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Ein Vagabund am Bogenfest

Verehrte Leserinnen und Leser, heute werden wir gemeinsam einen Reisenden auf seinen vagabundischen Wegen verfolgen. Genauer werden wir den 20.05.23 betrachten, denn an diesem Tag chauffierte er mit dem Zug durch unsere schöne Stadt. Wir fangen an dem Punkt der Erzählung an, wo sein Zug gerade über das Eisenbahnviadukt fährt oder wie wir zu sagen pflegen: „Die Bögen“.

Mit sich trägt unser Held nur seinen Rucksack, einen Spazierstock und ein kleines Stofftier namens Appa. Er schaut aus dem Fenster und siehe da: Eine gewaltige Menschenmasse befindet sich auf der Straße nebenan. Einige Zelte und Stände sind an verschiedenen Plätzen aufgestellt und unter einem modernen, scheinbar schwebenden Gebäude erblickt er eine riesige Bühne. Solche Gelegenheiten lässt sich unser Held nicht entgehen und seine sieben Sachen packend springt er am Messebahnhof aus dem Zug.

Sofort begegnen ihm Gruppen von lachenden Menschen, die sich alle in die gleiche Richtung zu begeben scheinen. Glücklich über das gute Wetter zieht unser Reisender seine Jacke aus und schlendert den vielen Menschen hinterher. Kurz darauf erreicht er den Platz mit dem schwebenden Gebäude und hört auch schon Musik aus verschiedenen Richtungen ertönen. Bunte Menschen jeder Altersgruppe lächeln ihm zu und reden in Sprachen aus allerlei Ländern. Kinder malen vor ihm Kunstwerke auf den Asphalt und Erwachsene erfreuen sich eines kalten Getränks, während sie begeistert mit ihren Mitmenschen plaudern.

Unser Reisender spaziert eine Straße entlang, die parallel zum Viadukt verläuft, wo vorhin noch sein Zug drüberfuhr.Wahrscheinlich für viele hier selbstverständlich doch für unseren guten Vagabunden eine bewundernswerte Sache: Das steinerne Viadukt besteht aus Dutzenden gleichmäßigen Bögen und viele Geschäfte, Bars und Clubs haben innerhalb dieser Viaduktbögen ihren Platz gefunden. Auf einigen Plakaten entziffert er das Wort „Bogenfest“ und belustigt realisiert unser Held, wie der Name dieses Festes entstanden sein muss.

Vor jedem dieser steinernen Räumlichkeiten sind Stände und Lautsprecher aufgestellt. Verschiedene Musikarten sind zu hören und die Besucher plaudern in familiärer Stimmung. „Es scheint, als ob sich hier jeder kennt“, denkt sich unser Mann mit dem Stofftier.

Der Straße weiter folgend kommt er zu einer Abzweigung, wo mehrere Musiker zusammen Jazz spielen. Kinder laufen zwischen den Füßen der Erwachsenen, welche die talentierten Spieler vor ihnen bewundern. 50 Meter weiter entdeckt unser Reisende, der übrigens Vladislav, René, Rodríguez, Simon, Ahmed oder Gustav heißen könnte, eine Bühne mit Techno-Musik. Hunderte von Menschen in verschiedensten Kleidungsstilen tanzen hier nebeneinander und versuchen den gleichen Beat in ihr Herz zu lassen. Nach einem erfrischenden Bier entscheidet sich unser Held weiter zu forschen: Er begegnet Graffitikünstler*Innen, Hip-Hop Tänzer*Innen, einem Orchester, T-Shirt Verkäufer*Innen, Menschen, die zu Rock&Roll tanzen, afghanisches, persisches und amerikanisches Essen, eine Bratwurst, Bier, Spritzer, Aperol, Zigaretten, Kaffee, Tee, spanische, indische, deutsche Musik und Techno aus der ganzen Welt.

„Kulturelle Vielfalt, wo auch immer man schaut! Die Bögen sind heute das Zentrum dieser Stadt!“, ruft Vladislav begeistert hinaus.

Als Nächstes befindet er sich bei einem Bogen, der als Durchgang für Fußgänger und Fahrzeuge dient. Er durchquert diesen, um auf die andere Seite des Viadukts zu gelangen. Dort baut sich vor ihm eine alte, prächtige Kirche auf, die auf ihrer Vorderseite ein riesiges, goldenes Mosaik trägt. Gustav oder wie auch immer staunt nicht schlecht, als er vor dieser Kirche eine weitere Bühne mit DJ und tanzender Menge erblickt.

Unser Protagonist ist natürlich ein sozialer Typ und so redet er dort mit vielen Menschen und findet schnell Freunde. Sie nehmen ihn gleich mit auf das Konzert von „Mother´s Cake“, das unter dem schwebenden Gebäude stattfindet. „Eine österreichische Progressive-Rockband, die echt was draufhat!“, erklären ihm die neu gewonnenen Freunde. Und was sie draufhaben! Erstens hat unsere Kumpane lange nicht mehr ein so großes Rock Konzert erlebt das zudem gratis ist, und zweitens hat er im Mosh Pit sein gutes Stofftier Appa fallen gelassen, doch zum Glück wurde es ihm durch einen netten Punker wiedergegeben.
Um 22 Uhr ist das Konzert dann zum Bedauern aller zu Ende. Daraufhin wird unserem Reisenden das Konzept der Nachtruhe erklärt.

Nun ist Rodríguez ein wenig angetrunken und unsere Erzählung neigt sich langsam dem Ende. Mit einem breiten Grinsen spaziert er noch durch die Straßen unserer schönen Stadt. Vor einem Wohnblock sitzen einige junge Leute und unterhalten sich. Auf einer idyllischen Treppe sieht er zwei bildhübsche Personen, die eine offene und lustige Stimmung ausstrahlen. Er fragt die zwei, ob er sich zu ihnen gesellen könnte, und nachdem er sich gemütlich hinpflanzte, wird ihm auch schon eine Zigarette angeboten. Ahmed nimmt dankend an und fängt an, Witze zu reißen und Geschichten auszutauschen – für einen Außenstehenden würde es sogar so scheinen, als seien die drei schon länger befreundet. Nach einer gewissen fröhlichen Zeit kommen ein paar Kinder an der Treppe vorbei, die Fußball mit einer leeren Dose spielen. Unser Held ergreift sofort die Chance, springt zu den Kindern und zeigt ihnen, wie man in seiner Zeit noch Dosenfußball spielte. Nach ein paar Lachern und misslungenen Schüssen kehrt er wieder zu den zwei bildhübschen Menschen auf der idyllischen Treppe zurück. Sie laden ihn zu sich nach Hause ein und unser Held nimmt dankend an. Dort trinken sie noch ein, zwei Gläser Wein, hören zusammen die schönsten der traurigen Lieder und reden über den vergangenen Tag, das zukünftige Leben und den grausamen Tod.

Am nächsten Tag ist er bereit, seine Reise vorzusetzen. Er steigt in den nächsten Zug, schaut ein letztes Mal über die Dächer der Bogenstadt und denkt sich: „Eine bunte Stadt… ja, so wird sie mir in Erinnerung bleiben.“


Bilder: Innsbruck Marketing/Lucas Micka (DTV) (Titelbild bearbeitet von Maria Giulia Chistolini)

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