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El Hierro – eine wahrlich unvergessliche Reise

Schöne Zeiten vergehen wie im Flug und die einzelnen Momente haben es an sich, miteinander zu verschwimmen zu einem einzigen gedehnten Tag, dessen Verläufe nur mehr zu erahnen sind. Daher können im Folgenden nur herausstechende Erlebnisse und Eindrücke wiedergegeben werden, die aber ein Mosaik an glitzernden Steinchen ergeben – eine Discokugel aus Urlaubserinnerungen.

Diese kanarische Insel El Hierro ist zugleich der süd-westlichste Teil Spaniens hat uns verzaubert, uns zehn wunderschöne Tage geschenkt und zu guter Letzt auf der Rückfahrt ausgespuckt. Ihre zunächst karg erscheinende Landschaft entpuppt sich als bunt und kräftig, sie schmückt sich mit Mango-, Papaya-, Ananas-, Bananen- und Feigenbäumen. Hier wachsen gefüllte Obstkörbe, flankiert von Pinien- und Lorbeerwäldern. In einem paradiesischen Ausblick bricht der Atlantik in hohen Wellen an der Küste und spült bei Flut Schaumkronen über das schwarze Gestein.

Wir werden hier die nächsten zehn Tage damit verbringen, die abgelegenen Badebuchten (charcos) zu besuchen und uns kulinarisch durch die Atlantikküche zu probieren. Die locals, also die Herreños weihen uns begeistert von unseren Spanischkenntnissen sogleich in Geheimtipps über Aussichtspunkte und Touren ein.

Erstaunlich sind nicht nur die geringen Preise für Getränke (Cappuccino 1,80 Euro, ein Bier 2 Euro), sondern auch die vielen kostenlosen Leistungen wie öffentliches Parken, natürlich die frei hängenden Früchte an den Bäumen oder auch das Trinkwasser, das jede*r sich gratis an einer Quelle abfüllen kann. Wegen der tendenziell hohen Brandgefahr werden in den Pinienwäldern die Nadeln sowie Holz gesammelt, im Winter kann sich die Bevölkerung einfach so ihr Brennmaterial abholen. Riecht es nach Rauch, so handelt es sich um Leute, die an den vorgesehenen Grillstellen kostenfrei ihre mitgebrachten Mahlzeiten zubereiten. Auch hier liegt das Holz stapelweise zur freien Entnahme.

Nach einer kurzen Orientierungs- und Ankommensphase passen wir uns dem Rhythmus der Herreños an, frühstücken erst spät und fahren nachmittags von einem Charco zum nächsten. Hier orientiert man sich nicht nach dem Thermometer, sondern nach anderen Maßstäben: den Gezeiten und der Windstärke. Manche dieser natürlichen Pools sollte man nur bei Ebbe, andere nur bei Flut besuchen, da davon gefährliche Strömungen abhängen. Der Passatwind, der mit einer Geschwindigkeit zwischen 15 und 70 km/h vom Meer herfegt, kühlt einerseits die Luft stark ab, zwingt einen andererseits aber dazu, die Kopfbedeckungen gut festzuhalten. Lässt man bei der Autofahrt jedoch die Fenster geschlossen, so bemerkt man die Stärke der Sonne und gerät doch recht schnell ins Schwitzen. Den Elementen ist man hier spürbar ausgesetzt. Neben dem Wind, den Wellen und der starken Sonne prägt auch der Lavastein die Landschaft und die Architektur. Die Häuser, Mauern und sogar Vorgärten sind mit diesem Gestein gebaut und verziert.

Einen bedeutenden Teil des Strandurlaubs macht selbstverständlich auch die Küche aus. An erster Stelle zu nennen sind die berühmten Käsekuchen (quesadillas). Diese Süßspeise macht einen großen Teil des Nationalstolzes der Herreños aus. Auch wir haben uns täglich damit für Ausflüge eingedeckt. Abends essen wir vor allem Fisch und Salzkartoffeln, die traditionsgemäß aus Wasserknappheit in Meerwasser gekocht werden (papas arrugadas), aber auch Muräne und Käse mit Honig aus dem Ofen bestellen wir nicht nur einmal.

Die Zeit hier ist gut gefüllt mit Ausflügen, Wanderungen und einer Nachtführung beim Observatorium von El Hierro. Wir schätzen angesichts des vielen Tourismus in Tirol insbesondere die Abgelegenheit und Ursprünglichkeit, die weit weg von den knalligen Bespaßungsangeboten auf Teneriffa liegen. Gerade die nächtliche Führung beim Observatorium, die ein pensionierter Physiklehrer aus Leidenschaft und ohne Vergütung hält, stellt zwar meine Spanischkenntnisse stark auf die Probe, doch er fesselt uns mit seinen Erklärungen über unsere Galaxie und zeigt uns den Saturn und die Milchstraße, welche man mit freiem Auge sehen kann. Mit glänzenden Augen stellt er uns dar, wie klein Alltagsprobleme und auch die globalen Konflikte eigentlich sind, wenn man sie in Relation zu den Abläufen im übrigen Universum betrachtet. Auch zeigt er uns stolz das erste Selfie der Erde, das von einer Erkundungssonde geschossen wurde. Diese neue Perspektive sollte bei der Heimreise jedoch stark strapaziert werden.

Wenngleich es schöne Urlaube an sich haben, dass einem der Abschied einen kleinen Stich gibt, wäre dies hier eine gnadenlose Untertreibung. Nun muss man wissen, dass man nach El Hierro nicht direkt fliegen kann, sondern auf Teneriffa auf die kanarischen Flieger von Canair umsteigen muss. Um unser ökologisches Gewissen zu erleichtern, treten wir die Rückreise nach Teneriffa mit der Fähre an – großer Fehler. Starker Wind bedeutet auch hohe Wellen. Nachdem der Kapitän bereits eine Stunde damit verbracht hat anzulegen, gehen wir noch ahnungslos an Bord. Es folgen drei Stunden an Unbeschreiblichkeit. Die Fähre wird in den Wellen hin- und hergeworfen, Tableaus und Gepäck fliegen scheppernd zu Boden. Nach zehn Minuten beginnt das allgemeine Erbrechen von 80 Prozent aller Reisenden. Ein Geräusch, an das man sich nach weniger als einer Stunde gewöhnt hat. Ich lege mich auf den Boden und versuche mit geschlossenen Augen nicht den spanischen Fischer zu beachten, dem hoher Seegang wohl nichts ausmacht und der vergnügt versucht, die bereits grün angelaufenen Leidenden zu erheitern. Das Bordpersonal kommt mit dem Verteilen von Sackerln und Eis nicht mehr nach und sieht selbst etwas beunruhigt aus. In dem Moment wird das Boot mit Wellen überspült, Wasser tropft durch die Klimaanlage hinein. Nachdem wir glauben alles überstanden zu haben und unseren Flieger noch zu erwischen, folgt das nächste Übel. Weil die Wellen am Hafen von Teneriffa drei Meter hoch sind, können wir eine weitere Stunde nicht anlegen und nur mehr zusehen, wie unser Zeitpuffer von fünf Stunden bis zum Abflug auf zehn Minuten schrumpft. Wir werden wohl in Teneriffa übernachten müssen.

In der Kurzfassung gestaltet sich der Abend wie folgt: Wir verpassen das letzte Taxi, die Küchen haben vor zwei Minuten geschlossen, wir können den nächsten Flug mangels funktionierender Bank-App nicht buchen und sitzen irgendwann lachend und weinend in einer mexikanischen Bar. Hier treffen wir auf den ersten von mehreren sehr netten Menschen, der uns einen Teller mit Nachos und Guacamole schenkt, damit nicht alles an diesem Tag schlecht bleibt. Um die anderen Personen, die für uns die Regeln etwas gebogen haben, nicht in Schwierigkeiten zu bringen, sei hier nichts Genaueres beschrieben, allerdings mit voller Hochachtung dafür gedankt, dass sie uns Nerven, mehrere Hundert Euro und eine Nacht unter freiem Himmel erspart haben.

Vergessen werden wir diese Reise sicherlich niemals. Wie uns zwei mitfühlende Mitarbeiterinnen am Flughafen Check-in sagten, die als Kind sicherlich auch eine solche Fährüberfahrt erlebt haben: “Es una experiencia” – es ist auf jeden Fall ein Erlebnis.

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