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Gewalt digital

Wenn wir an Bedrohung und Gewalt denken, dann oft als (direkte) Auswirkung auf den Körper. Bevor an psychische Gewalt gedacht wird, wird zunächst an die physische gedacht, wenn Bedrohung herrscht, dann ist der Körper in Gefahr. Dass all dies aber auch digital auf das Innerste des Menschen wirken kann, zeigt uns der Tod einer Ärztin aus Oberösterreich. Ein Kommentar.

Schlagzeilen, die in den letzten Tagen und Wochen zumindest in Österreich fast jede*r gelesen hat:

Die Ärztin Lisa-Maria Kellermayr wurde tot aufgefunden, mit großer Wahrscheinlichkeit kann Fremdverschulden ausgeschlossen werden. Die junge Frau (36) habe sich selbst das Leben genommen, so berichten verschiedene Zeitungen, Social-Media-Kanäle sind voll mit Kommentaren dazu und auch aus Seiten der Politik gibt es Reaktionen.

Die Ärztin erhält monatelang Morddrohungen „aus der Covid-Maßnahmengegner- und Impfgegner-Szene“, wie auf ihrer Website steht. Kellermayr lebt förmlich in ihrer Praxis, verschanzt sich in der Mitarbeiter*innenküche und verlässt das Gebäude kaum noch. Schließlich wird die Bedrohung zu groß, die Geldressourcen, um sich selbst zu schützen sind kaum noch vorhanden und sie muss ihre Praxis schließen. Ende Juli nimmt sie sich selbst das Leben.

Viele Ereignisse vor und nach dem Tod der Ärztin können ,als eine Kette von Fehlern betrachtet werden. Begonnen hat vieles damit, dass die Polizei auf Twitter keine Richtigstellung zu einem Tweet gemacht hat. Dieser Tweet beinhaltete eine Meldung, dass Falschinformationen über Proteste von Coronaleugner*innen verbreitet wurden – Proteste, die auch Kellermayr auf der Social-Media-Plattform kommentiert hatte. Daraufhin bekam die Ärztin erste Hassnachrichten. Kellermayr wandte sich daraufhin an die Polizei und die Ärztekammer, wo sie in ihren Augen zu wenig Unterstützung bekam. Ihr wurde vorgeworfen, sich zu sehr in die Öffentlichkeit zu drängen – sie würde übertreiben, hieße es. Daraufhin teilte sie die Morddrohungen auf ihrer Website. Sie solle nicht mehr ihre Meinungen und Erfahrungen zu Covid in den Sozialen Medien teilen, wurde ihr geraten. Aber Kellermayr teile ihre Expertise weiterhin mit der Online-Community und berichtete auch über die Morddrohungen. Ihr Verhalten wirkt verständlich: Wer Solidarität aus Social-Media-Kanälen erfährt, teilt. Menschen sind, besonders in bedrohlichen Situationen genau auf diese Solidarität angewiesen. Und wer keine Unterstützung von eigentlich professionell Unterstützenden erfährt, sogar einen eigenen riesigen Mehrkostenaufwand für den Selbstschutz aufwenden muss, holt sich Solidarität an anderer Stelle. Als sich die Hacktivistin (Komposition aus Hackerin + Aktivistin) „Nella“, welche im Internet auf den Fall aufmerksam geworden ist, einschaltet und zwei vermeintliche Täter ausmacht, wird sie ignoriert und die Strafverfolgung eines weiteren Täters wird eingestellt. Nach dem Tod der Ärztin werden Teile ihres Abschiedsbriefs veröffentlicht, in der Coronaleugner*innen- und Impfgegner*innen-Szene wird sie verlacht.

Wie man an den Geschehnissen rund um Lisa-Maria Kellermayr sieht, spielt das Internet eine sehr zentrale Rolle. Dort äußerte sich die Ärztin aber auch die Polizei regelmäßig, dort wurde Nella, die Hacktivistin auf den Fall aufmerksam, dort werden Beileidsbekundungen aber auch Hassnachrichten kommentiert. Das Internet – der Raum der anonymen Meinungen in dem sich mittlerweile fast alle Menschen äußern können. Der Ort, an dem sich Falschmeldungen rasend schnell verbreiten können und wo sich Gruppen wie Coronaleugner*innen überhaupt erst bilden. Ich wage zu behaupten, dass erst durch das Internet ermöglicht wird, dass sich Gruppierungen wie diese zusammenschließen können. Auf Kanälen wie Telegram hetzten sich Menschen gegenseitig auf und dieser eine „schwurblige“ – wie in Österreich so schön gesagt wird – Onkel findet in Foren im Internet plötzlich Zustimmung.

Auch an Geschlechterrollen denke ich in diesem Zusammenhang. Kellermayr als ÄrztIN wird vorgeworfen, zu problematisieren, zu übertreiben. Die hysterische Frau. Hysterie, abgeleitet vom altgriechischen Wort für Gebärmutter. Die laute, zickige, problematisierende, sich ins Rampenlicht stellende Frau. Sie wird von verschiedensten Institutionen ignoriert beziehungsweise nicht ernst genommen. Ja sogar von den eigentlich zuständigen Polizeikommandant*innen lächerlich gemacht. Dass ihr von einer weiblichen Hacktivistin geholfen wurde, erscheint passend, dass sie (noch unbestätigt) vermutlich von Männern bedroht wurde, ebenso. Die vermeintlichen Täter aus der rechten Szene nahmen sich die Freiheit, online (und anonym) eine junge Ärztin anzugreifen– vielleicht auch ein Zeichen der Schwäche ihrerseits. So werden die Mails zwar mit Klarnamen unterschrieben, der ist aber ganz klar falsch. Die Täter verstecken sich hinter falschen Identitäten, stehen nicht persönlich für ihre Taten ein. Hilfe kommt dann von einer Frau – Nella. Sie bietet sich und ihre Fähigkeiten kostenfrei an und unterstützt Kellermayr. Die helfende Frau, der gewaltvolle Mann – wie passend (die Ironie hier sollte natürlich wahrgenommen werden. Ich will keinesfalls pauschalisieren oder Essentialisierung betreiben).

Nach ihrem Tod kommt es zu riesigen Wellen der Solidaritätsbekundungen. Auf Gedenkfeiern in Wien, Graz und Wels halten Menschen Kerzen in die Luft und legen Blumen nieder. Neben vielen trauernden Menschen kann diese Welle auch ein Ausdruck von Scham sein, weil Menschen sich bewusst sind, dass auch sie schon negative Kommentare im Internet hinterlassen haben. Auch wenn bestimmt ein Großteil der Menschen keine Morddrohungen per E-Mail versendet hat, wird zumindest mir bewusster, wie gefährlich es sein kann, irgendwo anonyme Botschaften zu hinterlassen. Seien es auch nur Google-Rezensionen, in die man schreibt, dass das Restaurant schlecht war oder die Ferienwohnung dreckig – eigentlich berechtigte Beschwerden und vielleicht auch hilfreiche Hinweise. Man weiß jedoch nie, wen diese Kommentare treffen. Und jetzt spreche ich noch gar nicht von Kommentaren und Instagram-Posts oder Hassnachrichten auf Twitter, denen viele – besonders bekanntere Social-Media-Personen –ausgesetzt sehen. Was in der Frau vorgegangen ist, kann man nur erahnen. Was in dir vorgeht, weißt du am besten. Achte darauf, wie du Dinge formulierst und überlege genau, ob bestimmte Kommentare notwendig und sinnvoll sind. Denk darüber nach, ob du dich nur hinter Anonymität versteckst oder ob du deine Meinung auch face-to-face äußern würdest. Obwohl Lisa-Maria Kellermayr sich selbst das Leben genommen hat, ist die eigentlich tötende Instanz eine Gesellschaft und ein Staat, der sie nicht schützen konnte oder wollte.

Das sollte jedoch auf keinen Fall bedeuten, dass nicht geschützt werden kann. Wenn dir jemals etwas in der Art passieren sollte, gibt es verschiedene Möglichkeiten, zu reagieren. Melde Hasskommentare auf Sozialen Medien, sperre E-Mail-Adressen und Nutzer*innen die solche Beiträge hinterlassen – nicht nur bei dir selbst, sondern auch wenn es dir auffällt. Wenn es um strafrechtlich relevante Beiträge geht, können sie auch bei der Polizei angezeigt werden. Auf der Website von SaferInternet.at gibt es eine Liste von Organisationen, die bei Bedrohung aus dem Netz beraten.

Und wenn du dich in einer Situation befindest, die dich Suizid in Betracht ziehen lässt, gibt es auch Menschen, an die du dich wenden kannst:

Psychiatrische Soforthilfe (immer): 01/313 30

Sozialpsychiatrischer Notdienst (immer):  01/310 87 79

Kriseninterventionszentrum: 01/406 95 95, kriseninterventionszentrum.at

Rat und Hilfe bei Suizidgefahr: 0810/97 71 55

Telefonseelsorge (immer): 142

Weitere interessante Website sind: bittelebe.at, Verein für Lebensmut


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