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Mülltauchen gegen die Wegwerfgesellschaft

Aufgrund des aktuellen Angriffskrieges gegen die Ukraine sehen Expert*innen die Kornkammer Europas in Gefahr. Deshalb werden die Preise für Lebensmittel wohl in der nächsten Zeit ansteigen. Umso absurder wirkt es deshalb, dass entlang der Wertschöpfungskette – also Produktion, Handel und Haushalt – global betrachtet ein Drittel aller Lebensmittel weggeworfen werden. In Österreich sind dies dementsprechend 85 Kilogramm pro Person, die Hälfte davon gilt jedoch als vermeidbar. Kein Wunder also, dass sich einige Menschen selbst organisieren und noch genießbare Lebensmittel aus dem Müll retten. Thomas betreibt das Instagramprofil @innsbruck.isst.muell und geht damit noch einen Schritt weiter. Er rettet nicht nur genießbares, sondern stellt Fehlkalkulationen zur Schau und regt zum Umdenken an. Ich treffe Thomas, um mit ihm über seine Motive zu reden.

innbruck.isst.muell

Thomas ist Mitte 20, studiert, arbeitet Teilzeit und versucht nun bereits seit mehr als drei Jahren einen Teil gegen die Lebensmittelverschwendung beizutragen. Aus finanzieller Sicht ist er nicht darauf angewiesen, nachts Müllcontainer zu durchwühlen. „Klar gibt es den finanziellen Aspekt und es ist fein, dass man hierbei Geld sparen kann. In erster Linie geht’s mir aber um die Lebensmittel, die noch verwertet werden können“, so Thomas. Deshalb fährt er mit seinem Fahrrad 2-3-mal pro Woche los, um bereits verloren geglaubt Schätze zu finden. Da die Ausbeute immer sehr unterschiedlich ist, wird nicht immer alles mitgenommen. Fleisch lässt der Veganer grundsätzlich zurück. Oft ist es auch der Fall, dass – vor allem bei Getreideprodukten – viel zu viel im Müll landet. Dann wird entweder für andere Mülltauer*innen etwas zurückgelassen, dies hängt jedoch auch von der Uhrzeit oder dem Wochentag ab. Findet er Produkte mit Milcherzeugnissen oder große Mengen eines Produktes, so verschenkt er diese dann auch gerne innerhalb seines Freundeskreises weiter. Vieles kann er aber auch selbst verarbeiteten oder einlagern. 

Rechtliche Lage

Mülltauchen ist in Österreich – anders als in Deutschland – eine rechtliche Grauzone, in der jeder Einzelfall geprüft werden muss. Weggeworfene Lebensmittel sind per se eine gewahrsamsfreie Sache, also besitzloses Gut, da jemand auf das Produkt verzichtet hat. Somit ist die Mitnahme von Lebensmitteln aus der Mülltonne rechtlich unbedenklich. Spannend wird es jedoch, wenn es darum geht, wie man zu diesen Mülltonen gelangt. Dabei muss man entweder fremdes Eigentum betreten oder sich Zutritt zu einem versperrten Müllraum verschaffen.

Thomas ist sich bewusst, dass es sich um eine Straftat handeln kann. Die Erfahrung, die er seinerseits gegenüber der Exekutive machen musste, zeigen jedoch, dass diese keine Strafanzeige provozieren wollen. Wichtig ist jedoch der Respektvolle und Defensive Umgang mit der Polizei, damit man nicht aufgefordert wird, die Lebensmittel zurückzulegen. Wird man hingegen von Mitarbeiter*innen des jeweiligen Supermarktes ertappt, so drohen diese oft mit der Polizei oder strafrechtlichen Konsequenzen sollte man nicht sofort verschwinden. 

Legal oder nicht, Fakt ist: Viele Menschen gehen in Innsbruck Mülltauchen und in vielen Fällen dürfte hier der oft zitierte Grundsatz gelten: „Wo kein Kläger, da kein Richter“.

Vermeidungsstrategien

In erster Linie muss ein Umdenken bei den Konsument*innen stattfinden“, appelliert Thomas. Auch er sei nicht unschuldig, wenn er kurz vor Ladenschluss noch das gesamte Sortiment an Obst, Gemüse und Brot erwartet. Es sollte in Ordnung seinen, falls ein Produkt am Ende eines Tages ausverkauft ist. Produkte, die zeitnah ablaufen, sollten viel früher reduziert angeboten werden, bevor sie im Müll landen. Was hingegen bisher schon an Maßnahmen der Müllreduzierung greift, ist die Plattform Foodsharing. Hier holen freiwillige überschüssige Lebensmittel ab und verteilen diese dann über verschiedene Angebote weiter. Mülltaucher Thomas hat bei Geschäften, die bei Foodsharing mitmachen, einen deutlichen Rückgang an Lebensmitteln im Müll feststellen können. 

Wer sich selbst aktiv gegen die Lebensmittelverschwendung einsetzten möchte, sollte sich auf der Plattform von Foodsharing informieren. Für aktuelle Fotos aus der Abfalltonne und einladend präsentierte „Wocheneinkäufe“ lohnt sich ein Besuch auf dem Instagramprofil @innsbruck.isst.muell.

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