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Der Traum vom freien Raum

Foto: Sophie Westreicher, 20er

Mit gut 28.000 Studierenden ist Innsbruck eine Studentenstadt.
Doch gerade für die Jungen gibt es zu wenige öffentliche Räume.
Die einstweilige Schließung des beliebten Sonnendecks am
Inn verschafft einer Debatte neuen Wind, die seit Jahren keine
echten Ergebnisse bringt. Ideen aber haben die Jungen zuhauf.

| Dieser Text wurde für die Juni-Ausgabe der gemeinnützigen Tiroler Straßenzeitung recherchiert. Der neue 20er mit dem Dossier „Das Beste für alle!“ ist ab 12.6. auf Tirols Straßen erhältlich |

Der Mai war eher verregnet, doch wenn die Sonne herauskommt, sitzen normalerweise mehrere dutzend Studierende entlang der Franz-Gschnitzer-Promenade am Inn. Jetzt aber ziert bloß ein circa 350 Meter langer Zaun die als „Sonnendeck“ bekannte Innmauer. Vor einigen Wochen wurde daraus ein Stein gelöst, seither ist die Mauer behördlich geschlossen. Denn: Es gäbe weitere unsichere Stellen, die gesamte Mauer müsse saniert werden – und das wird sich bis in den Herbst ziehen. Die voraussichtlichen Kosten von 430.000 Euro sollten ursprünglich 70/30 von Bund und Stadt übernommen werden. Bis Landeshauptmannstellvertreter Georg Dornauer über die Medien eine finanzielle Unterstützung von zehn Prozent ausgerichtet hatte, „um Bürgermeister Willi unter die Arme zu greifen“ und die Sanierung noch vor dem Herbst umzusetzen. Immerhin gehe es „um unsere Jugend“. Weil die Mauer im Zuge des Hochwasserschutzes errichtet wurde, hat die Stadt zwar als Interessent einen finanziellen Beitrag zu leisten. Für die Bauarbeiten ist aber die dem Land unterstellte Bundeswasserbauverwaltung zuständig, die auch das Sanierungsprojekt vorlegen muss. Nach einigem Hin und Her erreicht den 20er kurz vor Redaktionsschluss eine Aussendung des Landes, wonach die Ausschreibung der Sanierung angelaufen sei. Parallel prüfe die Stadt eine Attraktivierung der Franz-Gschnitzer-Promenade sowie das Anbringen eines Geländers. Inwiefern das Sitzen auf der Mauer dann noch möglich sein wird, hänge von der umliegenden Promenadengestaltung ab. „Da dort auch Veranstaltungen stattfinden, ist aus Sicherheitsgründen das Anbringen einer Absturzsicherung auf der Ufermauer, sprich eines Geländers, unbedingt notwendig“, heißt es.

Das Abgesperrte Sonnendeck – Foto: Sophie Westreicher

Veranstaltungen am Sonnendeck sind in den kommenden Sommermonaten jedenfalls nicht möglich. Die Sanierungsarbeiten werden „unter Einhaltung aller Fristen“ bis in den Herbst dauern. Bei Studierenden sorgt das für Frust. „Ich verstehe überhaupt nicht, warum das alles so lange braucht, das ist doch nur etwas Politisches“, äußert sich Simon, ein Studierender der Uni Innsbruck, und bekommt dabei Zustimmung seiner Mitstudenten. Und viele stellen sich die Frage, wo sie nun hinsollen. Es gebe ohnehin schon so wenige konsumfreie Räume im Zentrum. Zumindest gemessen daran, dass knapp 28.000 Studierende die Stadt frequentieren.

Das Sonnendeck-Kollektiv, das seit zehn Jahren die namensgebenden Veranstaltungen an der
Promenade hinter der Hauptuni organisiert, sieht das differenzierter. „Wenn die Mauer unsicher ist, ist sie eben unsicher.“ Auch die Veranstalter wollen ein sicheres Gelände. Dass sie jedoch bisher nur sehr wenig in die Planung der Restaurierung involviert sind, stößt auf Unmut. „Es geht nicht nur um die Sanierung der Mauer, sondern auch darum, ob sie und das gesamte Sonnendeck danach noch so wie vorher nutzbar sind.“ Wie die neuen Sitzmöglichkeiten, aber auch Absperrungen aussehen werden, ist bis dato völlig unklar.

Zu wenig Platz im öffentlichen Raum.

Das geschlossene Sonnendeck zeigt eine größere Problematik auf, die von Innsbrucker Kulturvereinen häufig kritisiert wird: Es fehlt hier an Raum für Veranstaltungen und Zusammenkünfte – sowohl öffentliche, barrierefreie Bereiche als auch konkrete Veranstaltungsorte. In den letzten Jahren kamen mit dem ehemaligen Hafenareal, dem Weekender oder auch dem Stadtcafé wichtige Kulturzentren abhanden. Zwar wollte die Stadt Ersatz dafür finden, geschaffen wurde aber bisher nichts, was die Lücke füllen könnte. „Seither fehlt es an Veranstaltungsorten im Mittelbereich für 200 bis 300 Personen“, weiß David Prieth, seit 2017 Geschäftsführer der p.m.k. in den Innsbrucker Viaduktbögen. „Gerade Feiern wie jene in der Sillschlucht zeigen das Fehlen von Raum auf und dass junge Menschen besonders hart davon getroffen werden.“ Die schon seit Jahren veranstalteten Partys in der Sillschlucht erlangten zuletzt neue Bekanntheit, weil sie teils auch während der Lockdowns stattfanden und es im Frühjahr 2021 zu zwei schweren Verletzungen gekommen war. Daraufhin rief Bürgermeister Georg Willi einen runden Tisch ins Leben, der sich nicht zuletzt der Raumproblematik annehmen sollte. Seither wurde dieser Runde Tisch noch zwei weitere Male wiederholt und um Mitglieder aus Kultur- und Partykollektiven erweitert. Auch außerhalb der runden Tische wurde der Kontakt zwischen Veranstaltern und der  Stadt intensiviert. David Prieth sieht diesen Dialog positiv und sagt, dass sich hier etwas verändert habe. Es gebe den Willen, etwas zu bewegen. Gleichzeitig ist bisher aber wenig Konkretes passiert. Gerade, was neue Veranstaltungsorte angeht, wurden laut Prieth alle möglichen Optionen betrachtet und ausgelotet, dann aber wieder als unpassend verworfen.      

Andrea Kreisl von der städtischen Geschäftsstelle für Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung fungiert als Leiterin der runden Tische. Auch sie findet es sehr gut, dass das Thema nun häufiger in den Medien und in der Stadtpolitik diskutiert wird. Sinn und Zweck der Gespräche sei es, dranzubleiben und in der Stadt Innsbruck mehr Möglichkeiten für kulturelle Veranstaltungen zu bieten. „Wichtig ist es auch, mehrere Orte ausfindig zu machen, die für Veranstaltungen im Freien verwendet werden können. Auch die Anrainer müssen berücksichtigt werden, etwa, indem man die Veranstaltungsorte wechseln kann.“

Ebenfalls involviert in diesen Prozess war der im Herbst 2021 mehrheitlich von Studierenden gegründete Verein Gans Anders. Der hat bisher schon zwei Musikfestivals am Baggerseeareal organisiert, dazu kleinere Konzerte in Innsbruck. Dennis Übelhör, einer der beiden Geschäftsführer, befürwortet den Dialog, findet aber auch, dass die Fakten mittlerweile alle auf dem Tisch liegen würden. „Jetzt kommt es darauf an, dass daraus etwas gemacht wird.“ Für Veranstaltungen im Freien  müssten vor allem zwei Probleme angegangen werden: Erstens müsse die bestehende Lärmschutzverordnung überdacht werden. Und zweitens die lange Anmeldefrist für Veranstaltungen im Freien. Diese sind stark vom Wetter abhängig. „Wenn man sie wie zurzeit mindestens vier Wochen vorher anmelden muss, ist noch überhaupt nicht sicher, ob sie stattfinden können. Es benötigt hier dringend mehr Spontaneität.“

Es könnte so schön sein!

Wie schwer es neue, junge Veranstaltungsformate haben, zeigt sich auch am Kunst- und Kulturverein Dachziegelflow. Gegründet wurde er im Jahr 2021, um jungen Künstlerinnen und Künstlern eine lockere Plattform zu bieten. Dazu mietete der Verein im Industriegebiet hinter dem Westbahnhof eine Wohnung an und bekam durch das niederschwellige Angebot bald großen Zuwachs. Mittlerweile organisiert er auch in anderen Innsbrucker Lokalen eigene Konzerte und Open-mic Abende. Der 2021 unterzeichnete Mietvertrag wird von der Innsbrucker Immobiliengesellschaft (IIG) aufgrund von Lärmbeschwerden jedoch nicht mehr verlängert. Anfang Juni ist Schluss. Obmann Paul Prost sieht hier ein großes Problem, denn „Kunst ist auch Bildung“. Und der Dachziegelflow habe sich seinen Ort ganz bewusst gesucht: „Bis auf eine Wohnung drei Stockwerke über uns gibt es hier nichts außer Industriegebäude.“ Eine bessere Lage sei wohl schwer zu finden, aber dennoch reiche auch das wieder nicht aus. „Einen Ort zu finden, an dem wirklich niemand gestört wird, ist fast schon ein Ding der Unmöglichkeit“, glaubt er. Eine mögliche Lösung sieht er darin, Wohnorte unterschiedlich zu deklarieren, sodass in manchen Stadtteilen auch Veranstaltungen mit höherer Lautstärke toleriert werden müssen.              

Dass eine solche Toleranz ab und zu auch in Innsbruck möglich ist, bewies etwa das zweite Bogenfest Mitte Mai: Über einen ganzen Tag hinweg war die Bogenmeile für Autos abgesperrt,
stattdessen gab es hier mehrere Bühnen, Essens- und Verkaufsstände, die in bunten Farben aufblühten. An jeder Ecke wurde auf andere Art und Weise gefeiert. Mit mehr als 30.000 Besucherinnen und Besuchern war das Straßenfest überaus gut besucht und trotz der hohen Lautstärke bis 22.00 Uhr gab es nur sehr wenige Beschwerden. Es kann also funktionieren, das Feiern in der Stadt.        

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