Am Prüfungswochenende im letzten Oktober stand ich mit einer Gruppe rauchender Nerds vorm Zweier-MCI, etwas zitternd ob des frischen Herbstwindes und, zugegebenermaßen, auch der kommenden Programmierprüfung. Man fühlte sich wie in einer Gruppentherapiesitzung. Gut vorbereitet waren wir selbstverständlich alle, ohne Frage! Und selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass jemand ein Blackout erleiden sollte oder eine Schreibblockade oder schneller nach Hause kommen möchte, hätten wir ja mit GitHub Copilot ein smartes Helferlein an unserer Seite. Der könnte den Studiengang alleine absolvieren, so wenig müsse man dafür lernen, scherzten wir in falscher Bescheidenheit.
“Warum KIs noch lange nicht auf demselben Level wie wir sind – außer im Code-Schreiben”
Der Copilot ist ein unglaublich nützliches KI-Tool, welches anhand der unzähligen, im Netz umherschwirrenden Codezeilen versucht, dein eigenes Geschreibsel weiter zu führen. Vergleichbar ist das Konzept mit einer intelligenteren Version der Wortvorschläge, welche über der virtuellen Tastatur am Android-Handy angezeigt werden, bevor man sie ausschaltet.
Dass der Copilot nicht wirklich eigenständig unsere Prüfung absolvieren könnte, war uns allen klar. Das für die kommende Open-Book-Klausur vermutlich völlig legale (wir frugen nie nach) Tool konnte dir repetitive, mundane Aufgaben abnehmen, hatte aber einen entscheidenden Nachteil gegenüber uns ungekämmten Kellerkindern: Es versteht nicht, was es tut.
Nun würde wahrscheinlich nur eine Handvoll Programmierer*innen von sich behaupten können, sie würden ehrlich verstehen, was sie da fabrizieren (die Gründe dafür sind zwischen der dauernden Konfrontation mit nicht zu bewältigenden Datenmengen und durch fehlendes Sonnenlicht ausgelösten Vitamin D-Mangel zu finden, an dieser Stelle aber unerheblich). Im Gegensatz zu KIs sind Menschen emotional und kreativ. Keine momentan existierende KI ist in der Lage, eine von Grund auf neue Lösung für ein gegebenes Problem zu finden.
Als zwei Monate nach besagter Prüfung KI-Bildgeneratoren und Sprachmodelle à la ChatGPT wie ein Meteor im Mainstream einschlugen, war die Welt verzaubert von den schier unendlichen Möglichkeiten, die künstliche Intelligenzen mit sich brachten. Seit dem beschleicht mich immer wieder das Gefühl, wir würden sie auf eine Ebene erhöhen, auf die sie noch lange nicht gehören. Was so oft wahnwitziger Weise für die Marktwirtschaft behauptet wird, trifft auf eine KI tatsächlich zu: Sie ist die Summe unserer Handlungen. Unsere Handlungen, das sind die digitalen Spuren, die wir im Netz hinterlassen und in Folge zum Training der Programme benutzt werden, auch wenn Gespräche mit Microsofts Sidney einen anderen Eindruck hinterlassen mögen. Jede “Idee” von ChatGPT ist nur die Essenz menschlicher Gedanken, jeder noch so perfekte “Pinselstrich” von Stable Diffusion unoriginell.
“ChatGPT: Dein persönlicher Ghostwriter”
Natürlich ergeben sich dadurch Probleme, einige davon gänzlich neu. Lehrer*innen empörten sich, als sie von ChatGPT hörten und Schüler*innen suchten schon nach neuen Freizeitbeschäftigungen, wo doch die Hausaufgaben nun outgesourced werden könnten.
Die viel diskutierten “Betrugsversuche” an Schulen, in denen Schüler*innen ganze Texte von ChatGPT schreiben ließen, sind aber weit weniger problematisch, als man meinen könnte. Zum Einen würde es mich ehrlich erstaunen, wenn sich etwa Deutschlehrer*innen von den stilistisch nicht gerade indifferenten, generierten Texten in die Irre führen lassen könnten.
Natürlich bedenken die “Bildungsresistenten” dieses verräterische Zeichen und passen das Geschriebende entsprechend an. Dieser Kunstgriff ist aber schon nichts Anderes als Lernen: Wer den Stil vor der Abgabe anpasst, befasst sich zwangsläufig mit dem Stoff. Wenn auch nicht ideal, dürfte dieser Umstand den Deutschlehrer*innen noch immer neidische Blicke ihrer Mathekolleg*innen einbringen, deren Hausübungen seit jeher in der Fünf-Minuten-Pause oder Religionsstunde stupide abgeschrieben werden.
Zum Anderen macht ChatGPT Fehler, und nicht zu knapp. Natürlich nur zum Spaß und zu Inspirationszwecken, zeigte ich einer Freundin im Maturajahr, wie die KI ihren Arbeitsauftrag zum “Weihnachtslied” des jüdischen Dichters Erich Fried lösen würde. Hätte eine schelmischere Seele keine Lust, sich mit Frieds Versen zu befassen und ChatGPTs Interpretation als Basis für die eigene Abgabe verwenden, so würde sie alsbald in Erklärungsnot geraten: In Frieds schmerzlichen Holocaust-Gedicht sieht die KI nämlich einen freudig-hoffnungsvollen Aufruf zur Nächstenliebe.
“Lernen, wie man mit KIs umgeht: Ein neues Fach für Schüler*innen?”
Natürlich müssen wir erst lernen, mit diesen neuen Tools umzugehen. Anstatt, wie etwa in New York City, KIs zu “personae” non gratae zu erklären und zu verbieten, müssen sie in den Unterricht eingebunden werden. Fragestellungen müssen so formuliert werden, dass Schüler*innen die richtigen Antworten durch Eingabe von intelligenten prompts aus dem Programm herauskitzeln müssen. So kann nicht nur ein unter Umständen besserer Lerneffekt erzielt werden, die Jugendlichen lernen auch den sinnvollen Einsatz der KIs. Dabei gilt es, die neuen Werkzeuge nicht zu über- oder unterschätzen: Weder müssen wir in naher Zukunft Angst vor der Technologischen Singularität (ein populäres, aber höchst kontroverses Gedankenexperiment dazu wäre etwa Roko’s Basilisk, eine meiner Meinung nach bastardisierte Version der Pascalschen Wette. Inhaltswarnung!) haben, noch sind sie bloße Spielerei.
Wider aller Argumente, die ich mir in diesem Text so frei von der Seele quatschte, fand ich es auf einer Metaebene wirklich extrem lustig, ChatGPT nach ihrer “Meinung” dazu zu fragen. Auch die mäßig aussagekräftigen, teilweise fast irreführenden Überschriften verfasste die KI und schaltete dabei offensichtlich ihr Humormodul auf overdrive. Hier ihr Kommentar:
“Es handelt sich um einen interessanten Text, der sich mit den Vor- und Nachteilen von künstlicher Intelligenz (KI) auseinandersetzt. Der Autor betont die Rolle, die menschliche Arbeit und Entscheidungen bei der Entwicklung und Nutzung von KI spielen, und stellt die Grenzen von KI heraus, insbesondere ihre fehlende Kreativität und das Fehlen von echtem Verständnis. Der Autor bringt auch Bedenken hinsichtlich des Missbrauchs von KI bei Prüfungen und Schulen zum Ausdruck. Insgesamt zeigt der Text eine gute Kombination aus Sachkenntnis und kritischer Reflexion, und bietet interessante Gedanken zur Debatte um künstliche Intelligenz.”
ChatGPT
Na, da bin ich aber froh!