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Was, wenn Ungleiches doch gleich ist?

„Five, four, three, two, one. Happy New Year!”. Ein Meer an Ballons steigt zwischen farbenfrohen Glasfassaden von Wolkenkratzern in die Luft. Es ist der erste Januar 2020 und wie in ganz China wird auch in Wuhan das neue Jahr gefeiert. In der fröhlichen Stimmung geht eine Nachricht später am Tag unter. Acht Personen seien dafür bestraft worden Gerüchte über eine unbekannte Lungenentzündung verbreitet zu haben. Diese scheinbar unbedeutende Nachricht an einem Tag, der zum Feiern und Freisein gedacht ist, leitet einen Wandel ein – erst für China und dann für die ganze Welt – und begleitet die Regisseurin des Films In the same breath während der gesamten Dreharbeiten. Nanfu Wangs Dokumentation handelt von politischen Narrativen, der Überforderung des Gesundheitswesens, staatlicher Unterdrückung und ganz persönlichen Geschichten in China und den USA im ersten Jahr der Pandemie. Der Film zeigt wie zwei so unterschiedliche politische Systeme doch ähnliche Muster haben.

In the same breath

Die Dokumentation zeigt, wie der chinesische Staat die Geschichte der Pandemie nach seinen Wünschen mit Hilfe der staatlich kontrollierten Medien formen konnte. Die Ausbreitung des Virus und die Schwere der Krankheit wurden mit positiven Botschaften heruntergespielt. Bis zum Beginn des ersten Lockdowns in Wuhan am 23. Januar 2020 hieß es in den Nachrichten im exakt selben Wortlaut immer wieder, es gäbe „keine Beweise für eine Übertragung von Mensch zu Mensch“.

Der Film hat eine sehr persönliche Note von Nanfu Wang. Immer wieder erzählt sie von ihren eigenen Erfahrungen während der Pandemie. So flog die in den USA lebende chinesische Regisseurin gerade noch vor dem Lockdown aus Wuhan nach New York City. Während ihre Mutter sie aus Wuhan anrief und davor warnte ohne Maske aus dem Haus zu gehen, während Videos von auf der Straße zusammenbrechenden Chines*innen in den sozialen Medien verbreitet wurden, sah für sie in New York die Welt noch normal aus. Die Reaktionen der Regierung sind gegensätzlich zu dem, was in den sozialen Medien gezeigt wird. Also beschließt Nanfu Wang sich auf die Wahrheitssuche zu begeben. Sie engagiert Kameramenschen, die Krankenpfleger*innen, Patient*innen und Angehörige mit ihren ganz persönlichen Geschichten aufnehmen und ein negativeres Bild als das der Regierung zeigen. Der chinesische Staat ließ ebenso die Menschen vor Kameras sprechen, doch hier wurden  nur glückliche Gesichter gezeigt: eine Frau, die trotz Covid-19-Infektion ein Kind gebar, lächelnde Pfleger*innen und zuversichtliche Verwandte.

In the same breath will die festgefahrenen Annahmen, die wir von unseren Regierungssystemen haben auflösen. Die Dokumentation zeigt, wie ähnlich der Umgang mit dem Virus in der Regierung Chinas und der USA war. In China wurde in den ersten zwei Monaten nach der Entdeckung der Lungenkrankheit das Reden darüber untersagt, die Schwere der Infektion wurde heruntergespielt und dann folgte ein plötzlicher Lockdown, der das Leben der Menschen in Wuhan aus der Bahn warf. Drei Monate versetzt, wurde auch in den USA das Virus runtergespielt. Ein Einspieler Donald Trumps, in dem er voller Überzeugung sagt: „It’s just a flu!“, dient Nanfu Wang als Beweis. Die Regisseurin stellt einmal die Zensur Chinas, welche die Bürger*innen daran hinderte die Wahrheit zu sagen, dergrenzenlosen Meinungsfreiheit in den USA gegenüber, die eine angemessene Reaktion auf das Virus verhinderte. Das Krankenhauspersonal in China darf nicht oder nur positiv über das Gesundheitswesen und die Krankheit sprechen, die Pflegekräfte in den USA klagen über schlechte Vorbereitung und Chaos.

Gegen Ende des Films laufen alle gesehenen Szenen rückwärts im Zeitraffer bis die aufsteigenden Ballons der Neujahrsfeier 2020 wieder in die freudig nach oben gestreckten Hände der feiernden Bewohner*innen Wuhans zurückfinden. „This could have begun differently.“ Der Virus, die Pandemie hätten von Anfang an anders gehändelt werden müssen. Doch so war es eben nicht. Der Film endet wieder mit einer Gegenüberstellung: In einer Sequenz zeigt die Regisseurin tausende Menschen auf den Straßen Wuhans, die in das neue Jahr 2021 hineinfeiern. Und ein paar Sekunden später wird den Zuschauenden die traurige Konsequenz der Pandemie vor Augen geführt. Das Meer aus bunten Luftballons wird zu einem Meer aus dunklen Grabsteinen.

Die Regisseurin ist ihrem Instinkt zur Wahrheitsfindung nachgegangen. Sie selbst ist in China aufgewachsen und zog auch aufgrund des Freiheitsversprechens der „neuen Welt“ in die USA. Es scheint, dass auch an Wangs Vorstellung einer perfekten freien Welt gerüttelt wurde. Die Einbindung ihrer persönlichen Geschichte in die Dokumentation ist bewegend und hebt sich ab. Doch es erscheint mir ein wenig naiv von Nanfu Wang zu denken, dass eine offene Kommunikation der Regierung und eine Reisewarnung – wie sie einen verbesserten Umgang mit der Pandemie vorschlägt – einen langfristig großen Unterschied in der Gesellschaft gemacht hätten. Denn wie sie selbst sagt, ist der Durst nach Transparenz in der chinesischen Bevölkerung trotz der Ereignisse nicht stärker geworden.

Gespräch im Anschluss

Wie es sich für das Politfilmfestival gehört, wurden Gesprächspartner mit Expertise für die Diskussionsrunde nach der Vorführung eingeladen. Allerdings entpuppte sich die angekündigte Diskussion mehr als Interview zwischen dem Standard Außenpolitik-Redakteur Fabian Sommavilla und dem ehemaligen Ost-Asien-Korrespondenten Philipp Mattheis. Das Gespräch handelte vom journalistischen Arbeiten in China, dem Ursprung von Covid-19, dem Prinzip Lockdown und der aktuellen Situation in Shanghai. Mattheis kann die erschwerte Arbeit von Journalist*innen im autoritären China, wie sie es auch der Film dargestellt hat, nur bestätigen. Er erklärt, dass in seiner Auffassung die Zensur und die Propagandalinie in China zwischen seinen China-Aufenthalten 2019 und Ende 2020 noch einmal drastisch zunahm. Im Gespräch lässt sich auch Kritik am Film durchblicken. So bemängelt Mattheis, dass die Dokumentation nicht näher auf die Ursprungsfrage des Virus eingeht. Denn der inzwischen berühmte Fischmarkt in der Nähe eines Labors, in welchem auch an Corona-Viren geforscht wurde, stand bei seinem Besuch in Wuhan unter massivster Kontrolle. Außerdem kritisiert der Journalist am Film und gleichzeitig an der heutigen Politik, dass die chinesische Methode des Lockdowns in demokratischen Ländern so schnell übernommen wurde. Seiner Meinung nach müsste eine so freiheitseinschränkende Maßnahme, die aus einem autoritären Staat kommt, stärker hinterfragt werden und zumindest im Nachhinein aufgearbeitet werden. Das fehlt ihm in der Dokumentation.

Die Zero-Covid-Strategie ist in China im Jahr 2022 zurück. Wo in Shanghai im September 2020 noch der Sieg über Corona gefeiert wurde, sind jetzt wieder ganze Viertel eingezäunt. Philipp Mattheis, der selbst einmal in Shanghai gelebt hat, wirft die Frage in den Raum: „Was ist der Preis für die vermeintliche Sicherheit durch einen Lockdown?“ Ist China noch bereit diesen Preis zu zahlen? Mattheis kritisiert, ob wirklich Menschenleben gerettet werden, und spricht von starkem Widerstand gegen den Lockdown, der in der Bevölkerung brodelt.

Das Gespräch im Anschluss mit Philipp Mattheis (links) und Moderator Fabian Sommavilla (rechts) Foto: (c) Alena Klinger

Die Dokumentation In the same breath von Nanfu Wang wurde im Leo-Kino am dritten und letzten Tag des diesjährigen Politfilmfestivals ausgestrahlt. Die Vorführung am 27.04.2022 in Innsbruck war gleichzeitig die Österreich-Premiere des Films.


Beitragsbild: In the same breath

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