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Revolution in Innsbruck! (aber mit Kunst)

Midjourney

Im Dunkeln laufe ich an den Gleisen entlang. Die Laternen sind ein wenig zu weit voneinander entfernt, die Straße ein wenig zu breit. Ein Industriegebiet am frühen Abend, verlassen und so abseits seiner Funktion seltsam surreal. Doch bereits aus einiger Entfernung kann ich das Stimmengewirr der Menschen hören, das sich eindeutig von der Stille abhebt. Vom Kreischen einer in den Bahnhof einfahrenden Lock begleitet, biege ich um die Ecke und betrete den Innenhof am südwestlichen Ende der Stadt. Heimatgefühle steigen auf. Zwischen an der Wand gelehnten Fahrrädern, Mülltonnen, Beton und Stahl entdecke ich eine kleine Menschentraube, die rauchend und quatschend vor einem Hauseingang steht, der genauso gut zu einem Hinterhof im Wedding gehören könnte. An der Wand das simple Schild: Westbahntheater. Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. Das nenne ich Charme.

Nach einer freundlichen Begrüßung und mit einem kühlen Bier in der Hand geselle ich mich zu der bunt gemischten Truppe in den Vorstellungsraum. Mäntel, Anzüge und Blusen tragende Menschen murmeln gespannt T-Shirts, Jeans und Sneakers Performenden letzte Worte zu. Dann wird es dunkel und die Schauspieler*innen betreten die Bühne: 6m² Holzplanken, 30m² freier Raum auf der Ebene des Publikums und ein einsamer Polsterstuhl aus einer anderen Zeit.

Immer noch im Dunkeln hört man lautes Schmusen und leidenschaftliche Zugeständnisse – da geht mit einem Knall die Tür auf und das Licht an! Zwei ineinander verschlungene Menschen erheben sich schnell von der Bühne und Lösen sich. Der dritte Mensch im Raum wirkt unzufrieden. Es folgt ein heftiger Wortaustausch: der Impresario und seine zwei Schauspieler*innen. Venedig, 18. Jahrhundert, Teatro Sant’Angelo. Ein gestresster und selbstverliebter Theaterleiter, und die an ihm und seinen in die Jahre kommenden Methoden zweifelnden Liebenden.

Oder auch nicht liebenden – denn im nächsten Moment wird Goldini aus der Probe entlassen und Maddalena fängt an mit dem Impresario zu spielen. Wir erfahren von einer mysteriösen Nacht und einer Couch, sehr wenigen Erinnerungen und einer leichten… Eifersucht? Jedenfalls ist das das Thema der nächsten Probe. Ein originales Stück aus der Zeit der Commedia del‘arte. Vulgär, sexistisch, eine grunzende Maskierte, begrapschte Brüste und flache Witze. Etwas unsicher finden vereinzelnde Lacher den Weg aus dem Publikum und verlieren sich in einem erneuten Schlagabtausch auf der Bühne. Auch die beiden Liebenden (?) sind nicht ganz überzeugt – um es höflich auszudrücken – und versuchen ihrem geldgierigen Chef eine Alternative vorzustellen: ein neues Werk, geschrieben von Goldini persönlich.

Und so beginnt ein langer Kampf. Denn das neue Werk ist nicht einfach ein Stück. Es ist eine Revolution! Eine Absage an die stumpfe Komödie! An plumpe Lacher und die sich immer weiter leerenden Theatersäle – echte Gefühle, echte Menschen. So etwas hat Venedig noch nicht gesehen.  Voller Leidenschaft entfacht ein Kampf zwischen den Dreien: Emotionen, verschwommene Welten, verdrehte Rollen, List und endlich: echter Humor.

Berauscht verlasse ich das Theater und habe prompt die gesamte Belegschaft vor der Nase. Mit den Gästen plauschend treffe ich die Schauspieler*innen und den Rest vom kleinen Team des heutigen Abends. Man kennt sich. Noch immer leicht schwindelig von den Eindrücken wechsele ich ein paar Worte mit dem Impresario – nicht nur des Teatro Sant´Angelo wie ich lerne, sondern auch des Westbahntheaters. Konrad Hochgruber. Er erzählt mir, wie er 2004 mit zwei Kollegen das Theater gründete. Eben aus einer Festanstellung am Theater in München gekommen, vermissten sie moderne Stücke in Innsbruck. Sie fanden eine alte Nudelfabrik am süd- westlichen Ende der Stadt und verwirklichten den Traum. Zusammen mit Absolvent*innen und Schüler*innen der Schauspielschule schafften und schaffen sie es, aufwendige und größere Projekte zu verwirklichen als es einem Theater dieser Art normalerweise möglich ist – und alle profitieren davon: die professionellen Bühnendarsteller*innen geben ihr Wissen weiter und die Schüler*innen bringen das Feuer der Jugend mit. Gemeinsam werden hier politische Themen behandelt, Ideen vermittelt, gelacht und geweint. Doch genau wie wir es von Menschen kennen, kommt jeder Charme mit seinen dunklen Seiten. Wie jedes Off-Theater, kann auch dieses sich nicht ohne die Unterstützung der Stadt finanzieren. Zu viel Aufwand steckt dahinter. Doch mit einem Lachen wird auch das wieder davon gewischt, denn heute ist Premiere und es muss ein wenig gefeiert werden. Nach noch einem Bier schwinge ich mich aufs Board und fahre nach Hause – denn ich muss leider wieder an den Schreibtisch.

Aber das Gefühl dieser kleinen Welt lässt mich jetzt, drei Tage danach noch immer nicht ganz los. Ich denke ich werde mich wieder einmal dorthin verlaufen. Vielleicht treffe ich euch ja irgendwann einmal da.

(An dieser Stelle will ich einmal ganz schmierig Göthe zitieren:

„So schreitet in dem engen Bretterhaus

Den ganzen Kreis der Schöpfung aus

Und wandelt mit bedächt’ger Schnelle

Vom Himmel durch die Welt zur Hölle“

Und jetzt wo wir als nachhaltige Studis nicht mal mehr nach Bali fliegen dürfen… Ist das doch eine schöne Art die Welt zu sehen!)

Die Vorstellungen des Stücks „Maddalena“ findet ihr noch:

Am 18./19./20./25./26. Und 27. November sowie am 2./3. Und 4. Dezember in der Feldstraße 1a.

Wenn es dich interessiert, schau mal hier: westbahntheater innsbruck

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