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70er Sexploitation zwischen Porno und Psychose – A woman‘s torment

Die vierte Diametrale Nachtvisionen in Innsbruck förderte auch dieses Mal wieder vergrabene Filmschätze zu Tage, die im Leokino und Cinematograph gezeigt wurden. Schwerpunkt der Nachtvisionen 2022 war die Ära der Sexploitationen aus den 70er Jahren, aber ausschließlich von Frauenhand gedreht, gefilmt und produziert. Die außergewöhnliche und (vielleicht) ambivalente Kombination von Porno und Psychose lockte mich in das Kino. Siebenundachtzig Minuten lang durfte ich auf großer Leinwand das audiovisuelle Kunstwerk A woman‘s torment von Roberta Findlay aus dem Jahr 1977 betrachten.

Kopf zwischen den Beinen & Kopf voller Stimmen

In diesem pornographischen Psycho-Thriller sind Sex und Schizophrenie nur wenige Filmschnitte voneinander entfernt – und verschmelzen irgendwann zu einer Einheit, die weniger absurd wirkt, als man meinen möchte. Nicht nur Ejakulat, sondern auch Kunstblut spritzt aus den Menschen, wenn die psychisch kranke Schwester Karen gerade jemanden während oder nach dem Sex umbringt. Die psychotischen Stimmen in Karens Kopf werden durch irritierende Geräusche dargestellt. Sie verschwinden, wenn Karen sexuell befriedigt wird – aber nur solange sie das Sagen hat. Geplagt durch eine irrationale und ambivalente Angst tötet sie jeden Menschen, der ihr zu nahe kommt: Zuerst den Hausmeister, den sie zuvor verführt hat, dann die etwas verrückte Nachbarin, die sich ihr aufdrängt, und zu guter Letzt das verliebte Pärchen, das sich in das Ferienhaus einschleicht, in dem Karen alleine wohnt, und dort im Bett Geschlechtsverkehr hat.

Die X-Rated Version

Die verheiratete Schwester Karens leidet unter ihrer heteronormativen, unbefriedigenden Ehe. Der Sex ist vom Egoismus ihres Ehemannes geprägt – Hauptsache er kommt. Zwischen leeren Gesprächen und Alkohol auf belanglosen Partys der Mittelschicht jagt eine Sexszene die nächste: Schamlose Schambehaarung ganz im Stil der Siebzigerjahre, Nahaufnahmen der Geschlechtsteile, die aus jedem erdenklichen Winkel gefilmt wurden; die Zuschauer*innen haben es mit Körpern zu tun, die weit entfernt von der scheinbaren Perfektion der modernen Pornoindustrie sind. Es sind fünf bis zehn minütige Sexszenen, die mit Musik untermalt sind und stets mit der Ejakulation des Mannes auf dem Körper der Frau enden (im Gegensatz zum Orgasmus der Frau, der in diesem Film kaum oder gar kein Repräsentation erfährt) – eine Beobachtung, die mich unter dem feministischen Standpunkt der Sexploitation allerdings fragend zurück lässt. Ob sich die Filmemacherin Roberta Findlay dessen bewusst war, und die Überrepräsentation (und dadurch auch Bemächtigung) der Ejakulation des Mannes gezielt einsetzte, oder ob sie damals selbst von dem gesellschaftlich verzerrten Bild des Orgasmus der Frau betroffen war, bleibt ungeklärt und offen.

Von Innsbruck bis New York mit dem Festnetz

Mit sechs Stunden Zeitverschiebung und einer Technik, die es uns ermöglicht, via Festnetz von Innsbruck nach New York zu telefonieren, rundete das Gespräch mit der bereits 74-Jährigen Roberta Findlay den Abend ab und verlieh der Atmosphäre im dunklen Kinosaal den nötigen old-school Charme. Kuriose Fakten stellten sich im Gespräch mit der Filmemacherin heraus, als sie uns beispielsweise erzählte, dass sie selbst als Schauspielerin einspringen musste, nachdem Karen vom Set ohne Vorwarnung verschwunden war, mit der Begründung: „Zu wenig Drogen und Sexszenen!“. Außerdem brachten mich die Methoden der damaligen Zeit zum schmunzeln: Findlay gab eine Anzeige in der Zeitung auf, in der sie nach Schauspieler*innen für ihren Film, der explizite Sexszenen enthält, suchte. „Wie fällt einem die Kombination von Porno und Psychose ein?“, fragte jemand aus dem Publikum, und Roberta Findlay antwortete: „Well, that‘s my life!“

Bild: Leona-Cosima Piffer

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