alter sind. Kein Wunder bei einer 17€-Eintrittskarte für ein Jazzkonzert, das als Feierabendunterhaltung im Anschluss an den 9-to-5 beworben wird.

Die Gesangsprofessorin moderiert locker durch das durchgeplante Konzert, stellt stolz ihre Schüler*innen und Stücke vor und gibt den Anstoß für gebührenden Applaus zum richtigen Zeitpunkt. Die brasilianischen Jazzsongs erzeugen eine tranceartige und romantische Stimmung der Sehnsucht, die beruhigenden Stimmen der Sänger*innen verschmelzen mit dem Sonnenuntergang hinter der Glasfront des Saals. Die Virtuosität des Ensembles steht außer Frage und setzt sie von der Allgemeinheit ab, weshalb die Bühne auch nur ihnen offensteht. Es kulminiert schließlich in einer euphorischen Schlusseinlage, in der der Sound der Trompeten, Gitarren, Keyboards und Trommeln den ganzen Raum erfüllt und den Zuhörer*innen nochmal vor Augen führt, wieso sie für die Show dieser Talente rechtmäßig 17€ aus ihrem Portemonnaie gezogen haben.

Nach dem Finale Grande zerstreut sich das Publikum so schnell in alle Richtungen, als ob es um 20.15 Uhr einen weiteren Termin vor dem Fernseher wahrzunehmen hätte. So komme ich leider mit niemandem ins Gespräch – nicht, dass es viel zu besprechen gäbe, denn Fehler und Skandale sind den Musiker*innen in dieser harmonischen Stunde der Vorabendkammermusik keine passiert. Ich sammle meine Tasche ein, schiebe die Spaghetti tiefer runter und husche an der Menge vorbei nachhause.


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