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Sexualisierte Gewalt durch Priester in der katholischen Kirche: Vertuschung, Aufarbeitung, Prävention.

Am Samstag, 14. Mai 2022 fand im Haus der Musik in Innsbruck eine Diskussion zum Thema „Katholische Kirche: Vertuschung, Aufarbeitung, Prävention – Sexualisierte Gewalt durch Priester“ statt. Dabei lieferten sich Georg Löwisch, Hans Zollner und Christina Zühlke unter der Moderation von Alexandra Föderl-Schmid eine spannende Debatte.

Die Debattierenden – Ein Überblick

Georg Löwisch © Patrick Ausserdorfer

Georg Löwisch ist der Chefredakteur der Redaktion Christ & Welt, die zur ZEIT-Gruppe gehört. Gemeinsam mit Paul Löbbert hat er seit 2020 mehrere Publikationen veröffentlicht, die sich dem Thema der sexualisierten Gewalt und der Vertuschung dieser Taten widmen.

Hans Zollner ist römisch-katholischer Ordenspriester, Theologe, Psychologe und Psychotherapeut. Außerdem ist er der Direktor des Institute of Anthropology Interdisciplinary Studies on Human Dignity and Care (IADC) der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom.

Christina Zühlke betreibt als Journalistin investigative Recherchen für das ARD-Magazin Monitor  zum Missbrauch in der Kirche und zu Themen wie Polizei oder Rechtsextremismus. Zusätzlich produziert sie des Öfteren Filme und Aufnahmen, in denen sie Menschen über einen längeren Zeitraum begleitet.

Die Diskussion – der Einstieg: Hürden bei Recherchen und wie Journalist*innen damit umgehen

Zu Beginn wurde von der Moderatorin Alexandra Föderl-Schmid der Fall von Kardinal Rainer Maria Woelki im Jahre 2018 angesprochen, bei dem ein Gutachten, das den Umgang des Erzbistums Köln in Fällen sexualisierter Gewalt während der vergangenen Jahrzehnte darlegen sollte, veröffentlicht werden sollte. Dieses Gutachten wurde drei Tage vor der Pressekonferenz, bei der es veröffentlicht werden sollte, doch unter Verschluss gehalten. Betroffene waren empört. Wie sollten Journalist*innen nun vorgehen, wenn der Zugang zu den betreffenden Materialien verwehrt blieb?

Christina Zühlke © Patrick Ausserdorfer

Christina Zühlke traf sich mit dem Betroffenenbeirat, der vom Erzbistum Köln für Betroffene von sexualisierter Gewalt etabliert wurde. Dabei sprach sie mit zwei der Betroffenen, die ihr ihre Sorgen mitteilten und verbrachte damit ein halbes Jahr, um deren Vertrauen zu gewinnen. Daraufhin begann sie mit der Arbeit an dem Film Der Kardinal und die Missbrauchs-Akten – Erfahren die Betroffenen endlich Namen?, der den Betroffenen eine Stimme gab.

Georg Löwisch meinte, dass dieser Fall eine Ausnahme darstelle, da Journalist*innen eine „Vertraulichkeitsklausel“ unterschreiben mussten, um überhaupt Einsicht in die Akten zu bekommen. Er bezeichnete dies als „journalistenfremd“ und warf dem Erzbistum Köln vor, ein „Maulkorbfestival“ zu sein. Allerdings hielten sich nicht alle Journalist*innen an diese Klausel und versuchten, diese Vertuschung zu umgehen. Löwisch sprach davon, dass die Kirche diese Vertuschung anstrebe, um „ihr Image zu retten und somit versucht habe, die Büchse der Pandora geschlossen zu halten.“ Zwar, so meinte er, versuchen verschiedenste Kleriker die Büchse zu öffnen und damit mit Journalist*innen zu reden, sobald sie aber merken würden, dass der Umgang der Thematik in der Öffentlichkeit für die Kirche schwer steuerbar sei, würden sie sofort wieder versuchen, die Büchse zu schließen.

Hans Zollner war der Meinung, dass die Büchse nicht geschlossen bleiben dürfe. Im Gegenteil sprach er sich dafür aus, dass „eine Differenzierung zwischen Menschen vorgenommen wird.“ Laut ihm gibt es sowohl Kleriker, die die Büchse öffnen wollen, Priester, die für die Schließung der Büchse sind, und Geistliche, die sich dem Thema enthalten.

Welche Veränderungen bräuchte es hinsichtlich des Umgangs mit dem Thema?

Was auch heute noch als großes gesellschaftliches Problem wahrgenommen wird, ist, dass es in der Kirche zwar Maßnahmen zur Prävention von sexualisierter Gewalt gibt, jedoch immer noch zu wenig unternommen wird. Wie kann das geändert werden?

Hans Zollner sprach diesbezüglich von einem hierarchischen Problem, denn „Menschen der unteren oder mittleren Ebene gestalten sowohl die Aufarbeitung, die Aufklärung und die Prävention zum Thema sexualisierte Gewalt in der Kirche effizient.“ Dennoch gibt es laut ihm mitunter Kleriker, die aufgrund von Motiven wie „der persönlichen Identifikation und dem Posten in der Kirche, der Überidentifikation mit der Institution der Kirche, verschiedener Verdrängungsmechanismen sowie Mutlosigkeit und Feigheit“ die Aufarbeitung, die Aufklärung und die Prävention verhindern oder sogar blockieren würden. Des Weiteren äußerte sich Zollner zur „Kultur der Rechenschaftspflicht“, die es laut ihm in Italien weder in der Vergangenheit gab noch gegenwärtig in der katholischen Kirche und der italienischen Gesellschaft gibt. Das führe auch heute noch dazu, dass Straftaten vertuscht und unter den Teppich gekehrt würden. Die katholische Kirche müsse sich „als moralische Instanz diese Fehler eingestehen, Reue bekennen und es wiedergutmachen.“ Zur Wiedergutmachung gehöre, die Betroffenen ernst zu nehmen und ihnen Maßnahmen der Hilfe anzubieten.

Wie mischt sich die Kirche in die Berichterstattung ein?

Christina Zühlke zufolge gab es und gibt es gegenwärtig immer noch Versuche von Seiten Geistlicher, Journalist*innen an ihren Recherchen zu hindern und sie von nötigem Material fernzuhalten.

Georg Löwisch erklärte, dass das Fernhalten oder Behindern aber nicht nötig sei, denn sowohl die Namen der Opfer als auch die der Täter würden gegenwärtig abgekürzt und somit nur als Pfarrer U. oder Priester F. abgedruckt. Dies habe unter anderem persönlichkeitsrechtliche Motive, habe jedoch auch als Grund, dass die meisten Missbrauchsanschuldigungen lediglich Vermutungen seien.

Löwisch plädierte auch dafür, dass die Namen von Vertuscher*innen jedoch vollständig genannt werden sollten, da er die Struktur der Vertuschung und die Funktionär*innen und Bischöfe, die hinter der Vertuschung stecken, namentlich nennen wolle. Dies begründete er damit, dass Vertuscher*innen in der heutigen Zeit ein Teil des Problems seien. Die Nennung ihrer Namen sei notwendig, weil „sie die Tat weder verhindert noch Prävention betrieben haben.“

Warum bekennen sich die Täter nicht als schuldig?

„Einzelne Personen in Machtpositionen hätten zwar Menschen viel Leid ersparen können. Aber sie bewegen sich in einem System, das deformiert. Der einfache ethische Grundsatz, dass die Schwächsten zu schützen sind, wird weggeweiht. Ist man Teil des Klerus, wird alles andere wichtiger: das Karrierchen, das Kleidchen mit und ohne Spitze.“

Christiane Florin (Politologin und Journalistin)

Auch Georg Löwisch war der Meinung, dass die Kirche zwar für Nächstenliebe stehe, es aber auch heute noch innerhalb der Institution der Kirche oft nur um Karrieren gehe. „Priestern geht es um Karrieren, denn Bischöfe und deren Ordinariate vertuschen solche Taten, um die Karriere des Täters weiter laufen zu lassen. Schließlich kommt vor der Kirche die Karriere!“ 

Christina Zühlke sprach hierbei auch das Problem an, dass „die Feigheit der Bischöfe dem Mut der Betroffenen gegenübersteht.“ Dabei würden Betroffene allerdings gerne zum Schweigen gebracht und mundtot gemacht.

Wie gehen die Debattierenden mit diesem aufwühlenden Thema der sexualisierten Gewalt durch Priester um?

Georg Löwisch sprach von der Notwendigkeit der Berichterstattung und erklärte außerdem, dass es auch beklemmend sein könne, bei der Recherche die detaillierten Schilderungen in den Gutachten zu lesen.

Christina Zühlke meinte, dass ihr die Betroffenen „als Motivation dienen, sich dem Thema weiterhin zu widmen“, da sie sie als starke Persönlichkeiten ansehe. Die Betroffenen seien auch sehr dankbar für die Aufklärungsarbeiten, sodass das ihrer Arbeit einen Sinn gäbe.

Hans Zollner profitiert hier von seiner psychologischen Ausbildung. Er erklärte, dass er den Kontakt zu verschiedensten Betroffenen in unterschiedlichsten Ländern hege und, dass es bei allen Betroffenen Sensibilität bei der Begleitung und Aufklärung bedürfe. Des Weiteren stelle er fest, dass „die Betroffenen meist nicht gehört werden und deswegen die Aufklärungsarbeit von Seiten der Journalist*innen wichtig sei.“

Abschließende Diskussion mit dem Publikum

„Ein Kind braucht sieben [7!] Erwachsene, bis ihm oder ihr einer glaubt!“

– Hans Zollner

Zum Schluss gab es noch einige Wortmeldungen, die zu einer hitzigen und spannenden Debatte führten. Dazu noch ein spannendes Zitat von Hans Zollner:

„Viele Betroffene werden nie über ihre Erfahrungen sprechen. Die Dunkelziffer der Betroffenen ist um ein zehnfaches höher als die Fälle, welche bekannt sind!
30% aller Betroffenen (der schwertraumatisierten Opfer) kommen gut durchs Leben. Dennoch muss es Konsequenzen für die Täter geben! Die Wahrnehmungsblockaden des Herzens muss man verändern, aber das ist schwierig! Man muss bei Präventionsschulungen in Priesterseminaren das Herz und den Kopf der Geistlichen erreichen!“

Wie kann durch journalistische Arbeit ein Bewusstseinswandel herbeigeführt werden?

Georg Löwisch: „Guter Journalismus heißt dranbleiben und nicht zynisch werden!“

Christina Zühlke: „Als Erstes braucht es einen Personalaustausch in der Katholischen Kirche und für mich als Journalistin ist es ausschlaggebend, Menschen einen Ort zu geben, an dem sie reden können und man muss dranbleiben!“

Hans Zollner: “Dranbleiben! Aber auch an den Punkten wo Veränderungen möglich sind, ansetzen und diejenigen unterstützen, die die Aufklärung, Prävention und Aufarbeitung pushen!“

Vom Do, 12.05.22 bis zum So, 15.05.22 fand in Innsbruck das Journalismusfest statt. Auf vielen verschiedenen Veranstaltungen wurde zu komplexen und aufschlussreichen Themen diskutiert und informiert. Die Zeitlos lässt diese facettenreichen Tage Revue passieren.

Beitragsbild: © Patrick Ausserdorfer vom Journalismusfest

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