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Die Sprache als Teppich vor uns ausgebreitet – „Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“

Elfriede Jelinek ist eine, wie sie sagt, Plastikerin mit Worten. Sie modelliert mit Sprache. Sie zeichnet ein Bild von Österreich und der Gesellschaft der Zeit auf eine grotesk objektive, nüchtern- distanzierte und zugleich schamlos distanzlose Art und Weise. 2004 gewann sie den Nobelpreis für Literatur und zog sich daraufhin aus der Öffentlichkeit zurück. „Österreich liebt und hasst seine Künstler“, sagt sie einmal. Einmal mehr eine treffende Beobachtung; leider auch ihres eigenen Status als Künstlerin. Von der Kritik in den Himmel gelobt und mit einer teufelsgleichen Nestbeschmutzerin gleichgesetzt, polarisiert sie bis heute.

Eva sagt, im Kinosaal „womelet“ es. Ich weiß nicht, was das bedeutet. Sie meint, dieses Wort würde die Situation beschreiben, wenn viele Menschen leise murmeln und dadurch diese monotone Vibration erzeugend in einem Raum wuseln würden. Ich nicke und finde, dass es passt. Die Regisseurin des Filmes „Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“ heißt Claudia Müller. Sie studierte Germanistik, Publizistik und Kunstgeschichte und machte schon mehrere Dokumentationen über berühmte Persönlichkeiten für das Fernsehen. Über Jelinek drehte sie nun den ersten Dokumentationsfilm für das Kino. Bei der heutigen Tirol-Premiere im Zuge der Kinovi(sie)onen wird sie auch für ein Q&A nach dem Film über Zoom zugeschaltet werden. Als die Lichter ausgehen, bin ich aufgeregt, die Frau, die mich schon seit ich ihr erstes Buch gelesen habe, fasziniert (oder versaut hat, wie viele Kritiker*innen sicher sagen würden!), Elfriede Jelinek, kennenzulernen.

Der Nobelpreis ist Anfang und Ende für Jelinek, er soll als Klammer für diesen Film fungieren, meinte die Regisseurin über den Einstieg und das Ende später im Gespräch. Im Film lernen wir so gleich eine Frau kennen, die uns einen Hoodie tragend in ihrem Haus willkommen heißt. Sie ist nicht zur Nobelpreisverleihung gefahren, um den Preis entgegenzunehmen, ihre Angst vor dem Reisen und dem Rausgehen habe sie davon abgehalten. Früher war das anders, meint sie. Elfriede Jelinek ist in der Steiermark geboren und in Wien aufgewachsen. „Ein guter Künstler zehrt ein Leben lang von den Erfahrungen der Kindheit“, sagt sie an einer Stelle. Jelineks Kindheit ist geprägt von einer dominanten Mutter, die Erwartungen an ihre Tochter hat, die von Beginn an dazu verdammt sind, unerfüllbar zu sein. Sie hetzt von einem Kurs zum nächsten, lernt, unzählige Musikinstrumente zu spielen. Sie besucht auf den Wunsch ihrer Mutter hin eine katholische Schule. Ihr Vater war Jude und überzeugtes Mitglied der SPÖ. Das Blut läge so in ihrer Familie, meint Jelinek. Im Christentum in der Darstellung und Glorifizierung des Leids durch den Christus am Kreuz und bei ihrem Vater und dem Judentum durch die grausame Vergangenheit des Holocaust. All diese Themen werden auch später die zentralen Elemente in Jelineks literarischen Werkes darstellen. Auch im Film wird zu späteren Stellen immer wieder die Kindheit Jelineks miteinbezogen. Gerade so, als würden auch Jelineks Gedanken innerhalb der Erzählung, die während des ganzen Films ihre eigenen Worte aus Archivmaterial sind, immer wieder in ihre Kindheit abschweifen.

Wenn der Druck zu groß wird, ist die Explosion unvermeidbar. Die Collagenhaftigkeit des Filmes unterstützt die Enge der Kindheit, und das Bedürfnis Jelineks, sich durch ihre Worte freischreiben zu wollen, sich die Sprache aus sich herausschießend in die Welt zu entladen. Die Wut und Kraft als Ausgangspunkt und Motivator ihres Schreibens, bleiben als Motor bis heute deutlich. Mit ihrer literarischen Arbeit skizziert sie ein Österreich, in dem die Entnazifizierung nie stattgefunden hat, die Geschichte unter den Teppich gekehrt es nun holprig macht, über diesen zu gehen, oder darauf eine Zukunft zu bauen, die nicht eine instabile Scheinwelt darstellt. Jelineks Sprache wird gleichzeitig zum Stolperstein für eingesessene, traditionalistische Österreicher*innen und zum Aussichts- und Überblickspunkt für diejenigen, die mutig und offen genug sind, sie als diese zu erkennen. So werden auch im Film Themen angeschnitten, mit denen Jelinek sich öffentlich auseinandersetzt. Ein Beispiel ist der Tourismus. Durch die schnellen Abfolgen von Archivmaterial der Après-Ski-Eskapaden ihrer und unserer Zeit wird die Zeitlosigkeit der Themen, und dadurch auch die unglaubliche Wichtigkeit und Relevanz der Kritik Jelineks bis heute deutlich. Ebenfalls betreffend die Politik, als Jörg Haider mit der FPÖ im Parlament erstarkte, oder des Frauenbild, oder der Sport, oder die weibliche Sexualität in einer patriarchalen Gesellschaft. Eine Frau, die die Identifikationsmerkmale „der*des Österreichers*in“ in radikal ehrlicher Weise auf ein Podest stellt, die Held*innen der Nation demaskiert, tritt wohl oder übel auf Füße, die, sofort defensiv ihres Landes gegenüber werdend, auf alles eintreten, was ihr fragiles Weltbild ins Wanken bringen (wollen) könnte. Ausschnitte aus Jelineks Werken werden im Film immer wieder als Monologe, mit komplementierenden Aufnahmen unterlegt, in den Film eingewebt. Die Worte Jelineks bilden einen Teppich, in den sich hineingelegt werden kann, nur nichts ins Versteck darunter gekehrt werden kann. Nach dem Gewinn des Nobelpreises, für welchen Jelinek von den Österreicher*innen angegriffen wurde, zieht sie sich zurück. Ab hier gibt es auch für den Film kaum Archivmaterial mehr von ihr. Nur noch ihre Worte, denn ihr literarisches Schaffen fand durch ihren Austritt aus der medialen Öffentlichkeit kein Abbrechen. Das war auch der Regisseurin wichtig zu erwähnen.

Der Film sei in enger Zusammenarbeit mit Jelinek entstanden, die mit Informationen und Rat zur Seite gestanden habe, erzählt Claudia Müller im Anschluss. „Und wie haben Sie Elfriede Jelinek als Person erlebt?“ wird gefragt. Claudia Müller antwortet, Jelinek sei eine äußerst umgängliche und nahbare Person. Dies sei ihr aber auch oft zum Verhängnis geworden, da die Leute es unmöglich fänden, diese reale Person mit ihrem energetischen, kraftvollen und visionären Schaffen in Übereinkunft zu bringen. „Was für eine Frau muss das sein, die sich da jeden Morgen hinsetzt und über diese scheinbare Vergewaltigung der Frau durch den Mann im alltäglichen sexuellen Umgang schreibt?“, wettert eine Person im Film, sichtlich auf den Schlips getreten über Jelinek. Nun ja, eine Frau, die mutig genug ist, ihr Talent und Können für Sprache und Beobachtung einzusetzen, um den Menschen einen geschriebenen Spiegel vorzuhalten und keine Hässlichkeiten oder Schamgefühle darin zu verschönen.

Elfriede Jelinek sagt an einer Stelle: „Wenn man ein Werk erklärt, schwächt man es“. Ich höre auf sie, beende meinen Text, stehe aus dem Kinosessel auf und ströme mit den anderen nach draußen.

Mehr Infos zum Film:
https://www.polyfilm.at/film/elfriede-jelinek/

Foto: Claudia Ploner

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