Die Technik entwickelt sich rasant. Sie verändert unsere faktische Umwelt, unsere Lebenswirklichkeit und wirft immer neue Möglichkeiten am Horizont der nahen und fernen Zukunft auf. Technik, die zuvor vor allem nach Außen gedacht wurde, wird nun auch vermehrt in das Innere des Menschen verlagert und damit wird eine Figur, die bereits durch viele Narrative der modernen Medienlandschaft geistert, immer denkbarer – der Cyborg.
Wenn an einen Cyborg gedacht wird, herrscht oft das Bild eines zur Gänze prothetisierten Menschen vor. Rational und hoch funktional – wie eben auch die Technik, von der er umgeben ist, die ihn alteriert und ihn sich gleichsam einverleibt. Er ist das Sinnbild des Fortschrittes, die Überwindung der Unzulänglichkeit des Menschen. Enhanced. Er, so könnte behauptet werden, hat es geschafft sich (zumindest teilweise) von dem organischen Gefängnis zu lösen, in das er hineingeboren wurde, und sich selbst neu zu erfinden. Doch was ist der Cyborg jenseits dieser Fiktionen und gibt es ihn schon heute?
Das Wort „Cyborg“ ist ein Akronym, das sich vom englischen cybernetic organism ableitet und bezeichnet, wie der Name bereits anmutet, eine Verschmelzung aus Maschine und Organismus – einen Hybriden, ein Mischwesen. Bereits heute existieren Menschen, die mit technischen Geräten, wie etwa Herzschrittmachern oder anderen Prothesen, in ihrem Körper ausgestattet sind. Und bereits eine Impfung stellt im Grunde genommen eine biotechnologische Enhancement-Technologie dar. Doch kann man solche Personen bereits als Cyborgs bezeichnen, oder gehört zu einem Cyborg-Sein doch noch mehr dazu – die Auffassung etwa, etwas gänzlich anderes zu sein? Etwas, dass das bloße Mensch-Sein übersteigt? Bislang ist eine genaue Grenzziehung zwischen Menschen und Cyborgs noch unmöglich und die Figur bleibt weiterhin fluide und diffus, dennoch kann sich ihr angenähert werden.
Schon immer hat der Mensch Material bearbeitet. Eine Auffassung dabei ist, dass sich menschliche Produktivität immer auch an einer göttlichen Schöpfungskraft gemessen hat, die es vermag, Dinge aus dem Nichts zu schaffen. In der menschlichen Kultur- und Literaturgeschichte sind auch immer wieder Versuche anzutreffen, künstliche Nachbauten des Menschen zu kreieren. Auch hierin kann der Wunsch des Menschen nach Göttlichkeit verortet werden. Doch warum hat sich die Bestrebung zur Erschaffung nun auf uns selbst zurückgewirkt und warum bearbeiten wir uns jetzt selbst als Material? Der Philosoph Günther Anders sieht dies in der hohen Qualität der selbstgemachten Produkte begründet, hinsichtlich derer wir uns schämen würden. Und so sei es die Bestrebung des Menschen, auch selbst nichts Ungemachtes sein zu wollen – der Mensch begehrt, ein selfmade man zu werden.
Im Vergleich zu den hochfunktionalen Maschinen, die uns umgeben, wirkt der menschliche Körper mangelhaft und krankheitsanfällig. Doch durch eine naturalistische Position, wie sie etwa von den Naturwissenschaften oder der Medizin vertreten wird, erscheint eine Lösung am Horizont der Fesseln der Natur. Unser Körper wird hierbei als biologisch determiniert und von Genen, Hormonen und Neuronen gelenkt, gedacht. Selbst Liebe, Vertrauen oder unser Moralverständnis würden sich dabei auf biochemische Prozesse zurückführen lassen und dienen als evolutionäre Überlebensvorteile. Eben dieser Auffassung entspringt auch der Gedanke, dass unser Körper selbst etwas Programmierbares sei. Gleich einer Maschine, erscheint der Mensch als ein kodierter Text und der Körper wird zu etwas Veränderbaren, das selbst neu konstruiert werden kann. Das Mängelwesen Mensch soll zu einem homo protheticus komplettiert werden.
Doch diese naturalistische Position stellt nicht die einzige Möglichkeit dar, sich der Figur des Cyborgs anzunähern. So ist der Mensch nicht nur durch Gene konstituiert, sondern auch durch die Gesellschaft. Der Mensch als ein Kulturwesen hat sich dabei auch schon immer technischen Hilfsmitteln bedient, um sich die Welt zu eigen zu machen. Die Grenze zwischen Natur und Kultur ist keine strikte – ist bei näherer Betrachtung gar nicht haltbar und kollabiert. Auch technische Hilfsmittel können in das Leibverständnis integriert werden, beispielsweise etwa als Verlängerung der Arme oder dergleichen angesehen werden. Und spätestens ab dem 20. Jahrhundert ist eine Differenzierung zwischen Maschinen und Organismen nicht mehr eindeutig. So sind mikroelektronische Geräte beispielsweise allgegenwärtig und unsichtbar. Unter einer radikaleren Sichtweise könnte somit behauptet werden, dass der moderne Mensch generell ein Cyborg ist – wir alle bereits Hybride und Chimären sind.
Wird an das klassische Bild eines Cyborgs als ein Mensch mit technischen Prothesen gedacht, so erscheint die Einheit des Körpers als gestört und als durchsetzt mit fremden Teilen. Doch ist auch der rein biologische Mensch nicht Eines, sondern unterliegt Verknüpfungen und Durchmischungen von Genomen, Organismen und Zellen. Auch rein biologisch sind wir bereits durchmischt – Mischwesen.
Die Debatte um Cyborgs ist weitaus verflochtener und verstrickter als es auf den ersten Blick anzumuten vermag und bei näherer Betrachtung scheint eine genaue Definition immer schwieriger zu werden. Und so geht ein Cyborgs-Sein auch mit mehreren Bedeutungsebenen einher. Doch gerade mit einem Blick auf die Zukunft erscheint es umso wichtiger, die verschiedenen Betrachtungen zu dekonstruieren und unser Selbstverständnis – auch im Sinne einer Verschmelzung mit Prothesen, mit Technik – neu zu reflektieren. Es werden sich neue, unbekannte Möglichkeiten auftun. Chancen werden ergriffen werden und auch potenzielle Gefahren werden entstehen – Wege werden gegangen werden. Und um uns einen Weg in eine wertvolle Zukunft zu bereiten, lohnt es sich, bereits im Heute schon über Konsequenzen nachzudenken!
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