Eine Trage in einem Raum, umgeben von monströsen Geräten. Donner grollt; Blitze zucken. Langsam setzt sich die Trage in Bewegung, wird durch Seile emporgehoben, mitten durch eine Luke im Dach. Was folgt, ist ein fürchterliches Knistern. Blitze schlagen ein. Das Publikum ist angsterfüllt, zuckt zusammen. Angespannte Stille. Dann wird die Trage langsam wieder herabgefahren. Erst passiert nichts. Doch dann beginnt die leblose Hand, die von der Trage herunterhängt, zu zittern – zeichnet immer größere Bewegungen nach. Ein greller Ausruf: „It´s alive!“
Diese markante Szene des Horrorklassikers von James Whale, erschienen 1931, prägt bis heute unser Bild von Frankenstein. Grüne Kostüme eines Monsters mit Schrauben im Hals zieren zu Halloween die Schaufenster von Verkleidungsgeschäften. Dass mit Frankenstein aber nicht das eigentlich namenlose Monster, sondern sein Schöpfer gemeint ist, wissen nur die wenigsten. Es ist das klassische Bild eines verrückten Wissenschaftlers, der bis ans Äußerste geht – die Gefahr übersieht. Dass dieser dabei als verrückt gilt, wird von vorneherein in den Raum gestellt, von den Nebencharakteren stets erwähnt und durch sein exzentrisches Verhalten bestätigt. Er selbst ist, wenn nicht im Laborkittel, stets im Anzug. Elegant; dominant. In Begleitung von seinem hinkenden, ängstlichen Assistenten Fritz, der stets gewillt ist, die dreckige Arbeit zu erledigen. Es ist eine Geschichte des Grauens. Die Geschichte von einem Monster, geschaffen durch die Hand eines Menschen, das in mörderischer Rage eine Spur von Tod mit sich zieht.
Dass dieser Film dabei recht wenig mit dem Originalwerk aus der Feder von Mary Shelley zu tun hat, wissen ebenso die wenigsten. Er beruht vielmehr auf dem gleichnamigen Theaterstück von Peggy Webling. Dabei vermag Shelleys Roman es noch viel mehr, uns zu erschrecken und mit Grauen zu erfüllen. Und zwar nicht wegen einer besonders grausamen oder unheimlichen Darstellung der Horrorelemente. Nein, der Horror sitzt viel tiefer, ist viel menschlicher. Es ist eine Geschichte von wissenschaftlicher Verantwortung, von Einsamkeit und Schmerz und konfrontiert uns schlussendlich mit der Frage, wer denn das wahre Monster sei.
Die Idee zu diesem Roman bekam Mary Shelley – damals noch Mary Godwin – im Jahre 1816 als sie gemeinsam mit Percy Shelley den Sommer bei Lord Byron am Genfersee verbrachte. Dieses Jahr – durch den Vulkanausbruch des Tambora, bekannt als das Jahr ohne Sommer – brachte besonders schlechtes Wetter mit sich, wodurch sich die Gemeinschaft gezwungen sah, die meiste Zeit über im Hause zu weilen. Um der Langweile entgegenzuwirken, entstand aus einem freundschaftlichen Wettbewerb mit dem Ziel, die beste Schauergeschichte hervorzubringen, einer der einflussreichsten Romane der Horrorliteratur, das erste Werk der Science-Fiction sowie die erste Erzählung über künstliche Intelligenz. Dabei stammte die Geschichte aus einem Traum der jungen Mary Shelley und enthält einige Motive aus deren ebenfalls tragischem Leben.
Shelleys Figur des Viktor Frankenstein entspricht dabei nicht ganz so dem Klischee eines verrückten Wissenschaftlers, wie der Film es uns glauben macht. Vielmehr erzählt der Roman die Tragödie eines Gelehrten. Viktor ist wissbegierig, liest schon als Kind die Werke der Alchemie, will, um es in Goethes Worten auszudrücken, wissen „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Er studiert, realisiert dass die Theorien der Idole seiner Kindheit überholt sind und stürzt sich in die Naturwissenschaft. Er will die großen Geheimnisse des Lebens und der Natur entschlüsseln – der Menschheit einen Dienst leisten. So entdeckt er schlussendlich das Geheimnis des Lebens und stürzt sich voller Rage in die Arbeit, das Leben selbst zu realisieren.
Unter diesen Umständen entsteht das Monster. Hässlich, denn Viktors Eifer verleitet ihn zur Hast. Nicht umsonst trägt das Werk den Untertitel Oder der moderne Prometheus. Greift den Mythos des griechischen Titanen auf, der den Menschen nach Abbild der Götter aus Lehm geschaffen hat und ihm gleichsam das Feuer von den Göttern stahl, damit dieser sich selbst erhalten konnte. In dieser Erzählung wird Prometheus zum Menschen, findet in der Figur des Frankensteins Anklang und propagiert den Wunsch der Menschheit, etwas über sich hinaus erschaffen zu wollen. Ein Wunsch, der auch in der modernen KI-Forschung zum Tragen kommt.
Doch der Frankenstein aus Shelleys Erzählung weicht in dem Moment der Erweckung von seinem Monster zurück, erkennt seine Hässlichkeit und lässt die Kreatur auf sich alleingestellt. Es kommt zu Morden im Umkreis von Frankensteins Familie. Viktor vergeht vor Kummer und schreibt sich die Schuld dieser Tode selbst zu. Die Lesenden werden bis zu diesem Zeitpunkt in dem Glauben an das Monster als „das Böse“ gelassen. Bis es zu einer Aussprache kommt. Auf einem Berg treffen sich Frankenstein und sein Monster und die Leser*innen erfahren, dass sie es in dem Monster mit einer hochsensiblen, intelligenten Kreatur zu tun haben. Er ist Vegetarier, verabscheut Gewalt und erfreut sich an der Schönheit der Natur, Literatur und Musik. Wonach es ihn sehnt sind Akzeptanz und Liebe. Doch schon seit seinen ersten Augenblicken hat es nur Ablehnung und Hass erfahren. Frankensteins Kreatur fordert eine Braut – jemanden an seiner Seite – und verspricht, sich dafür für immer von der Menschheit zurückzuziehen.
Viktor erkennt in diesem Augenblick das erste Mal, dass er Verantwortung für seine Schöpfung trägt und willigt ein. Doch er sieht sich stets mit Fragen der Moral konfrontiert. Woher kann er wissen, dass sich seine neue Kreatur ebenfalls an diese Abmachung hält? Könnten die Nachkommen der Monster das Menschheitsgeschlecht gefährden? Er sieht sich in seiner Responsabilität gegenüber seiner Schöpfung und der Menschheit hin und her geworfen und zerstört schlussendlich die Braut des Monsters vor dessen Augen.
In diesem Moment wird das wahre Monster geboren – gezeugt aus dem Hass und der Ablehnung seiner Umwelt. Es nimmt Rache und tötet Frankensteins Frau. Was folgt, ist eine Verfolgungsjagd über den gesamten Globus, der mit dem Tod Frankensteins endet. Die Kreatur selbst findet sich in tiefer Reue wieder, will sich selbst hinrichten.
Frankenstein ist keine Erzählung von Gut und Böse. Es ist vielmehr eine Erzählung über die radikale Konsequenz von der Angst vor dem Fremden. Die Geschichte zeigt auf, dass Ausgrenzung Gewalt erzeugen kann und fordert uns im Gegenzug dazu auf, alles Leben mit Respekt zu behandeln. Es liegt auch an uns, uns nicht unsere eigenen Monster zu schaffen!
„Mein Herz war geschaffen für Liebe und Mitleid und es litt schwer darunter, daß ich von einem grausamen Schicksal dazu verdammt ward, meinen Weg durch Blut und Tränen zu gehen.“ -Frankensteins Monster
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