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“Freiheit ist weder östlich noch westlich. Freiheit ist universal!”

© Alena Klinger/Journalismusfest Innsbruck

Im September letzten Jahres brach in Iran eine regelrechte Welle von Protesten aus. Menschen gingen zu Tausenden auf die Straßen und kämpften für ihre Freiheit. Mittlerweile, acht Monate später, wird in den Medien nur noch selten darüber berichtet. Was hat sich seither verändert? Welche Rolle spielt die europäische Politik? Und wie sieht die Zukunft von Iran aus? Im Rahmen des Journalismusfests sprachen am 12. Mai drei engagierte iranische Frauen über den aktuellen Stand der feministischen Protestbewegung.
Die Juristin Shoura Hashemi arbeitet im diplomatischen Dienst des Außenministeriums in Wien. Mina Khani lebt in Berlin und ist als Publizistin, Autorin, Künstlerin und feministische Aktivistin tätig. Die dritte Rednerin Gilda Sahebi ist  Journalistin, Ärztin und Autorin und lebt in Wien. Das Gespräch wurde von der Politikredakteurin Dunja Ramadan moderiert.

Das falsche Spiel der Regierung

„Was wir gerade erleben, ist der Höhepunkt einer sozialen Bewegung“, erzählt Mina Khani. Die Bewegung sei schon lange da, habe sich in den letzten Jahren aber immer weiter politisiert. Dabei spiele die Berichterstattung vonseiten westlicher Medien eine große Rolle: „Unsere Geschichte wird erst wahr, wenn der Westen sie wahrnimmt“, sagt die Publizistin.

Laut Shoura Hashemi glauben westliche Regierungen oft, dass ihr Verhandlungsgeschick und ihre stille Diplomatie dazu führen, dass jemand frei gelassen wird. Das sei bei Iran aber nicht der Fall. Es handle sich vielmehr um ein bewusstes Agieren vonseiten der iranischen Regierung, um die eigenen Interessen voranzubringen. „Die Regierung spielt ein Spiel. Die Bevölkerung in Iran hat dieses Spiel schon lange durchschaut.“ Nur westliche Regierungen hätten das noch nicht durchschaut.

Das Regime stürzen

„Jetzt ist das geschichtliche Moment, um das Regime zu stürzen. Denn sobald dieses Regime nuklear bewaffnet ist, ist dieses Moment vorbei. Dann werden die Menschen im Land verlieren“, sagt Gilda Sahebi. Deshalb sollte eine politische Revolution möglichst rasch stattfinden. Sie forderte mehr Unterstützung von westlichen Regierungen: „Es werden nie westliche Regierungen sein, die zum Stürz des Regimes führen werden, aber es können westliche Regierungen sein, die dabei helfen, dass es nicht stürzt. Und das ist ein Problem.“

„Die Generation meiner Mutter musste sich gar nicht verschleiern. Das wurde mit militärischem Zwang nach der iranischen Revolution, nach 1979 durchgesetzt“, erzählt Mina Khani. „Dass Frauen sich freiwillig verschleiert haben, ist auch ein Narrativ des Iranischen Staates, das vom Westen übernommen wurde.“ Die Frauen in Iran haben sich allerdings damals schon gewehrt und Parolen gerufen wie „Freiheit ist weder östlich noch westlich. Freiheit ist universal!“

Die Autorin, Künstlerin und Aktivistin Mina Khani (Foto: Alena Klinger/Journalismusfest Innsbruck)

Die Rolle der Außenpolitik

Shoura Hashemi zeigt sich kritisch gegenüber der europäischen Außenpolitik. „Jetzt könnte man zeigen, wie man eine feministische Protestbewegung mit außenpolitischen Mitteln unterstützen kann. Da ist die europäische Politik leider sehr zurückhaltend“, bemängelt sie.

Berichterstattung zwischen Lüge und Wahrheit

Mina Khani erzählt, dass es unzählige Fälle wie jenen von Jina Mahsa Amini gäbe: „Das erste, was wir denken, wenn jemand festgenommen wird und stirbt, ist Mord. Es sei denn, es gibt Beweise für das Gegenteil.“

„Da ist viel zu wenig Lobbyismus für die iranische Freiheitsbewegung und viel zu viel Lobbyismus für die andere Seite“, stellt Shoura Hashemi fest. Deshalb setzt sie sich als Aktivistin für die Ziele der Iranischen Revolution ein. „Ich möchte den Leuten im Iran ein Sprachrohr sein“, sagt sie.

Gilda Sahebi sieht vor allem ein Problem in der fehlenden Expertise europäischer Medien. „In den großen Medien gibt es keine Iran-Expert*innen.“ Das mache es sehr schwierig, Informationen über das Land korrekt einzuordnen. Regierungsnahen iranischen Medien oder Pressemitteilungen direkt aus der Regierung dürfe man dabei keinen Glauben schenken: „Wenn irgendetwas aus dem Iran kommt, ist es eine Lüge, bis nicht das Gegenteil bewiesen wird“, erklärt Sahebi.

Moderatorin Dunja Ramadan mit Gilda Sahebi, Shoura Hashemi und Mina Khani (v. l.) (Foto: Alena Klinger/Journalismusfest Innsbruck)

Die iranische Diaspora wird zur Zielscheibe

Iranische Diaspora ist eine Bezeichnung für die weltweit rund acht Millionen iranischen Staatsbürger*innen und deren Nachkommen, die nicht mehr in Iran leben. „Die iranische Diaspora ist sehr kompliziert, sehr komplex und sehr vielseitig“, sagt Shoura Hashemi. Auch wenn ihre Mitglieder unterschiedlichen politischen Lagern angehören, haben sie eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der Proteste gespielt. Gleichzeitig birgt ein solcher Aktivismus auch Gefahren für Iraner*innen außerhalb der Heimat. Der iranische Geheimdienst ist in Österreich aktiv. Seine Hauptaufgabe besteht darin, die Diaspora zu überwachen und zu bedrohen. „Leuten aus der österreichischen Diaspora werden Drohnachrichten von iranischen Mobilnummern gesendet. Manche Menschen haben Angst und meiden deshalb Kundgebungen“, berichtet Hashemi.

Auch Mina Khani hat Erfahrungen mit solchen Drohungen gemacht. Iranische Medien veröffentlichten Fotos von ihr mit Anschuldigungen. Das gilt als eine direkte Drohung vonseiten der Regierung. Trotzdem denkt Khani nicht daran, aufzugeben. „Es gibt keinen einzigen Tag, an dem ich nicht an den Iran denke. Vielen Leuten dort geht sehr schlecht. Solange die weitermachen, ist es für mich keine Option, aufzuhören.“

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