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Über eine bunte Frau

TW: Suizid, Psychische Krankheiten

Der folgende Artikel wurde auf Basis eines Gesprächs mit einer psychisch erkrankten Person geschrieben. Der Autor hat keinen weiteren Bezug zu der Thematik und besitzt keine Ausbildung in psychologischen Bereichen.

Damals ging es eine Weile wieder gut. Ich bin mit meinem Lebenspartner losgefahren und in unserem Auto war ein Plakat, auf dem stand: „Kosmetikerin und Koch suchen Arbeit.“ Wir fanden dann auch etwas in einem Hotel und haben vier Monate dort gearbeitet, aber die Gastronomie hat mich fix und fertig gemacht. Dort war ich wieder von Null auf Tausend. Ich musste mal im Gastgarten Bier ausschenken. Dann bin ich auf dem Schotter ausgerutscht und hab dem jungen Mann vor mir das Bier auf die Hose geschüttet. Ich sagte zu ihm: „Am Neckar ist es immer ein bisschen feucht.“ Er hat gelacht und hat es mir nicht übelgenommen. Den Stress hab ich aber nicht ausgehalten: Scheidung, Kinder weg, neuer Partner… da bin ich zum ersten Mal manisch geworden, bipolar.

Ich hatte früher eine eigene Praxis als Kosmetikerin. Ich hab aber auch viel mit Heilkunde gemacht und den Leuten geholfen sich zu entspannen. Davor war ich elf Jahre lang Werkstoffprüferin in Wismar. Ich hab beides sehr gern gemacht, aber die Kosmetik war meine Erfüllung. Menschen zu helfen war mir wichtig. Aber das Problem war, dass ich ein moralischer Mülleimer wurde. Alles hab ich mir angehört und nur gegeben, gegeben, gegeben und nichts zurückgefordert. Ich konnte nicht „Nein“ sagen und dann bin ich halt umgefallen.

Das nennt man heute glaub ich „Burn-out“. Ich kam in ne Klinik und die haben mich mit Psychosomatik untersucht. Ich konnte meinen linken Arm nicht bewegen und nicht richtig sprechen, aber die haben erst später herausgefunden, dass ich zwei Schlaganfälle und ein Aneurysma hatte. Sie dachten erst, dass ich mir das alles nur einbilde. Aber ich glaube von den Schlaganfällen ist nichts übriggeblieben. Naja, ich hab manchmal schon das Gefühl, dass ich langsamer spreche, aber du merkst das nicht, oder?  

Jedenfalls hab ich mich ein wenig erholt und hab auch wieder gearbeitet, aber ich wurde immer langsamer in der Arbeit und es hat mich umgebracht. Ich war damals noch bei meinem zweiten Mann und meinen zwei Kindern. Der Sohn war sechzehn Jahre alt und die Tochter war zwanzig. Die haben mir dann irgendwann gesagt: „Mama hau endlich ab! Werd wieder gesund und sieh zu, dass du Arbeit bekommst!“ Ich bin zu einer Freundin gezogen und aus einem Tag wurde eine Woche, aus einer Woche ein Monat und aus einem Monat ein Jahr. Ich fühlte mich wie eine Rabenmutter, weil ich die beiden allein gelassen hab. Von meinem Mann hab ich mich scheiden lassen und ihm alles dagelassen. Ich nahm nur 400 € mit, um leben zu können. Dem Rechtsanwalt hab ich gesagt: „Ich will nichts haben, nur ein bisschen Geld, damit ich leben kann.“ Du fragst dich, warum ich das gemacht hab? Aus Verzweiflung. Ich wollte einfach so schnell wie möglich weg. Ich erinner mich, wie ich einmal einen Body gekauft hab, um zu versuchen, unsere Liebe ein wenig aufzufrischen. Mein Mann sagte dann zu mir: „War das nötig?“ Darauf schrie ich: „Weißt du was? Du kannst dir das Ding an die Wand nageln!“

Irgendwann hab ich schließlich meinen Herbert kennengelernt, mit dem ich nach Österreich kam und in diesem Hotel gearbeitet hab. Die bipolare Störung erkannte ich natürlich nicht selbst. Es war so, dass ich einmal meine Wohnung aufräumte, um eigentlich nur meine alten Erinnerungen in den Keller zu stellen. In der Wohnung machte ich dann ein totales Chaos. Überall waren Hügel von allem möglichen Kram. Ich zerschnitt die Fernsehkabel und warf den Föhn in die Wanne. Alles war schwarz und ich hatte Angst vor schwarzen Dingen. Alles schwarz. Schwarze Farben hab ich gehasst, hab sie gemieden. Ich hab alles vernichtet, was schwarz war. Irgendwann haben die Nachbarn die Polizei gerufen.

Hattest du solche Ängste schon früher?

Nein, früher keine Ängste. Martina hat gemacht. Martina hat gemacht. Martina hat gemacht.

Immerhin wollte ich die Polizisten noch aufn Bier einladen… aber ja, dann wurde ich diagnostiziert und mit Tabletten vollgepumpt. Psychopax, Psychopax, Psychopax. Ich wurde ruhiggestellt und mir wurde Schlaftherapie verschrieben. Zwei Wochen hab ich fast durchgehend geschlafen, damit mein Kopf wieder frei wird von den Gedanken… ich hatte oft Suizidgedanken… versucht hab ich es auch mehrmals. Einmal hat mich mein Partner zurückgezogen, als ich aus dem vierten Stock springen wollte. Hab mir dann gedacht: „Ist ja auch scheiße, wenn du runterspringst. Bist vielleicht querschnittsgelähmt, kannst nicht mehr reden oder hören, musst im Rollstuhl hocken. Ist auch scheiße.“ Aber eigentlich wollt ich mich nie umbringen. Ich wollt nur diesen depressiven Zustand beenden. Ich wollt, dass es aufhört.

Versteh ich… wollen wir eine rauchen gehen?

Ja klar, ich hab in der Psychiatrie immer ne Schachtel am Tag geraucht. Jetzt rauch ich so acht Zigaretten am Tag. Aber ich hab eigentlich kein Geld dafür, weil ich bekomm nur 75 € Taschengeld im Monat, weil sie mir nicht mehr anvertrauen. Die Zigaretten schlauch ich mir dann immer. In der Museumsstraße geh ich dann rum und frag die Leute höflich: „Verzeihen Sie, könnten Sie mir eine Zigarette geben?“ Und wenn es funktioniert, sag ich: „Wäre es unverschämt, wenn ich mir zwei nehme?“ So hatte ich gestern Abend zehn Zigaretten zusammen.

Jedenfalls war ich schon 16-mal in Hall in der Psychiatrie. Ich hab nen ganzen Karton voller Berichte aus Hall. Ein halbes Jahr war ich in der Geschlossenen. Dort waren die Zustände wie im alten Rom. Es ging professionell zu, aber nach alten Mustern. Die alten Strukturen kamen noch durch. Ich kam mir vor wie ein Versuchskaninchen: hab alles Mögliche geschluckt und getan und dann hab ich meinen Holger nicht mehr erkannt und wieder Ängste bekommen. Hab das Gefühl gehabt, dass mich jemand abhört, mein Handy manipuliert.

Das erinnert mich an alte Filme über psychiatrische Kliniken.

Ja, also die haben zum Beispiel, als ein Patient einmal aus dem Bett gefallen ist, ein Kissen auf den Boden geschmissen und gesagt: „Schlaf einfach weiter.“ Deine persönlichen Sachen musstest du nachts wegsperren und die hast du dann am Morgen wieder bekommen. Morgens musstest du auch duschen, aber für sieben Frauen gab es nur eine Dusche, deshalb hattest du immer nur fünf Minuten Zeit. Und das war im 21ten Jahrhundert.

Was hat eigentlich deiner Meinung nach mehr geholfen: die Gespräche oder die Tabletten?

Die Gespräche haben mehr geholfen. Und die Tabletten…. grausig. Ich muss 14 Tabletten pro Tag nehmen. Fürs Blut, fürs Herz, fünf Stück für die Psyche und abends brauch ich vier, um einzuschlafen. Morgens nehm ich meine Antidepressiva, aber da bin ich trotzdem voll durch den Wind… Frühstück, Duschen, am Nachmittag geht’s dann wieder besser.

In Hall hatte ich einen bunten Regenmantel mit ganz vielen Blumen drauf. Den durft ich nicht mehr anziehn, weil ich angeblich ne Allergie davon bekomm. Die haben gesagt, das wär ein Plastikmantel, aber das war gar nicht so. Und wie gesagt, da hab ich Stimmen gehört die gesagt haben, ich werde abgehört. Hab immer gedacht, dass ein Flieger kommt… mit meinen Kindern… zum 50ten Geburtstag hab ich gedacht: „Wenn die jetzt mit dem Flieger kommen und mir geht’s so beschissen, werd ich nicht wissen, was ich sagen soll.“ Und ich hab mich immer gefreut. Ich wollt immer einen Brief bekommen und ich hab in der ganzen Zeit, wo ich krank war, nie einen Brief bekommen. Ich hatte noch Kontakt mit meinem Sohn, aber nicht mit meiner Tochter und die hat mir jetzt vor kurzem erst, nachdem ich aus dem Krankenhaus gekommen bin… und ich war schon 16-mal in Hall und Psychotherapie, Psychotherapie, Psychotherapie, Tabletten, Tabletten, Tabletten und ich konnte meinen Holger nicht mehr erkennen, so durcheinander war ich und dann bin ich auf dem Kinderspielplatz gelandet mit meinem bunten Mantel und dann bin ich unter den Zaun gekrochen, weil da keine Tür war. Ich wollte mich in die Sonne legen, aber dann bin ich mit meinem dicken Bauch nicht mehr durch den Zaun gekommen und dann mussten sie mich retten und mit dem Rollstuhl wieder in die Geschlossene fahren. Hatte aber auch Vorteile: Ich brauchte nicht zu laufen!

Und mein Papa… ich kam von der Arbeit… und da stand er in der Küche und hat sich die Kehle mit nem Brotmesser aufgeschnitten und ich stand da und wusste nicht was ich machen soll… starr… soll ich ihm das Messer wegnehmen oder was soll ich machen? Starr… ich war erstarrt. Ich wusste nicht was ich machen soll und dann hat meine Mama den Arzt gerufen bzw. die Rettung und die haben ihn wieder zusammengeflickt. Also er wollt sich wahrscheinlich etwas antun, weil er den Zustand auch nicht mehr ertragen konnte, weil er auch traumatisiert war bzw. Psychosen hatte und ich denke, dass ich das ein bisschen von meinem Papa geerbt hab.

Wurde er jemals diagnostiziert?

Ja, er war depressiv. Meine Mama hat ihm die Tabletten eingeteilt. Viele Tabletten. Einmal hat er lange geschlafen und Mama hat gesagt: „Schön, dass er endlich schläft. Lass ihn schlafen.“ Da war es dann schon zu spät…. zu viele Tabletten. Ich hab meine Mama immer beschuldigt, dass sie den Zustand nicht mehr aushalten konnte und ihm zu viele Tabletten gegeben hat. Ich durft mich auch nie verabschieden beim Grab. Sie wollt mich schützen, aber das war ein falscher Schutz. Ich war damals 19 Jahre alt und ich hab die psychologische Hilfe angerufen und die haben mich gefragt, ob ich schwanger sei und dann hab ich gleich aufgelegt. Dann dacht ich mir: „Wenn ich jetzt auf nem Fensterbrett wär, würd ich springen.“

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Und was machst du jetzt so?

Eigentlich nicht viel. Ich leb in einer WG mit anderen psychisch kranken Menschen. Wir gehen zusammen spazieren, kochen und jeder bekommt einen Dienst zugeteilt, um die Wohnung sauber zu halten. Ich wollt immer schon mal in einer WG leben und jetzt, mit 62 Jahren, hab ich´s endlich geschafft. Ach, da fällt mir ein… ich hab neulich ausversehen mein Handy in der Waschmaschine mitgewaschen. Ich hab’s aber dann in Reis eingelegt und jetzt geht´s wieder.

Was? Das hat wirklich funktioniert? Es hat den ganzen Waschvorgang überlebt?

Ja, tadellos, alles wieder ok. Mit schleudern und trocknen und so.

Unglaublich, im Trockner war es auch? Dann hat es den Reis vielleicht gar nicht gebraucht.

Ja, jetzt ist es wenigstens sauber.

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@artbystevej

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