Ich liebe es. Skifahren. Snowboarden. Rodeln. Langlaufen. Skitouren Gehen. Spaß im Winter, in einem Skigebiet, am besten Après-Ski danach, durch Covid eben ein bisschen eingeschränkt. Bier gibt es aber trotzdem und weil nicht so viel los ist, hat man auch am Nachmittag noch beste Pistenverhältnisse und keine Menschenmassen. Ein wahres Vergnügen – doch zu welchen Preis?
Der Schnee ist gut dieses Jahr, denke ich mir, obwohl ich schon in kurzen Ärmeln am Sonnendeck gesessen habe – und das im Januar! –Ich steige in die Bindung, um zum Sessellift zu kommen, der mich weiter hoch, in den tieferen Schnee und die kühlere Temperatur bringt. Oben ist es traumhaft: perfekte Aussicht auf nicht mehr ganz so weiße Bergspitzen, auf das Inntal und die fast schon frühlingshaft anmutenden Grünflächen im Tal. Die präparierten Pisten sind gut, offroad fahren kann man vergessen – aber das mochte ich eh nie so gern und finde es daher ganz entspannt, nicht von Freund*innen dazu überredet zu werden, mich den nächsten Tiefschneehang hinunter zu quälen. Am Abend gehe ich nach ein, zwei Weißsauer nach Hause. Es ist dunkel und ich höre ein monotones Geräusch vom Skigebiet kommen: Schneekanonen, die die Grasflächen auf den Pisten für den nächsten Tag zudecken und durch deren Schnee auch die Talabfahrt perfekt befahrbar wird.
In den Tiroler Alpen wurde 2013 die Zahl der Schneekanonen auf 20.000 geschätzt. Auf 70 % der Pistenflächen in Tirol kommen Schneekanonen zum Einsatz. Manche Zahlen geben sogar an, dass 80 % der beschneit werden (könnten). Schneekanonen gibt es seit den 70er Jahren in Europa. Der Hauptgrund für ihre Einführung war der Schneemangel. Mit Hilfe von technischer Beschneiung soll der Tourismus aufrecht erhalten bleiben, das Einkommen in diesem Sektor gesichert und die Wettbewerbsfähigkeit garantiert werden. Dabei sind die Beschneiungskosten enorm. Laut WKO wurden seit 2008 „mehr als 800 Millionen Euro in die Schneesicherheit für den Gast investiert.“ Wenn die Website dies so beschreibt, wird die Verantwortungsfrage verschoben – für „den Gast“ wird beschneit, „der Gast“ braucht den Schnee und all der Aufwand wird wegen „dem Gast“ betrieben. Dabei bleibt unbeachtet, dass erstens, natürlich auch Einheimische den Kunstschnee nutzen und zweitens, die gesamte, auf weniger sanften Tourismus ausgerichtete, Branche davon profitiert, dass Personen nicht nur zwischen Jänner und März Skifahren können, sondern von November bis April. So kann durch den Wintersport in einer Saison ein Bruttoumsatz von zirka 11 Milliarden Euro erzielt werden.
Kunstschnee versus Naturschnee
Die Herstellung von Kunstschnee ist in der Theorie gar nicht so kompliziert. Gebraucht wird Wasser aus einem Speichersee, das weniger als 2 Grad hat, Luft, am besten relativ trocken und kälter als 4 Grad sowie Energie. Das Wasser wird bei Niederdruckanlagen, das ist eine Variante von Schneekanonen, mit einem strombetriebenen Propeller in die Luft gesprüht, wo ein Teil davon verdunstet und die Luft abkühlt. Das restliche Wasser gefriert, und daraus entsteht dann der bekannte Kunstschnee. Das klingt ja gut, sage ich mir selbst; Wasser und Luft sind natürliche Stoffe am Berg versprüht werden. Da fahr‘ ich doch mit gutem Gewissen auf den manchmal zwar eisigen, aber wenigstens weißen Pisten.
Dieser technisch erzeugte Schnee ist aber nicht identisch mit dem, der vom Himmel fällt. Er hat eine andere Struktur als der echte Schnee. Die Kristalle sind nicht sechseckig, sondern eher rund. Dadurch ist er weniger luftdurchlässig und kompakter, damit auch weniger wärmedämmend. Durch die Pistenpräparation wird er noch mehr verdichtet. Das kann zur Folge haben, dass Pflanzen, die darunter liegen, ersticken, erfrieren und absterben. Die Ausaperungszeit (also die Zeit, in der der Schnee schmilzt und die darunter liegenden Bereiche wieder frei werden) der beschneiten Flächen ist auch länger, weil der Schnee langsamer schmilzt. Besonders in höheren Lagen wird das zum Problem, weil dort die Zeit, in der Pflanzen wachsen kürzer ist als im Tal. Das hat auch eine Auswirkung auf die Tiere, die in diesen Höhenlagen leben.
Auch die Schmelzwassermenge verändert sich durch Kunstschnee. Das Abschmelzen dauert, so eine Studie zu Auswirkungen der künstlichen Beschneiung von Skipisten auf die Umwelt Jahr 1999, etwa 5 bis 15 Tage länger, womit sich die Schmelzzeit nach hinten verschiebt – in den Frühling, wenn es wärmer ist und das Abschmelzen umso schneller vonstattengeht. Es schmilzt also mehr Schnee innerhalb eines kürzeren Zeitraums. Bei einer wenig bewachsenen Piste führt das zu einer erhöhten Wasserbelastung im Boden und bedeutet in weiterer Folge ein gesteigertes Risiko für Erosionen. Um an dieser Stelle noch einmal die WKO zu zitieren, „werden [die künstlich erzeugten Schneekristalle] über den natürlichen Wasserkreislauf (Schmelzwasser) wieder zurückgeführt.“ Und naja, denke ich mir, wenn dann der Schnee ausapert, muss ich eh nicht mehr Skifahren gehen, im April ist meine Ski-Phase vorbei. So sehe ich auch die Erosionen nicht – und was machen schon so ein paar Hangrutsche, das passiert doch überall, auch ganz natürlich.
Energie
Der Strom, der in Tirol gebraucht wird, um Wasser in die Anlagen zu pumpen und dann fein zu zerstäuben kommt laut einer Studie aus dem Jahr 2017 höchstwahrscheinlich zu 92% aus erneuerbaren Energien. Dennoch darf nicht unbeachtet bleiben, wie viel Strom gebraucht wird. Die WKO schreibt dazu: „Pro Skifahrer und Tag nur 4,2 kWh. Ein PKW kommt mit 4,2 kWh nur 6km weit!“ – das klingt ja erstmal wirklich gut, mein schlechtes Gewissen ist beruhigt. Aber dann denke ich nach: In Ischgl gibt es ungefähr 12.000 Gästebetten. Nehmen wir mal an, es sind nicht alle belegt und kommen damit auf 10.000 Gäste in der Hauptsaison pro Nacht. 10.000 Gäste brauchen nun pro Tag und pro Person im Skigebiet 4,2 kWh – hochgerechnet sind das 42.000 kWh. Ich kann mir darunter nichts vorstellen. Also suche ich weiter im Internet und stoße auf folgende Zahl: Ein Vier-Personen-Haushalt braucht im Durchschnitt 4200 kWh pro Jahr – das heißt, denke ich erschrocken, mit den Personen, die an einem Tag in Ischgl nächtigen und Skifahren, könnten 10 Vier-Personen-Haushalte ein Jahr lang mit Strom versorgt werden. Aber gut, meine 4,2 kWh sind schon noch verkraftbar – oder?
Mein schlechtes Gewissen quält mich und in mir kämpft meine Moral gegen meine Freude am Skifahren. Ich bin hin- und hergerissen zwischen Spaß und Pflichtbewusstsein und fühle mich unwohl in dieser Position. Also schreibe ich E-Mails – 24 an der Zahl. Ich schreibe an Skigebiete, Tourismusverbände, technische Firmen, an die Abteilung Tourismus vom Land Tirol, an Privatpersonen. Ich werde weitergeleitet von A nach B, von B nach C und von C wieder nach A. Zwei Personen antworten auf meine Fragen: Herr Mag. Michael Rothleitner, der seit 2016 die Leitung des Schneezentrum Tirol innehat und Ing. Irene Welebil, MSc, die im Bereich Raumplanung und Naturschutz beim Alpenverein tätig ist. Dafür bin ich sehr dankbar, weil es mir das Gefühl gibt, mich mit meinen Gedanken an jemanden wenden zu können.
Aber ich bin mir nicht sicher, ob mich die Antworten beruhigen oder ob sie mir ein noch schlechteres Gewissen machen. Die Positionen sind sehr unterschiedlich und zeigen verschiedene Perspektiven auf. Überraschend ist das nicht. Zu lesen gibt es die sehr interessanten Interviews morgen (22.02.2022 – hier), aber einen kleinen Auszug haben wir schon heute für euch.
Die Zeitlos: Welche Folgen hätte das Verbot von technisch erzeugtem Schnee?
Irene Welebild: Es hätte zur Folge, dass wieder mehr Wasser den Flüssen und den Tieren, die dort leben, zur Verfügung stehen würde. Es wäre auch mehr Wasser für die Stromproduktion durch Wasserkraft verfügbar. Die Vegetationszeiten auf den Pistenflächen wären wieder länger, die Flora hätte wieder mehr Zeit, sich zu entwickeln, die Artenvielfalt auf den Pistenflächen würde sich möglicherweise regenerieren. Der Strom- und CO2-Verbrauch würde sich reduzieren, da kein Strom mehr für die Beschneiung gebraucht würde und nicht mehr so viele Lifte in Betrieb wären. Das würde bedeuten, dass weniger neue Kraftwerke gebaut werden müssten. Die Straßen wären möglicherweise leerer, weil nicht mehr so viele Leute in die Skigebiete pilgern würden. Die Anzahl der Skitourengeher*innen würde noch stärker steigen – die Alpenbewohner*innen und Urlauber*innen würden langfristig auf Sportarten umsteigen, die dem Klima angepasst sind. Der Sommertourismus würde den Wintertourismus ganz von alleine ablösen… Und ja, niedrig gelegene Skigebiete müssten zusperren und sich Alternativen zum Skitourismus überlegen. Die hochgelegenen Gletscherskigebiete würden vermutlich noch ein paar Jahre davon profitieren, aber das wäre vermutlich nur eine Frage der Zeit.
Michael Rothleitner: Die Talschaften Tirols aber auch vieler anderer Alpenregionen würden einen, wenn nicht sogar den wesentlichsten Teil ihrer Erwerbsmöglichkeiten verlieren. Die Bevölkerung würde abwandern, enorme Probleme am Arbeitsmarkt wären ebenso eine Folge wie die in der Eigentümer- und Vermögenstruktur des Landes, der Katastrophenschutz wäre kaum bis gar nicht finanzierbar.
Ergänzung der Redaktion: Herr Rothleitner hat Die Zeitlos in einer E-Mail darauf hingewiesen, dass die zitierte Studie von Newesely 2018 von ebendiesem selbst als möglicherweise falsch kommentiert wurde und sich dadurch die “Täterrolle” des Kunstschnees verschoben hat.