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Neue Rechte im Märchenland – der Anastasianismus

Chauvenistisch, parawissenschaftlich, antidemokratisch – wie alle rechten Verschwörungsideologien ist der Anastasianismus eine Gefahr für die pluralistische Gesellschaft. Erstlich würde man hinter den malerischen Aussteigerkommunen wohl kaum eine rechts-esoterische Bewegung vermuten, ein zweiter, genauerer Blick lohnt sich allenfalls.

Wo die milden Kerle wohnen

Nach einem harten Arbeitstag findet sich die Bauernfamilie – müde, aber glücklich – zum gemeinsamen Abendbrot im Esszimmer ein. Das unvergleichlichen Aroma kristallklarer, reiner Landluft vermischt sich mit dem Duft von frischen Kräutern und Gemüse aus der Küche. Alle Zutaten stammen aus eigener Erzeugung. Kein Dröhnen von Motoren, kein Baulärm stört die Familienidylle. Nur das gewohnte Grillenorchester begleitet das Raunen und Rauschen der vom Wind umschmeichelten Baumkronen.

Das Aussteigerleben der Anhänger*innen der Anastasia-Bewegung wirkt auf den ersten Blick unvergleichlich romantisch.
Diese als rechts-esoterisch zu bezeichnende, neureligiöse Bewegung wurzelt in Zentralrussland und basiert auf einer zehnteiligen Buchreihe des Autors Wladimir Megre. Seine Dekalogie steht in der Kritik, völkisch-nationalistischen, verschwörungsideologischen und antisemitischen Inhalt zu vermitteln.

So oder so ähnlich wurde mir die Anastasia-Bewegung beschrieben, als ich von ihr erfuhr. Ein unglaublich witziges Bild zeichnete sich vor meinem inneren Auge ab. Rechtsradikale Skinheads, die ihre Waffen ablegen, stattdessen Hammer und Sichel zur Hand nehmen und fortan als friedliche Selbstversorger*innen ihr trauriges, nun aber harmloses Dasein suf dem Land fristen? Haider und Strache, nun Anastasianist*innen. Wer braucht schon Antifaschismus, wo sich die Rechten doch selbst mit größerem Erfolg unschädlich machen? Unbedingt musste ich mehr über diese Nazi-Hippies erfahren.

Mein anfängliches Bild wurde schon durch eine kurze Google-Suche widerlegt. Es handelt es sich keineswegs um ein alternatives Auffangnetz für Neonazi-Aussteiger*innen, vielmehr um eine fast religiöse, lose Gruppe verirrter Menschen auf der Suche nach einer alternative zur kalten Realität.
Im Zuge meiner Recherche quälte ich mich durch den ersten Band der ideologischen Grundlage der Anastasia-Bewegung und überflog Teile des Rests. Ich möchte versuchen, euch anhand des Gelesenen die Idee des Anastasianismus etwas näher zu bringen.

Ich glaube, das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft

Der Autor Megre, in der Behauptung rein seine Erlebnisse aufzuschreiben, tritt als Chronist und Hauptfigur in seinem Buch auf. Während einer Geschäftsreise nach Sibirien will er auf Anastasia getroffen sein, eine Begegnung, die sein Leben von Grund auf verändert hätte.

Diese Anastasia verfüge über paranormale Fähigkeiten. Wilde Tiere gehorchen ihr, ohne zu frieren läuft sie nackt durch Sibirien und Vergangenheit wie Zukunft sind ein offenes Buch für sie. Der Geschäftsmann wird in ihren Bann gezogen und lauscht ihren Weisheiten.

Eine grundsätzliche Rolle wird dabei dem positiven Denken eines Menschen zugesprochen. Eine gut denkende Person strömt dabei gute Strahlung aus, welche bis ins Weltall reichen, von den Planeten reflektiert und wieder zurück auf die Erde gelangen. Schlecht denkende Menschen hingegen strahlen böse. Solche Strahlung wird von der Erde aufgenommen, äußert sich in Vulkanausbrüchen und Erdbeben und fällt letztlich auch wieder auf den Menschen zurück.

Weiters verfügen geübte, gut denkende Menschen über einen „Strahl“, mit welchen sie andere Leute über Distanzen beobachten und auf ihr Leben einfluss nehmen können. Positive Gedanken und Imagination sind für Anastasia (oder Megre) der einzige Hammer, den der Schmied für sein eigenes Glück benötigt. Mit Übung lassen sich so mit relativer Leichtigkeit schwere Krankheiten heilen und andere unglaubliche Dinge bewerkstelligen.

Aus vielerlei Gründen hegt Anastasia spezielle Liebe für Familien, die kleine, umweltsensitive Familienlandsitze bestellen – der Grund, warum ihre Anhänger*innen das Leben als Selbstversorger wählen. Der Aufbau solcher Güter ist bis ins kleinste Detail beschrieben, angefangen bei der richtigen Größe der Felder, bis hin zu einer genauen Bauanleitung der einzusetzenden Bienenstöcke. Die Familie soll sich wohl fühlen, in die Natur nur so weit wie unbedingt notwendig eingegriffen werden. Wer sich an Anastasias angebliche Lehren hält, dem wird ein perfektes Leben versprochen.

Wo sind sie nun, die Rechten?

Explizit problematisches Gedankengut sucht man in der obigen Beschreibung erfolglos, bei all dem Umweltbewusstsein geht einem sogar das grüne Herz auf. Überspitzt gesagt: Ob man nun Deospray oder Kristalle zur Körperpflege verwendet, Globuli oder Antidepressiva schluckt, ist letztendlich Privatsache.

Zum gesellschaftlichen Problem werden Megres Bücher, wenn Fiktion und Realität so sehr vermischt werden, dass sie selbst für mich, als kritischen Leser auf Fehlersuche, schwer auseinander zu halten waren. Megre gibt sich im Buch als ewigen Zweifler und Rationalist, der aber immer wieder von Anastasia überzeugt wird. Immer wieder werden angebliche Doktor*innen und Forscher*innen zitiert, die sich aber nach kurzer Recherche als Pseudowissenschaftler*innen entpuppen oder garnicht existieren.
Erst wenn eine Vertrauensbasis hergestellt wurde, wird der Inhalt langsam problematischer. Kritische Themen werden erst in feinen Prisen gestreut, dann aber immer expliziter und radikaler, bis schließlich von einer levitischen Weltverschwörung und einer wedrussischen Herrenrasse die Rede ist. Das längst obsolete, in Kreisen der neuen Rechten aber noch verbreitete, Konzept der Telegonie wird als Faktum angenommen. Der in Band 8 vorkommende „Dämon Kratie“ bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung.

Neben dem explizit menschenverachtenden Inhalt, welchen ein unaufmerksames Publikum genussvoll löffelt, ohne das Haar in der Suppe zu finden, ergeben sich durch implizit Vermitteltes noch ganz andere Probleme. Wenn schlechte Gedanken für Naturkatastrophen führen und letztlich auf einen selbst zurückfallen, warum solle man den weniger Privilegierten helfen? Hätten sie doch nur besser geträumt!

Ohne Theorie keine Revolution

Unabhängig vom Inhalt, war „Tochter der Taiga“, der erste Teil der Buchreihe, das stilistisch schlechteste Werk seit langem auf meiner Leseliste. Die ganze Zeit über hatte ich das Gefühl, einen von Tippfehlern befreiten Erstentwurf zu lesen. Ein Spielplatz, auf dem sich die Lektor*innen der Zeitlos austoben könnten.
Hier wird die Wichtigkeit humanistischer Bildung offensichtlich. Ich bin davon überzeugt, kein Mensch, der je in den Genuss von Hesse oder Cervantes kam, könnte diesen Roman allein aufgrund der Sprache für bare Münze nehmen. Stattdessen müsse man ihn als das erkennen, was er ist: eine inkohärente, menschenverachtende Superheldengeschichte.

Titelbild:  Photograph by Лобачев Владимир, distributed under a CC-BY 2.0 license.

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