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Studieren als Abenteuer

Bild: Giulia Neumeyer

Ein Auslandssemester zu machen, gehört für viele Student*innen zum perfekten Uni-Erlebnis. In einem neuen Land leben, eine neue Sprache lernen, neue Menschen treffen – viel Unbekanntes, das auf sie zukommt. In dieser Situation befinde auch ich mich gerade. Im März hatte ich für Die Zeitlos über die Planung meines Auslandssemesters berichtet, inzwischen bin ich in Göteborg angekommen. Doch bis es so weit war, ist noch einiges passiert.

Richtig packen

Nachdem die Kurswahl erledigt, die Verträge unterschrieben, der Flug gebucht und die Wohnung gemietet sind, verwandelt sich die Vorfreude wenige Tage vor dem Abflug langsam in eine Gefühls-Achterbahn. Tausend Gedanken schwirren im Kopf herum – am wichtigsten: Was brauche ich alles? Beim Blick auf die zwei großen Koffer und vielen im Zimmer verteilten Stapel wird mir schlagartig klar, dass ich hier ganz anders packen muss als für einen Urlaub.


Was Kleidung angeht ist eine gute Faustregel, so viel mitzunehmen, dass es für 14 Tage reicht. Also packe ich genügend meiner Lieblingsoberteile ein. Auch ein paar sommerliche Teile für die warmen Tage dürfen nicht fehlen. Da meine Reise nach Skandinavien geht, wandern außerdem Winterjacke, Mützen, Schals, dicke Pullis und Sweatshirts zum Darunterziehen in den Koffer. Neben meinen Lieblingshosen packe ich einen langen Rock ein, der auch im Herbst noch getragen werden kann. Auch die richtigen Schuhe sind wichtig. Neben einem oder zwei Paar guten Sneakern dürfen warme Winterstiefel, Boots und Wanderschuhe nicht fehlen. Als dann noch Badutensilien, Föhn, Handtücher, Unterwäsche und Bettwäsche in die Koffer kommen, wird es langsam eng. Nachdem ich noch etwas Essen für die ersten Tage und Bücher eingepackt habe, sind beide Gepäckstücke endgültig voll. Zwei Koffer sind also ein absolutes Muss. Ins Handgepäck kommen dann die elektronischen Geräte und ein paar Notfallklamotten, falls einer oder beide Koffer verloren gehen sollten. Dann werden die Koffer verschlossen und ein letztes Mal gewogen. 18 und 20 Kilo – schwer, aber müsste passen.


Der letzte Abend zuhause fühlt sich gleichzeitig vertraut und wehmütig an. Es gibt mein Lieblingsessen und ein Glas Wein, bevor wir alle früh schlafen gehen, um für den nächsten Tag fit zu sein.

Abschied am Flughafen

Der Tag der Abreise beginnt schon um halb fünf Uhr morgens. Eigentlich würde er „erst“ um sechs starten, ich bin allerdings schon einige Zeit vor meinem Wecker wach. Auch mein Freund wälzt sich neben mir hin und her. Im März hatten wir das Glück, die letzten beiden Restplätze für das Wintersemester in Göteborg zu ergattern, jetzt ist heute tatsächlich der Tag gekommen, an dem das Abenteuer beginnt.
Kurz nach sieben Uhr sind wir gemeinsam mit unseren Familien im Auto auf dem Weg zum Flughafen. Nachdem ich unbedingt noch ein Brot aus unserer Dorfbäckerei einpacken wollte, mussten ein paar Handtücher kurzfristig in einen Koffer meines Freundes umziehen, was den Stresspegel ziemlich gesteigert hat. Außerdem wollte ich doch lieber meine bequemen Lieblingsschuhe statt meiner Wanderschuhe tragen, die deshalb dann ebenfalls noch in meinen Koffer gewandert sind – in der Hoffnung, dass sie vielleicht doch nicht so schwer sind.
Bei der Gepäckabgabe am Münchner Flughafen hätte ich diese Entscheidung allerdings beinahe bitter bereut. Laut der Waage wiegt mein Koffer exakt 23 Kilo – das Maximum. Nächstes Mal also doch lieber die Wanderschuhe anziehen.


Und dann ist es plötzlich schon so weit und es ist Zeit, durch die Sicherheitskontrolle zu gehen. Eine letzte Umarmung, dann heißt es: Tränen wegwischen und nach vorne sehen. Trotzdem bleibt der dicke Kloß im Hals noch die nächsten Stunden fest an seinem Platz stecken.
Es wird erst etwas leichter, als der Pilot kurz vor der Landung durchsagt, dass wir uns inzwischen über Schweden befinden. Der Blick aus dem kleinen Bullauge offenbart uns scheinbar unendlich weite grüne Landschaft und eine beeindruckende Küste. Unser neues Zuhause.

Blick aus dem Flugzeug auf Schweden
Erster Blick auf Schweden aus dem Flugzeug.

Ankommen

Die Tatsache, dass wir nur eine halbe Stunde Zeit haben, um unser Gepäck zu bekommen und zum Shuttle-Bus der Uni zu laufen, hätte daheim unweigerlichen Stress bedeutet. Nicht so in Schweden. Buchstäblich mit Betreten des Flughafens sind wir von einer Gelassenheit umgeben, wie es sie nur in diesem Land geben kann. Keine hektisch herumlaufenden Menschen, niemand rempelt oder drängelt, kein Geschrei. Das färbt sofort ab. Deshalb stört es uns dann auch gar nicht, dass wir den Bus tatsächlich verpassen und drei Stunden auf den nächsten warten müssen. Im Gegenteil: Am Gepäckband treffen wir eine Gruppe Mitstudent*innen, mit denen wir uns auf Anhieb gut verstehen und gemeinsam die Wartezeit verbringen. Als der Bus uns dann nachmittags zum Wohnheim bringt, zeigt sich Göteborg von seiner schönsten Seite. Die Sonne scheint und taucht die Fassaden der Häuser in ein oranges Licht, es ist angenehm warm und die Möwen kreisen über unseren Köpfen.

Sonnenuntergang in Göteborg.

Das Wohnheimzimmer, das mein Freund und ich uns teilen, ist leider weniger einladend. Die Möbel stehen kreuz und quer herum, eine dicke Staubschicht ziert die Oberflächen und der Boden schreit nach einer Grundreinigung. Beim Blick in die Schubladen bestätigt sich außerdem eine Befürchtung: Es gibt keine Küchenutensilien. Aber das sind alles keine Probleme, für die es keine Lösung gäbe. Und diese Lösung lautet – wie sollte es in Schweden anders sein – Ikea.

Einkäufe und Willkommensveranstaltungen

Gleich am Folgetag verabreden wir uns mit unseren neuen Bekannten im schwedischen Möbelhausriesen und machen alle gemeinsam einen Großeinkauf. Auch den anderen fehlen sämtliche Utensilien und deshalb sitzen wir alle zwei Stunden später und 2.000 Kronen ärmer im Ikea-Restaurant und belohnen uns, ganz nach schwedischer Art, mit Köttbullar. An die hohen Preise werden wir uns auch noch die nächsten Tage gewöhnen müssen. Die Umrechnung der schwedischen Krone in Euro ist aber zum Glück einfach: Unser Einkauf wäre zuhause rund 200 Euro teuer gewesen. Der Euro entspricht also circa einem Zehntel der schwedischen Krone.

Wie an den meisten Unis üblich ist die Woche vor dem Vorlesungsbeginn vollgepackt mit Willkommensveranstaltungen. Bei einem Event über die Studiumskultur und das Leben in Schweden lernen wir mehr über die schwedischen Unterrichtsmethoden, das Jedermannsrecht, laut dem jede*r in Schweden sich überall in der Natur frei bewegen darf, solange nichts zerstört wird, und den informellen Umgang zwischen den Menschen. Und beim Welcome Day der Fakultät lernen wir schließlich auch unsere Koordinatorinnen kennen, mit denen wir in den letzten Wochen und Monaten regelmäßigen E-Mail-Kontakt hatten. Bei einer gemeinsamen Fika mit warmen Kanelbullar (Zimtschnecken) kommen Student*innen und Dozentinnen so informell in Kontakt, wie es zuhause kaum möglich wäre.

Abgerundet wird die erste Woche mit einem Trip zum Strand mit neuen Freunden und einem kleinen Dip in die Nordsee.

Der Strand in Saltholmen.

Die Uni beginnt

Schon am 29. August, etwas mehr als eine Woche nach unserer Ankunft, beginnt in Schweden das neue Semester. Und anders als zuhause ist dieses nochmal in vier Viertel eingeteilt. In jedem Viertel können theoretisch unterschiedliche Kurse belegt werden, manchmal mehrere, manchmal auch nur einer. Im ersten Viertel belege ich einen Kurs, der fast jeden Tag stattfindet und eher wie eine Schulstunde als eine klassische Vorlesung funktioniert. Auf Mitarbeit wird in Schweden sehr viel Wert gelegt und so ist es sogar erwünscht, auch den*die Kurskoordinator*in zu kritisieren und mit ihm*ihr zu diskutieren. Dienstagabends konnten mein Freund und ich Plätze im Schwedisch-Anfänger*innen-Kurs ergattern. Seit unserer ersten Stunde können wir uns nun schon vorstellen („Hej, jag heter Giulia“).


Insgesamt übertrifft die Realität eines Auslandssemesters schon jetzt meine Vorstellung davon. Als wir vor einem halben Jahr so spontan die Plätze angenommen haben, kannte ich weder die Stadt noch hatte ich eine Idee, wie es in Schweden wirklich sein würde. Jetzt, wo wir hier sind, fühlt sich plötzlich alles gleichzeitig neu, aufregend und trotzdem vertraut an. Meine eher ruhige Art deckt sich mit der Lebensweise in Schweden und es fühlt sich befreiend an, ganz man selbst sein zu können.
Selbst wenn die Aufregung und das Neue in den nächsten Wochen auch hier in Göteborg langsam in den Alltag übergehen werden, ist das Potential, hier das schönste Semester meiner Uni-Laufbahn zu verbringen, jetzt schon vorhanden.

Beitragsbild und Artikelbilder: Giulia Neumeyer

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