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Cannabis: Zwischen Glorifizierung & Verteufelung

Ich und mein Freundeskreis kamen früh in den Genuss einer friedlichen Pflanze namens Cannabis. Als ich 15 Jahre alt war, einen Monat nach meinem ersten Herzensbruch, rauchte ich in der Nacht auf den Valentinstag meinen ersten Joint, zusammen mit einem langjährigen Freund, der bereits ein wenig Erfahrung damit hatte und mich so in diese Erlebniswelt führen konnte.

Ich weiß heute nicht, was ich damals von Gras oder anderen sogenannten Drogen hielt. Ich war zum damaligen Zeitpunkt einmal angetrunken gewesen und Alkohol schien ein wesentlicher Bestandteil der Kultur zu sein. Selbstverständlich wurde mir von meinem Umfeld auf den Weg gegeben, dass Drogen böse sind und meine Eltern waren in diesem Sinne gute Vorbilder. Sie haben nie Zigaretten geraucht und auch nicht wirklich Alkohol getrunken.

Doch nach wie vor scheint es, als wäre die Verteufelung nicht sehr wirksam gewesen und als wäre es auch nicht in meinem Interesse gelegen, meine Eltern als Vorbilder zu betrachten. Es fiel mehr ins Gewicht, was ich von meinem Freund erzählt bekam, über die Wirkung eines Joints und den Spaß, den der Konsum verursacht. Neben der Neugier spielte vermutlich auch ein subtiler Gruppenzwang mit, so wie der bereits ins Rollen gekommene Rebellionsgeist, der in der Pubertät so häufig anzutreffen ist.

Das Christkind und der Osterhase waren also fake, Gott und die Kirche schienen ebenso ein fragwürdiger Aspekt der Kultur zu sein, in der ich groß wurde. So ist es naheliegend, dass vermutlich auch weitere Dinge, die mir durch Eltern oder sonstige Autoritäten als Wahrheit verkauft wurden, anders zu betrachten möglich sind. An besagtem Tag trug ich vermutlich endgültig Kains Zeichen auf der Stirn und begann, ähnlich wie Emil Sinclaire in Demian, mich von der scheinbar reinen und gut behüteten Welt abzuwenden, in die ich zunächst geworfen war:

Das Leben ist gut, aber Drogen sind böse.
Im Leben stehen dir alle Türen offen, aber es gibt hungernde Kinder in Afrika.
Das Leben ist voller Wunder, aber steig zu keinem Fremden ins Auto.
Gott liebt dich, aber wenn du dich falsch verhältst, kommst du in die Hölle.
Das Leben ist ein Geschenk, aber es gab Adolf Hitler und den Holocaust.


Irgendetwas stimmte mit diesen Gleichungen nicht und mich interessierten diese Abers.

Die Jahre vergingen und ich lebte mit meinem Freundeskreis recht isoliert in einer eigenen Welt. Die Fußballclubs, die Zeltfeste, die regulären Lebensziele von Arbeit, Haus, Garten und Kindern sowie die tendenziell konservativen Köpfe unserer dörflichen Heimat, die wir „Mordor“ nannten, zogen uns nicht besonders an. Wir verschanzten uns in ein dunkles Zimmer, rauchten und schauten in den Fernseher, der meist Musikvideos von Künstler*innen zeigte, die scheinbar ebenso wenig mit dieser Welt zu tun hatten, wie wir es wollten.

Es war eine befreiende Ausflucht, andere Eindrücke zu bekommen, seien sie aus der Musik oder von der Wirkung des THC´s. So lebten wir uns gegenseitig vor, dass Gras nichts Gefährliches sei und Musiker wie Lance Butters, Wiz Khalifa, Asap Rocky und Yung Lean bestätigten es. Sie bestätigten, dass es Anderes gibt, man anders sein kann und dabei eventuell sogar ziemlich cool ist, zwinker.

„Alle sagten immer Gras sei böse, Unkraut und Suchtgift, doch sieh uns an, wir lachen, die Musik ist phänomenal und das Essen ist unglaublich!“ – So in etwa dachten wir. Die logische Konsequenz aus einer Verteufelung ist vermutlich die Glorifizierung, irgendwie muss diese Waage ja auch gehalten werden. Heute sieht das natürlich ganz anders aus; Wir wurden entgegen jeder Peter Pan’schen Erwartung erwachsener und die Extremität unserer Überzeugungen konnte nicht aufrecht bleiben, erst recht nicht nach dem Bewusst-Werden der Schäden, die es hinterließ.

Jene Schäden werde ich unbenannt lassen, wie auch die so genannte Moral von der Geschichte.

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