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Soft Worldbuilding und Storytelling – Wie Geschichten über Bilder und Emotionen vermittelt werden

Bilder, die Gefühle erzeugen, fehlende Konsistenz bei den innerhalb des Werks geltenden Regeln und eine fragmentierte Welt, die bei uns als Lesenden, Zuschauenden oder Spielenden viele offene Fragen hinterlässt: Darüber, und nicht über die Auflistung expliziter Fakten, wird bei vielen Büchern, Filmen und Videospielen eine Geschichte erzählt. Doch trotz dieser scheinbaren Handicaps funktionieren solche Werke oft sehr gut und regen uns als „Konsumierende“ lange Zeit zum Nachdenken und Rätseln an.

Erst die Handlung, dann die Welt

Die Faszination des Unbekannten und der Forscherdrang hält den Menschen auch nach mehreren Jahrtausenden der Sesshaftigkeit immer noch in ihrem Bann. Soft Worldbuilding nutzt diese Faszination genauso wie Emotionen, um eine Welt zu entwickeln, die die Handlung und den Zustand der Figuren reflektiert. Die Künstler*innen konzentrieren sich primär auf die Ästhetik und die damit verbundenen Gefühle, und darauf, dass diese die Handlung widerspiegeln, anstatt uns mit Fakten zu überwältigen. Im Entwicklungsprozess wird zuerst die Handlung, danach die Welt dazu entworfen, wodurch erstere in den Vordergrund tritt und deren Atmosphäre durch letztere verstärkt wird. Dafür werden oft Symbole genutzt, die in der fiktiven Welt verankert, aber einzig und allein aus dem Grund da sind, die aktuelle Stimmung und den aktuellen Ton der Handlung zu unterstreichen. Beispielsweise die Wüste als Zeichen für Trostlosigkeit, die Schwalbe für Sommer oder der Rabe für den Tod.

Das Videospiel Hollow Knight (2017) des Entwicklerteams Team Cherry ist ein Beispiel für die Erzählung von Geschichten über ausdrucksstarke Bilder. Der Bereich „City of Tears“ ist eine größtenteils verfallene und verlassene unterirdische Stadt, in der es aufgrund eines über ihr liegenden Sees permanent regnet. Es geht hier aber nicht darum, zu hinterfragen, warum die Stadt nicht durch das Wasser des ständigen Regens weggeschwemmt wurde oder warum der ganze See nicht nach und nach abwärts in die Stadt abfloss. Im Gegenteil geht es darum, dass der ständige Regen eine Atmosphäre erzeugt, die mit der Geschichte der Stadt und der gesamten Welt im Einklang ist, in diesem Fall eine melancholische Traurigkeit. Wir fühlen uns als Forschende, die eine fremdartige, zerstörte, und vor allem aber wunderschöne Welt erkunden und wiederentdecken. Diese Stimmung saugt Spielende förmlich in das Spiel hinein, ohne ihnen dabei viel erklären zu müssen.

Die „City of Tears“ trägt ihren Namen aufgrund des Wassers, das von einem über ihr liegenden See gleichmäßig auf sie hinabregnet.

Ähnlich ist es auch beim Film Chihiros Reise ins Zauberland (2001) vom japanischen Studio Ghibli. Die einzelnen Szenen bestehen je nach Atmosphäre der Handlung aus unterschiedlichen Farbkombinationen, und es entsteht der Eindruck, als stellten die Bilder keine beständige Welt dar, sondern eine subjektive emotionale Stimmung, die gerade für die Vermittlung der Handlung notwendig ist. Wo bestimmte Objekte oder Figuren herkommen und wie lange es sie schon gab, ist irrelevant. Wichtig ist, welchen Eindruck und welche Emotion sie bei uns erzeugen. Nachdem wir uns diese Fragen aber trotzdem stellen, entsteht eine geheimnisumwitterte Aura.

Wenig inhaltliche Konsistenz und Informationen

Das Fehlen jeglicher Informationen, die nicht unmittelbar für die Handlung von Bedeutung sind, ist ein weiteres Merkmal von Soft Worldbuildung. Dadurch entsteht eine Schwierigkeit, Regeln innerhalb der Welt zu erkennen und vorauszusehen, wodurch die gestaltete Welt voller Geheimnisse und unbekannter Gefahren ist (Im Gegensatz dazu sind die Regeln beim Hard Worldbuilding unverrückbar und klar kommuniziert). Diese Stimmung von Staunen und Geheimnissen zieht uns in ihren Bann und lädt uns dazu ein, die bestehenden Lücken mit unserer Fantasie zu füllen. Wir fragen uns, welche Geschichten sich hinter Orten verbergen, die die Figuren passieren. Rabbit, der Protagonist und Erzähler im Fantasybuch Covenants (2004) von Lorna Freeman, merkt im Laufe der Handlung, dass sich die Welt um ihn herum verändert. Gleichzeitig durchläuft auch er im Laufe der Handlung eine Veränderung. Das ändert aber nichts daran, dass er keine Ahnung davon hat, was wirklich passiert, und wir als Leser*innen damit auch nicht. Im Buch fehlen Erklärungen und die in Fantasyromanen mittlerweile obligatorische Karte, es wird aber über die Welt eine sehr starke Atmosphäre erzeugt, etwa wenn sich – zumindest in Rabbits Augen – alle Figuren in Tiere verwandeln, die zu ihrem jeweiligen Charakter passen.
Das gesamte Buch wirkt wie eine Reihe von Bruchstücken, die wir mit dem Protagonisten gemeinsam Schritt für Schritt zusammensetzen, aber es fehlen immer einige Elemente. Außerdem verhalten sich einige Figuren gelegentlich widersprüchlich. Diese Widersprüchlichkeit passt aber stets mit dem erzeugten Eindruck einer Szene zusammen, etwa als Rabbit plötzlich verraten und angegriffen wird und sich die Atmosphäre schlagartig von friedlich zu angespannt und feindselig verändert. Eine trotzdem durchgehende Konsistenz ist die emotionale: beim Lesen gibt es während des ganzen Buches ein Gefühl von Neugierde und Erstaunen über die Welt und ihre Vorgänge, und eine stetige Verwunderung über die Rolle des Protagonisten bei den Geschehnissen. Ähnlich wie bei Hollow Knight zieht diese stark emotionale Stimmung Lesende in ihren Bann, ohne aber das Vorhandensein von Cliffhangern oder vielen gefährlichen Situationen.

Trotz, oder gerade wegen des Fehlens dieser harten Informationen ist Soft Worldbuilding so erfolgreich: wir erfassen die Handlung und die Welt nicht über rationale Fakten, wie wir es beim Hard Worldbuilding tun, sondern über subjektive Wahrnehmung von Emotionen, was uns deutlich mehr in die Handlung und die Welt mitnimmt. Durch die Emotionalität der Bilder können wir uns in die Figuren hineinversetzen und hineinfühlen, und erfahren ihre Geschichte wesentlich unmittelbarer.

Bilder: Hollow Knight Press Kit (https://www.hollowknight.com/)

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