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Eine Achterbahnfahrt – Joe Bidens erstes Jahr als Präsident

Bild: Gayatri Malhotra/Unsplash

Ein Jahr ist nun vergangen seit Joe Biden vor dem Kapitol in Washington seinen Schwur abgelegt hat. Ein Jahr der Veränderung. Ein Jahr des Aufbruchs. Ein Jahr der Erleichterung, dass er nicht Trump ist. Ein Jahr des 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Biden hat sich für seine Präsidentschaft viel vorgenommen. Aber was hat er bisher geschafft?

Joe Biden – ein Mann mit großen Zielen

Dass Joe Biden groß träumt, wird schnell klar, wenn man einen Blick auf sein bisheriges Leben wirft. Allein für die Präsidentschaft kandidierte er insgesamt dreimal: 1987 scheiterte er wegen Plagiatsvorwürfen, 2007/08 wurde er Vize von Barack Obama und 2019 schaffte er die Kandidatur endlich selbst – wenn auch sein Aufschwung erst kurz vor dem Super Tuesday kam.

Joe Biden ist ein Mann, der einiges an Lebenserfahrung mit ins Amt bringt. Nicht nur beruflich, sondern auch privat musste er mit vielen Rückschlägen, Krisen und Tragödien umgehen. Der Tod seiner ersten Frau Neilia und seiner Tochter Naomi durch einen Autounfall 1972, sowie der seines Sohnes Beau, den er erst 2015 an einen Hirntumor verlor, haben ihn schwer getroffen und geprägt. Und so wurde er für die Welt schnell Sinnbild des Leids und der Bewältigung davon. Er hat diese Rolle nicht selbst gewählt. Sie hat ihn gefunden und er wäre dumm, wenn er sie nicht in Form eines verständnisvollen und empathischen Brückenbauers für sich nutzen würde. Und so verspricht er den Wähler*innen in seinem Wahlkampf 2019/2020: Ich verstehe euch, ich bin für euch da.

Aber ist er das wirklich?

„To restore the soul and secure the future of America requires so much more than words. Requires the most illusive of all things in the world: unity. Unity.“

Joe Biden, 20.01.2021

Bekennung zur NATO, Wiedereintritt in das Pariser Klimaabkommen und Stopp des Mauerbaus – Bidens Erfolge

Widmen wir uns also zunächst den positiven Aspekten seines ersten Amtsjahres. Spätestens seit dem Super Tuesday steht Joe Biden bei der demokratisch zugewandten Bevölkerung für Hoffnung und Aufbruch. Trump hatte sich von der Klimapolitik abgewandt, den menschengemachten Klimawandel sogar geleugnet, innige Beziehungen zu autoritären Machthabern geführt und den Rassismus angestachelt.

Bereits in seinem Wahlkampf und den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit ging Biden mit entschiedenen Schritten gegen die Handlungen seines Vorgängers vor. Er machte die afroamerikanische und asiatische Amerikanerin Kamala Harris zu seiner Vizepräsidentin. Eine Frau, die eine große Bevölkerungsgruppe in den USA verkörpert und ihn im Wahlkampf scharf wegen früherer Aussagen im Senat kritisiert hatte, damit sandte er gleich mehrere Zeichen in die Welt. Das Zeichen, dass jeder Mensch es schaffen kann, ganz oben anzukommen, ganz egal, welches Geschlecht oder welche Hautfarbe. Und das Zeichen, dass er abweichende Meinungen wertschätzt.

Am Tag seiner Amtseinführung, nur wenige Stunden nach der Zeremonie, unterzeichnete Biden ganze 17 Dekrete, von denen fast jedes Entscheidungen von Trump rückgängig machte. Biden trat dem Pariser Klimaschutzabkommen und der WHO wieder bei, er bekannte sich zur NATO und verfügte einen sofortigen Baustopp für die Mauer an der Grenze zu Mexiko. Auch die Aufhebung geltender Einreisebeschränkungen, den Stopp einer Gas-Pipeline und die Einführung einer bundesweiten Maskenpflicht zur Bekämpfung der Corona-Pandemie beschloss er bereits an seinem ersten Amtstag.

Während seiner ersten 100 Tage erreichte er zudem rund 230 Millionen Impfungen – mehr als doppelt so viele, als er sich eigentlich vorgenommen hatte. Mit dem Auszug Trumps ist auch der offenkundige Rassismus aus dem Weißen Haus verschwunden, wegen dem sich laut dem Edison-Exit-Poll rund 20% der Wähler*innen für Biden entschieden hatten. Natürlich ist aber der strukturelle Rassismus im Land deswegen noch lange nicht Geschichte, auch wenn Biden versprochen hat, diesen zu bekämpfen.

Corona-Pandemie, Truppenabzug aus Afghanistan und der Fall von Kabul – Bidens Niederlagen

Doch wieso sind dann Bidens Zustimmungswerte schon seit einiger Zeit dermaßen im Keller? Mehr als die Hälfte der Amerikaner*innen ist unzufrieden mit ihrem Präsidenten – noch schlechter sahen die Umfragen nur für Trump aus. Die Bevölkerung ist unzufrieden. Sie hatten sich mehr von ihrem neuen Präsidenten gewünscht, aber nun spüren sie keine Veränderung. Die großen Versprechen Bidens – sie kommen nicht bei der kleinen Ortsgemeinschaft an.

Die Corona-Pandemie, von der Biden versprochen hatte, sie zu beenden, flacht trotz der vielen Impfungen nicht ab. Im Gegenteil, die Zahlen sind mit einer 7-Tage-Inzidenz von über 1.600 auf einem Rekordhoch. Zusätzlich steigt die Inflation und das Geld der Menschen wird immer weniger wert. Auch die Schwarze Bevölkerung, die hauptsächlich Biden gewählt hat, ist enttäuscht von den fehlenden konkreten Maßnahmen gegen den Rassismus und der nicht angegangenen Polizeireform.

Auch die mangelnde Präsenz der Vizepräsidentin Kamala Harris wird Biden immer wieder vorgeworfen. Ihr wurden zu Beginn der Amtszeit wichtige Aufgaben übertragen, wie die Wahlrechtsreform und die Zusammenarbeit mit den Regierungen von El Salvador, Guatemala und Honduras, um zu verhindern, dass sich so viele Migrant*innen auf den Weg in die USA machen. Dass ein*e Vizepräsident*in so aktiv in die Amtsgeschehnisse eingebunden wird, ist dabei sehr ungewöhnlich, da ihre Aufgaben ursprünglich vor allem darin bestehen, den Präsidenten hinter verschlossenen Türen zu beraten. Eigentlich ist die Öffentlichkeit somit nicht Harris‘ Aufgabe, doch durch die ihr zugeteilten Themen ist Aufmerksamkeit fast unvermeidbar. So dringen immer wieder Informationen von Personalwechseln innerhalb ihrer Zuständigkeitsbereiche nach Außen und böse Stimmen, sie habe ihr Amt nicht richtig im Griff, werden lauter.

Außenpolitisch betrachtet hat Biden 2021 aber einen besonders harten Rückschlag einstecken müssen, indem er am Truppenabzug aus Afghanistan festgehalten hatte. Voller Unverständnis beobachtete die Weltgemeinschaft im Sommer, wie die US-amerikanischen Soldaten nach und nach aus dem Land verschwanden und es sich selbst überließen. Nur wenige Tage nachdem der letzte Amerikaner Afghanistan verlassen hatte, hatten die Taliban Kabul eingenommen. Widerstandslos. Biden beteuert bis heute, dass er den Abzug trotzdem nicht bereue. Er wollte seine Truppen dort herausholen und das hat er getan und er trage die Verantwortung.

Nicht nur schwarz oder weiß – Bidens Kompromisse

Wie so oft gibt es auch bei Joe Bidens bisheriger Amtszeit Bereiche zwischen Pro und Contra. So auch mit den aktuellen Entscheidungen im Kongress, für die er sich stark macht. Verabschiedet wurde bereits im März ein 1,9 Billionen Dollar schweres Konjunkturpaket. Der American Rescue Plan soll unter anderem ganz direkt Haushalte unterstützen, aber auch die Bundesstaaten und Kommunen. Auch umfassende Investitionen in Bildung und Verkehr, die Krankenversicherung und die Bekämpfung der Corona-Pandemie werden dadurch abgedeckt. Nach Ansicht der Republikaner*innen fallen diese Hilfen viel zu hoch aus. Und ob die Gelder tatsächlich dort ankommen, wo sie gebraucht werden, muss sich noch zeigen. Der Beschluss wurde allerdings verhältnismäßig schnell verabschiedet.

Schwieriger sah es da bei dem großen Infrastrukturprogramm aus. Monatelang hatte Biden im Kongress für dieses innenpolitische Kernvorhaben gekämpft. Selbst innerhalb der knappen Mehrheit der Demokraten gab es Reibereien. Den Parteilinken gingen die Maßnahmen nicht weit genug, den Konservativen dagegen zu weit. Biden versuchte lange, die Lager zu versöhnen und musste sich letztendlich mit einem Kompromiss zufriedengeben: das Sozial- und Klimapaket wurde auf die Hälfte der ursprünglichen Investitionen reduziert. Im November wurde das Programm mit einem Umfang von insgesamt über einer Billion Dollar dann endlich beschlossen. Jetzt muss Biden den Amerikaner*innen nur noch deutlich machen, wem sie die Hilfen zu verdanken haben.

Wie geht es jetzt weiter? – Bidens Zukunft

Joe Biden steht unter Zeitdruck. Schon bald sind Zwischenwahlen und darum wäre es zu seinem Vorteil, wenn er es bis dahin schafft, seine Wähler*innen erneut zu mobilisieren. Traditionell liegt die jeweils andere Partei bei den Midterms vorne und durch die Ernüchterung im Land sind die Republikaner*innen momentan sowieso auf einem Aufschwung. Biden steht also unter Zugzwang, die Bürger*innen daran zu erinnern, wer die Alternative zu ihm ist. Und von Trump sind die meisten trotz Unzufriedenheit mit der aktuellen Lage immer noch keine Fans.

Bidens bisherige Amtszeit war eine Achterbahnfahrt. Von ganz oben ging es ziemlich schnell Richtung Boden der Realität. Bleibt zu hoffen, dass das noch nicht das Ende der Fahrt ist.

Beitragsbild: Gayatri Malhotra/Unsplash

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