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Die Einsamkeit in mir

Ich wünschte, ich könnte in Worte fassen, wie sie sich anfühlt. Diese Einsamkeit. 

Die Einsamkeit in mir ist wie ein wildes Tier. Im Winterschlaf. Sie streckt sich und reckt sich. Es macht mir Angst. Sie zu spüren. Wenn sie träge blinzelt, müde von der langen Erwartung des Erwachsens. Ich spüre sie, die kurze Spannung vor dem Fall, das leere Gefühl im Bauch. Die Einsamkeit hat sich zu zweit einfacher angefühlt. Da gab es zwei Monster, die miteinander rangen, spielten, sich umarmten. Die Zweisamkeit hat sich ganz anders angefühlt. Sanft, leicht, wie zwei Löwenzähne, die im Wind schwelgen. Die miteinander Walzer tanzen. 

Die Einsamkeit ist wie ein Regen. Das hat Rilke gesagt. Weil es sich anfühlt als würde man weinen, pausenlos, bloß damit die Tränen stumm im Boden versickern. Die Einsamkeit ist feucht, modrig, wie Bücher, die zu lange im Keller lagen. Deren Seiten sich mit der Zeit zu wellen begonnen haben und langsam vergilben. Wie Buchstaben, die verblassen. So fühlt es sich an. Immer durchsichtiger, bis nur noch ein Hauch bestehen bleibt. Steter Tropfen höhlt den Stein. Der Regen formt eine Höhle in dieser Menschenmenge. Eine Blase nur für mich allein. 

Die Einsamkeit isoliert von den Einsamkeiten anderer. Das haben schon die Beatles gesagt. Wenn Eleanor Rigby den Reis der vergangenen Hochzeit aufhebt, bemerkt sie nicht Father McKenzie, der an seiner Rede tüftelt, die nie jemand hören wird. So fühlt sich Einsamkeit an. Diese allumfassende Leere, das Gefühl des Alleinseins, obwohl schlussendlich doch alle alleine sind.  Eine gemeinschaftliche Einsamkeit. Ein Widerspruch in sich. Es ist als würde ich in einem Raum voller Menschen stehen und schreien, aber niemand hört mich. Es ist als würden wir alle schreien, aber niemand sieht sich. 

Die Einsamkeit macht Angst. Das hat Beyonce gesagt. Sie nährt sich von den Tränen, die nicht mehr versickern konnten und der Isolation, die mich wie eine Mauer umgibt. Es ist wie der Moment, wenn man die Treppe des Kellers hinuntergeht, eine Stufe nach der anderen und darauf wartet, dass jemand um die Ecke springt. Es ist das unaufhörliche sich Umdrehen, dieses Gefühl im Nacken, als ob die Gefahr nur einen Millimeter entfernt ist. Diese Angst, ganz kurz bevor man in Panik ausbricht, und auch die Lächerlichkeit, weil ja Nichts ist. 

Das Tier ist erwacht und frei. Ich wünschte ich könnte in Worte fassen, wie sich das anfühlt. Wenn es umherläuft, wild und ungebändigt und dabei den Löwenzahn zertrampelt, der eben noch getanzt hat. Wie diese kleinen, grauen Samen der Pusteblume zuerst in der Luft schweben und dann langsam, so langsam als würden sie zögern, auf den Boden gleiten. Wie schwer alles mit einem Mal wird und gleichzeitig so leer. So leicht, als ob nicht mehr in mir wär. Die schweren Pranken des Tieres und die Samen der Blume, ein Schauspiel, das mir den Atem raubt. 

Ich wünschte ich könnte in Worte fassen, wie sie sich anfühlt. Diese Einsamkeit. 

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