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Berauschend: Berauschte Männlichkeit

(c) Alexander Popov
Gewaltvolles Verhalten, meistens von cis-Männern, im Rahmen der Feierkultur ist allgemein bekannt, ja beinahe schon etwas, an das wir gewöhnt sind.[1] Prügeleien auf der Straße vor dem Club, Männer, die FLI*NTA beim Tanzen oder in der Schlange vor der Tür, an der Bar oder auf dem Weg nach Hause zu nah kommen und aufdringlich werden, Delikte sexualisierter Gewalt, der exzessive Konsum von Alkohol oder anderer Drogen scheinen zur sogenannten ‚Partykulltur‘ dazuzugehören. Dieser Text erhebt nicht den Anspruch, eine vollständige Erklärung für jenes gewaltvolle Verhalten zu liefern. Abgesehen davon, dass Zeit, Ressourcen und Umfang für ein solches Unterfangen nicht ausgereicht hätten, geht es hier mehr um eine Annäherung, um den Beginn einer Reflexion. 

Im Zuge des Layout-Prozesses der #Print17 sind bei diesem Artikel leider einige Details bei der Schreibweise spezifischer Wörter sowie die erklärenden Fußnoten dazu verloren gegangen. So ist in der gedruckten Version dieses Artikels „weiß“ nicht kursiviert, „Schwarz“ nicht großgeschrieben und „be_hindert“ fehlt der Unterstrich. Als online-Veröffentlichung wird der Artikel nun in seiner Vollständigkeit gezeigt. 

Die Erziehungswissenschaftlerin Raewyn Connell bietet mit ihrem Begriff der hegemonialen Männlichkeit einen guten Ansatzpunkt für unsere Überlegungen. Unter hegemonialer Männlichkeit versteht sie „jene Form von Männlichkeit, die in einer gegebenen Struktur des Geschlechterverhältnisses die bestimmende Position einnimmt.“ Ihre Funktion ist die Sicherung der patriarchalen Legitimität, also der männlichen Dominanz gegenüber ‚Frauen‘ als schwächere Hälfte des Oppositionspaares Mann/Frau. Das Konzept der Hegemonie ist Antonio Gramsci entlehnt, der es auf Klassenverhältnisse bezog und damit die Kontrolle und Macht einer Gruppe über das gesellschaftliche Leben beschrieb. Wichtig sowohl bei Gramscis als auch bei Connells Konzept ist, dass sie Dynamiken beschreiben, die über Zeit und Raum hinweg Änderungen erfahren (können). 

Als offensichtlichste Vertreter hegemonialer Männlichkeit nennt Connell Filmschauspieler und -figuren. Das scheint einleuchtend, schießen einem*einer doch sofort zahlreiche Beispiele von den James Bond-Filmen bis hin zu Fight Club durch den Kopf. Filme, in denen hegemoniale Männlichkeit keine Repräsentanz findet, scheinen eher die Ausnahme zu sein. 

Heike vom Orde konstatiert in ihrer Forschungsdokumentation, dass cis-Männer im Gegensatz zu FLI*NTA-Personen in Medien wie Film, Fernsehen, aber auch Kinder- und Jugendliteratur allgemein überrepräsentiert sind. Sie stellt in der Folge fest, dass die aktuellen Medienangebote die Realität von Geschlechterverhältnissen und -identitäten inadäquat wiedergeben und problematische, patriarchale Geschlechternormen festigen. Als prägnantes Beispiel dafür nennt vom Orde Computerspiele, in denen „Frauen, zumeist in Nebenrollen oder als ‚Trophäe‘ der männlichen Figur, unterrepräsentiert sind.“ Darüber hinaus bringt sie Werbung und Actionfilme an, in denen die Norm des männlichen muskulösen und damit oftmals aggressiven sowie gewaltvollen Körpers stark repräsentiert und reproduziert werde. Daran anschließend funktioniere das Klischee „des triebgesteuerten, sexuell hyperaktiven Mannes und [demgegenüber] der Frau als willigem Sexobjekt“, das im Reality-TV viel Anwendung finde und die Vorstellung der Richtigkeit und Sinnhaftigkeit patriarchaler Geschlechterverhältnisse in den Köpfen junger Männer bestätige. 

Aus diesen Analysen lässt sich herauslesen, dass die Konstitution von Männlichkeit, auf essentialistische und normative Weise in medialen Produktionen wie Filmen sowohl repräsentiert als auch reproduziert, viel mit Körperlichkeit zu tun hat. Raewyn Connell bringt in diesem Zusammenhang körperreflexive Praxen an, die historisch verankert sind und die Strukturen sozialer Realität formen. Diese Praxen, vergleichbar mit dem Konzept der Geschlechterperformanz Judith Butlers, „konstituieren […] eine Welt mit einer körperlichen Dimension, die aber nicht biologisch determiniert […] [und indes] nicht durch die physische Logik des Körpers bestimmt ist.“ Als Konsequenz dessen können Handlungen, die der geschlechtlichen Norm folgen, häufig schädlich für den Körper sein. Hier sei zum Beispiel an Handlungen gedacht, wie etliche Dosen Bier in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum in sich hineinzuschütten (denn das ist strong und muss so) oder sich for the gains Anabolika zu spritzen. Mit Michel Foucault sieht Connell die Ursache der körperreflexiven Praxen in den Disziplinierungsprozessen des Körpers, die Foucault zufolge Teil der Wahrheitsproduktion innerhalb eines Diskurses sind. Körperreflexive Praxen sind demzufolge auch disziplinäre Praxen. Connell erkennt im Sport sowohl einen erheblich konstituierenden als auch vermittelnden Faktor dieser Praxen, aus denen sich Geschlechterperformanz zusammensetzt und die „dazu gedacht sind, geschlechtstypische Körper entstehen zu lassen.“ Die institutionellen Strukturen von Sport, dessen Ausübung, wie diese Ausgabe von Die Zeitlos sichtbar macht, übrigens auch Auslöser von Rauschgefühlen sein kann, sind geprägt von Hierarchien. Diese werten die Verkörperungen hegemonialer Männlichkeit auf und schließen jene, die davon betroffen sind, aus. Wenn Sport nicht betrieben wird oder nicht betrieben werden kann, gilt das als Verlust von Männlichkeit. 

(c) Kira

Dies führt uns zu dem Aspekt des Machtgefälles zwischen den unterschiedlichen Männlichkeiten. Klar ist, dass nicht alle cis-männlich positionierten Menschen dem Bild der hegemonialen Männlichkeit entsprechen. „Trotzdem profitiert die überwiegende Mehrzahl der Männer von der Vorherrschaft dieser Männlichkeitsform, weil sie an […] dem allgemeinen Vorteil, der den Männern aus der Unterdrückung der Frauen erwächst,“ teilhaben, so Connell. Sie ist der Meinung, dass Geschlecht als allgegenwärtiger, dominanter Faktor sozialer Praxis „unweigerlich mit anderen sozialen Strukturen verknüpft“ oder mit durch sie bestimmt ist, weshalb hier wie überall von einer intersektionalen Denkweise nicht abgesehen werden kann. Sie spricht von marginalisierten Männlichkeiten, deren „Marginalisierung […] immer relativ zur Ermächtigung hegemonialer Männlichkeit der dominanten Gruppe“ entsteht. Einige, darunter auch be_hinderte[2] Männer, können ihre Körper durch das Ausüben von Sport nicht so formen, wie das hegemonial männliche Körperideal es vorgibt. 

Bedeutsam ist zudem, dass das aktuelle Konzept hegemonialer Männlichkeit vor allem weiß ist. Das wird in Sharon Dodua Ottoos Essay „Liebe” deutlich, in dem sie von einem Gespräch mit ihrem Sohn über seine Erziehung, Rassismuserfahrungen und seine gesellschaftliche Positionierung als Schwarzer[3] junger Mann schreibt: 

„Ich höre Tyrell zu: ‚Es ist absolut gesellschaftlich akzeptiert, wenn bestimmte Männer wütend sind. Sie dürfen und werden sogar ermutigt, aggressiv zu sein, denn dieses Verhalten gilt als besonders männlich und als ein Zeichen der Stärke. Je lauter weiße cis hetero Männer werden, desto mehr Recht bekommen sie.

[…]

‚Der Spruch ‚boys will be boys’ meint eigentlich: ‚white boys will be boys‘‘, sagte Tyrell. ‚Wenn meine Freunde und ich uns so verhalten würden, könnte es tödlich enden.‘“

Nadia Shehadeh beschreibt in „Gefährlich“, wie muslimischen Männern und Männern of Colour zumeist mehr Gewaltbereitschaft zugeordnet wird als weißen Männern. Dass das sowohl irrational als auch rassistisch ist, liegt auf der Hand. Shehadeh beschreibt den Tatbestand folgendermaßen: 

„Nicht Herkunft, sondern hegemoniale Männlichkeit ist das Kernproblem bei sexualisierter Gewalt. Das Zusammenspiel sozial-regressiver männlicher Wesenszüge – auch toxic masculinity genannt – führt zu verachtenswerten Praktiken wie Misogynie, Homo- und Transfeindlichkeit und eben auch mutwilliger Gewalt. Ob der Täter aus Islamabad oder Rietberg kommt, ist dabei völlig unerheblich.“

All die oben angeführten Aspekte lassen einen nuancierteren Blick auf die Erlebnisse in der Nacht im Club oder auf den Rave im Wald zu. Sie machen den Druck sichtbar, dem normativen Ideal von Männlichkeit zu entsprechen, die Verhältnisse zwischen den Männlichkeiten, ein Bedürfnis nach Selbstbehauptung. Diese Aspekte äußern sich in gewaltvollem Verhalten gegenüber weiblich gelesenen Personen und Personen, deren Körper sich dem hegemonial männlichen Raster nicht fügen sowie auch gegenüber dem eigenen Körper. Potenzial zur Veränderung sieht Heike vom Orde in einer realitätstreueren medialen Repräsentation von Geschlecht: 

„Diverse Bilder des Junge- und Mannseins sind wichtige Voraussetzungen, um eindimensionale Konstrukte der ‚typischen‘ Männlichkeit aufzubrechen und die ‚Zweigeschlechtlichkeitslegende‘ nicht weiter zu (re-)produzieren.“

Potenzial liegt auch darin, die eigene Kurzsichtigkeit aufzugeben. Zu erkennen, dass „berauscht sein“, ob beim Sport oder beim Feiern, aufgrund patriarchal bedingter Störfaktoren für Personen, die nicht weiße cis hetero Männer sind, nicht immer so einfach ist. Dass sich des T-Shirts zu entledigen nicht nur unsolidarisch, sondern auch Ausdruck cis-männlicher Ermächtigung (s.o. Konstitution von Männlichkeit durch körperliche Performanz) sein kann. Dass so mancher als Bedürfnis wahrgenommener Impuls strukturellen Ursprungs ist und es durchaus lohnenswert ist, ihn zu hinterfragen, bevor mensch handelt. 


[1] Damit soll nicht bestritten werden, dass von Personen, die nicht cis-männlich positioniert sind, keine Gewalt ausgeht oder ausgehen kann. Es ist lediglich nicht das Thema dieses Textes. 

[2] Der Unterstrich in dem Begriff „be_hindert“ oder „Be_hinderung“ soll darauf hinweisen, dass Menschen von gesellschaftlichen und anderen Strukturen (wie z.B. Architektur) behindert werden und von diesen als „Andere“ eingestuft werden. Vgl. dafür auch „Hä? Was bedeutet be_hindert?“ im Missy Magazine (2019). https://missy-magazine.de/blog/2019/03/12/hae-was-bedeutet-be_hindert/

[3] „Schwarz“ ist hier großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich bei dem Begriff nicht um eine tatsächliche Hautfarbe handelt, sondern um eine gesellschaftliche Position, die Schwarzen Menschen in rassistischen Gesellschaften zugeschrieben wird. Vgl. dafür auch „Kleines Glossar der komplizierten Begriffe“ in Şeyda Kurts Radikale Zärtlichkeit. Warum Liebe politisch ist. (2021)


Verwendete Literatur

Raewyn Connell. Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Wiesbaden: Springer VS, 2015.

Heike vom Orde. „Männerbilder in den Medien. Eine Auswahl von Forschungsergebnissen.“ TELEVIZION.34/2021/1.

Sharon Dodua Otoo. „Liebe.“ In: Fatma Aydemir, Hengameh Yaghoobifarah (Hrsg.). Eure Heimat ist unser Albtraum. Berlin: Ullstein, 2019. S. 56-68.

Nadia Shehadeh. „Gefährlich.“ In: Fatma Aydemir, Hengameh Yaghoobifarah (Hrsg.). Eure Heimat ist unser Albtraum. Berlin: Ullstein, 2019. S. 122-139.

Bild 1: Alexander Popov

Bild 2: Kira


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