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„Kunst muss etwas auslösen, sonst ist es Deko!“ – Im Interview mit Regisseurin Susanne Lietzow

Das Stück „Monster und Margarete“ von Thomas Arzt wurde am 18. August, 2022 im Zuge der Tiroler Volksschauspiele in der Kuppelarena in Telfs uraufgeführt. In dem Stück geht es um die Geschichte der österreichischen Herzogin Margarete von Tirol-Görz, bekannter unter dem Namen „Margarete Maultasch“. Diese bekam ihren Spitznamen durch eine, wie wir es heute nennen würden „Fake-News Kampagne“, die ihr eine hässliche Physis und ein fratzenhaftes Gesicht nachsagte. Außerdem wagte Margarete von Tirol-Görz es, ihren Zeitgenossen (absichtlich ungegendert) Widerwort zu geben, was sich für eine Frau der damaligen Zeit absolut nicht gehörte. Die Bedeutung des Wortes Maultasch wurde damals ungefähr so verwendet, wie heute die Beschimpfung „Hure“ – als misogyne Beleidigung gegenüber Frauen, um diese zu degradieren. Das Stück erzählt das Leben von Margarete von Tirol-Görz, beginnend mit ihrer Kindheit und soll laut den Tiroler Volksschauspielen der Wiedergutmachung einer von vielen durch patriarchale Verhältnisse unterdrückten Frau dienen. Regie führte die in Innsbruck geborene Susanne Lietzow. Sie besuchte zunächst die Modeschule in Wien, studierte anschließend Bildhauerei in New York und machte eine Ausbildung an der Schauspielschule Innsbruck. Für ihr Schaffen als Regisseurin wurde sie bereits viermal für den Nestroy Preis nominiert und für zwei Inszenierungen mit demselben ausgezeichnet. Die Zeitlos traf Susanne Lietzow am vorletzten Aufführungsabend im Telfs für ein Interview, um ihr bei Marillensaft und Reggae-Musik ein paar Fragen zu ihrer Person und der Inszenierung des Stückes „Monster und Margarete“ zu stellen.

Die Zeitlos: Sie sind ja in Tirol geboren und viel in der Welt herumgekommen. Daher die Frage: Was bedeutet Tirol für Sie? Können Sie uns ein kleines sprachliches Bild von Tirol aus Ihrer Perspektive zeichnen?

Susanne Lietzow: Ein kleines sprachliches Bild, das ist schwierig (lacht). Also: Solange ich bewusst denken kann, habe ich Tirol als relativ eng, konservativ und katholisch empfunden. Ich bin ja auch mit 14 von hier weg und war damals auch sehr froh darüber. Mit der Zeit hat diese pubertäre Haltung der Ablehnung natürlich doch irgendwann aufgehört, die inhaltliche Ablehnung auf gewisse Art und Weise aber nicht. Mittlerweile komme ich aber sehr gern wieder hierher. Ich finde es schon interessant, dass es wenig Länder gibt, in denen man einen so gelebten Patriotismus durch alle Generationen hindurch findet, wie in Tirol. Das ist schon eine Ausnahmesituation – ich zumindest kenne das von nirgendwo anders her, dass dieses „Tiroler*in-Sein“ an erster Stelle kommt.

Würden Sie sich als Tirolerin identifizieren?

Nein, absolut nicht. Heimatbegriff gibt es für mich nicht. Heimat ist für mich dort, wo meine Leute sind. Was es allerdings gibt sind gewisse sentimentale Gefühle gegenüber Tirol. Die haben aber, wie bei allen Tiroler*innen vermutlich, mit Bergen zu tun. Die sind eben einfach wunderschön.

Über das Leben welcher Person fänden Sie es spannend ein Theaterstück zu inszenieren?

Da gibt es einige – vor allem Frauen. Ich mache generell aber auch sehr viele Theaterabende, in deren Zentrum Frauen stehen, das ist für mich klar und auch wichtig! Aber da gibt es wirklich wahnsinnig viele tolle Vorbilder in der Geschichte! Allgemein interessieren mich dahingehend weniger berühmte Personen für die Inszenierung eines Stückes. Es würde mich zum Beispiel viel mehr interessieren über die Frauen meiner Tiroler Familie ein Stück zu inszenieren, weil ihre Geschichte wahnsinnig spannend ist. Es gab da damals unglaubliche Verwerfungen innerhalb der Familie, politische unter anderem. Halb waren da absolute Nazis, halb aber überzeugte Kommunist*innen. Oder ein anderes Beispiel: Ich habe auch eine Tante, die mit 105 verstorben ist, die ein ungeheuer interessantes Leben geführt hat, das spannend wäre zu inszenieren. Mit 105 ist sie ihre Kinder im Altersheim besuchen gegangen, weil sie noch allein lebte. Sie war eine ganz tolle und selbstständige Frau.

In Bezug auf diese Frage vielleicht auch noch: Welches Stück würden Sie ganz generell gerne einmal inszenieren, das es vielleicht schon gibt, oder auch nicht?

Ich habe mir sehr viele Wünsche schon dahingehend schon erfüllt. Aber so ist das schwer zu sagen, es ist ja immer ein Finden und Verlieben. Es gibt zum Beispiel einen Roman, den ich wahnsinnig gerne mal auf der Bühne sehen würde, das ist „Der Feuerkreis“ von Hans Lebert. Das war ein Skandalroman in den 50er Jahren und der Autor hat sich dann später auch das Leben genommen. Er hat eine Form gefunden über eine Art der Sexualität das Nazireich aufzuarbeiten und das ist wirklich hochspannend. Eine Empfehlung zum Lesen – es gibt kein vergleichbares Buch.

Der generelle Prozess der Entstehung dieses Stücks „Monster und Margarete“ und der gesamten Produktion würde mich näher interessieren: Wie ist das alles abgelaufen? War bereits klar, welches Stück gespielt werden soll, als Sie zugesagt haben, Regie zu führen?

Christop Nix, der Intendant, hat mich und den Autor des Stückes beide angefragt noch bevor wir ein Thema hatten. Das Stück ist also quasi ein Auftragswerk für diese Produktion. Ich weiß gar nicht mehr, wer die Initialzündung hatte, aber wir kamen relativ schnell auf Margarete Maultasch. Als in Tirol aufgewachsenes Kind kannte ich sie und die Geschichte rund um sie und habe auch in der Pubertät „Die Hässliche Herzogin“ von Lion Feuchtwanger gelesen. Ich hatte natürlich auch noch dieses falsche Bild im Kopf, wie alle eben. Dann begannen wir die Recherche und merkten, es gibt doch relativ viele historisch belegte Quellen, die sie als wunderschön beschreiben. Dieses hartnäckige Halten einer solch intriganten Fake-News-Agenda hat mich von Anfang an fasziniert. Und natürlich auch, und darauf sind wir auch erst in der Recherche gekommen, dass ihre Hochzeit die erste weltliche Hochzeit unserer Geschichtsschreibung ist und dass diese Margarete selbsttätig initiiert hat. Die hat ja wirklich eigenständig mit 20 Jahren den Kaiser angeschrieben und sich gegen den Willen von allen anderen einen neuen Mann geholt. Und das war schon eine unglaubliche Tat für die damalige Zeit.

Und weiter ging das dann, als Sie mit dem Autor Thomas Arzt in Kontakt standen zur Konzeption dieses Werkes?

Ja genau, wir waren eigentlich ein Jahr lang in stetem Kontakt. Es kam immer wieder Text, dann hab‘ ich ihn kommentiert, „mehr in die Richtung oder die“. Die Konzeption war relativ schnell klar von meiner Seite, denn ich wusste, es sollte modernes Volkstheater von einer gewissen Größe werden. Wir wussten von Anfang an, wir haben zehn Schauspieler, einen Chor, eine Statisterie, ein Pferd…. Und das ist dann toll, wenn man daraufhin ein Stück entwickeln darf. Ich mag auch die literarische Form von Thomas Arzt unglaublich gerne – die Offenheit des Stils. Die Sätze kann man oft selbst zu Ende führen.

Apropos Offenheit: Was würden Sie sich, würden Sie gerade an meiner Stelle sitzen, vielleicht gerne über das Stück fragen?

Ich würde eine Patriotismus-Frage stellen. Denn das Stück hat natürlich einen teilweise spöttischen Umgang mit dem Patriotismus aber andererseits auch einen sehr ernsthaften Umgang. Da war es für mich in der Inszenierung sehr schwierig die Waage zu halten. Es ist belegt, dass Margarete absolut patriotisch war, im Sinne von „ihre“ Tiroler*innen und so weiter. Die Habsburger haben sie ja exiliert und ihr verboten das Land zu betreten. Sie hat dann sogar noch, als sie im Exil war, einen Fluchtversuch unternommen, um noch einmal zurück nach Tirol zukommen. Und vor dieser wahnsinnig kräftigen, patriotischen Verbindung von Margarete zu Tirol hatten die Habsburger Angst. Und dadurch, dass ich per se Patriotismus hinterfrage, war das so spannend und ich habe damit auch tatsächlich ein wenig gekämpft.

Finden Sie, dass Kritiken über das Stück zu wenig auf diesen Aspekt eingegangen sind?

Eher “gar nicht”. Es gab nur eine Kritik, die das Stück auch gelesen hat, was ich eigentlich unmöglich finde. Ein*e Theaterkritiker*in, der*die was auf sich hält, sollte eigentlich das Stück gelesen haben. Diese eine Kritik, die war wirklich gut und ist auch zentrale Fragen des Stückes eingegangen. Die restlichen bräuchten mal eine Kritik auf die Kritik. (lacht)

Was in den Kritiken auch stets kritisiert wurde ist der Fakt, dass so viel geflucht wird. Warum ist aber gerade das so ein starkes Stilmittel im Kontext?

Fangen wir mit dem ersten Schimpfwort an und das ist „Maultasch“. Und dann würde ich sagen, man muss nur einmal Twitter-Kommentare lesen und dann weiß man, warum diese Sprache benutzt wurde. Es ging uns um Fake-News und die daraus resultierende Vernichtung dieser Figur der Margarete. Für mich war es nie wirklich eine Frage, ehrlich gesagt. Ich meine, man hat auch schon Schwab überlebt und man hat auch schon Bernhard überlebt, da fand ich diese Kritik an der Sprache im Stück wirklich absurd und konservativ.

Haben Sie eine persönliche Lieblingsstelle im Stück oder eine Stelle, die Sie besonders eindrucksvoll finden?

Viele… Ich find zum Beispiel den Tod vom Hauptmann, diese Einfachheit einen Krieg zu beschreiben total schön – ohne große Stilmittel, ganz einfach das Sterben zu zeigen. Ich finde auch den Auftritt von Margarete auf dem Schlachtfeld beeindruckend. Da musste ich aufpassen, dass ich nicht mitweine. Auch generell einfach dieses langsame Zerbrechen dieser Frau im Laufe des Abends, dieses Nicht-mehr-Stand-halten-können fand ich eindrucksvoll.

Im Kontext mit dieser Produktion liest man häufig dieses Stück wäre eine „Wiedergutmachung“ für Margarete von Tirol-Görz. Ist Tirol bereit für eine Wiedergutmachung?

Weiß ich nicht, die Frauen vermutlich schon (lacht)… Nein, nein. Natürlich gibt es ein Interesse daran. Man muss auch sagen, es gibt ja auch viel Unwissen. Natürlich ist das, was wir mit diesem Stück machen auch teilweise semidokumentarisch: Wir wissen zum Beispiel nichts über den Charakter von Margarete. Außer, dass die „Maultasch“ unter anderem zu ihrem Namen kam, dadurch, dass der alte Wittelsbacher Kaiser sagte, sie hätte immer Wiederworte gegeben. Auch der spätere Kaiser Karl schrieb in seiner Autobiografie über diese schreckliche Tiroler Frau, die immer das Maul aufreißt.

…Hilfe! Eine Frau die spricht!…

…Eine Frau, die sich erdreistet sich zu sprechen!

Es gibt ja nach wie vor genug Frauen, die sich in einer immer noch patriarchal geprägten Gesellschaft in gewissen Machtpositionen, oder auch nicht, befinden und nicht oder noch nicht „Wiedergutmachung“, Gerechtigkeit erfahren (haben). Wie zeigt sich das zum Beispiel in Kunst/ Kultur aber auch generell?

Wir haben ja schon kleine Schritte in die richtige Richtung gemacht. Im Augenblick hab‘ ich da aber, ehrlich gesagt Angst, dass wir wieder ein bisschen zurückgehen. Mein persönlicher Schockmoment war, als bei einer Demonstration in Polen eine ungefähr 80-jährige Frau ein Schild hochhielt auf dem stand: „Ich dachte nicht, dass ich nochmal in meinen Leben für Abtreibung demonstrieren muss!“. Ich arbeite gerade an einem Stück, das spielt in den 70er Jahren und da habe ich in der Recherche sehr viel diese Aufbruchsstimmung und Freiheit mitbekommen und gemerkt, wie wahnsinnig weit wir gerade davon entfernt sind.

Im Stück gibt es ja auch viele Stellen, in denen sehr ironisch mit der Thematik rund um die Kirche umgegangen wird. Man würde meinen, dafür würde man selbst in Tirol im Jahr 2022 nicht mehr so stark kritisiert werden. Wie war das aber dann in der Realität?

Es hat mich zwar auch erstaunt, dass es immer noch so ein Thema ist, aber im Grund habe ich damit gerechnet. Und diese Szenen so provokativ zu inszenieren, das ist auch absichtsvoll gewesen. Es gibt für mich einen Punkt im 14. Jahrhundert, da hat sich die katholische Kirche komplett abgewandt vom christlichen Glauben und zum Beispiel die „Sünde“ als Einnahmequelle entdeckt hat. Und da entstand der Reichtum der Kirche. Ich habe auch auf Schloss Tirol diese Ablassbriefe gesehen. Den Ärmsten der Armen den letzten Groschen wegzunehmen und ihnen dafür das Paradies zu versprechen – damit hat sich für mich, von den ganzen sexuellen Übergriffen abgesehen, einfach alles aufgehört. Und ab dem Punkt kann mich die katholische Kirche am Arsch lecken. Immerhin ist der Vatikanstaat immer noch der reichste Staat der Welt. Und dann noch immer die Darstellung der Frau als „Kelch der Sünde“, das ist ja unvorstellbar…Diese Arschlöcher… Entschuldigung, da fang ich jetzt auch an zu schimpfen. Insofern: Ja, ich habe ich diese Szene sehr gern gemacht. (lacht)

Das hat man auch definitiv gemerkt. Und es hat wahnsinnig Spaß gemacht, während dem Stück die teilweise schockierten Reaktionen der Leute im Publikum zu beobachten. Damit bestätigt sich das Bild von den Tiroler*innen wie es im Stück gezeigt wird auf der Stelle selbst. Deshalb noch die letzte Frage: Es schien den Leuten teilweise sehr unangenehm zu sein und auch ich habe gelitten zu sehen, wie diese Frau zerstört wird, mit den schlimmsten Worten bezeichnet wird. Muss Kunst unangenehm sein oder weh tun?


Kunst muss auf alle Fälle etwas auslösen, sonst ist es Deko!

Fotos: Tobias Goller

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