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Der verwilderte Wohnwagen

Der verwilderte Wohnwagen ruht auf einem andalusischen Berg nicht weit von der Küste. Die Mittagssonne schmilzt langsam auf den Kunststoff herab. Von irgendwoher ertönt das Bellen der Hunde, während ein Junge im nassen Bett des Wohnwagens liegt und versucht seine Sinne zu betäuben. Er umklammert das Polster mit seinen langen Beinen und verschiebt den Vorhang, um auch den letzten Sonnenstrahl zu verbannen. Das Handy sitzt fest in seinem Griff und verzweifelt hofft der Junge, dass die Internetverbindung ausreicht für eine weitere Sekunde, eine weitere Minute, eine weitere schmorende Mittagssonne…

Doch die Verbindung bricht und ein Widerstand gegen die schmelzende Box regt sich in dem Jungen. Er stolpert aus dem Wohnwagen in das blendende Licht. Verwundert betrachtet er eine Couch, auf der sich Bierdosen türmen. Eine Erinnerung an den gestrigen Abend taucht in ihm auf und verschwindet gleich wieder.
Sein Blick wandert über das endlose Gebüsch, welches ihn umkreist und ein Befehl drängt ihn auf den Weg durch die Wildnis. Sein Körper hinkt seinem Geiste hinterher und so schlägt er sich einen Weg durch das trockene Dickicht, während er ab und zu hoffnungsvoll traurig zur Mittagssonne hochblickt. Nach einigen Schritten entweicht seine Trägheit und eine Tyrannei ersetzt seinen inneren Antrieb. Das Gebüsch rückt zur Seite, als er auf einer flachen Stelle in die Knie gezwungen wird. Er redet in einer fremden Sprache mit den Schatten, die ihn belehren. Sie erklären ihm Erinnerungen und Gefühle, deuten die Zukunft und verneinen die Gegenwart. Nun ergreift er mit der rechten Hand die silberne Klinge in seiner Hosentasche und führt sie sachte zum linken Arm. Das Leiden hat einen Weg gefunden und die Schatten befehlen und lachen zugleich.
Das Bellen der Hunde unterbricht die vielen Stimmen und der Junge dreht seinen Kopf in deren Richtung: Menschen sollten am folgenden Tag zurückkehren und seinen zerfleischten Körper finden… Somit steht er wieder auf, sucht einen Weg nach unten und setzt sich auf die Couch vor dem alten Wohnwagen. Er sucht nach einer Bierdose.

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