Tanzende bringen die Bierbänke zum Schwanken, literweise werden Maßkrüge aneinandergestoßen und lachende Gesichter erkennen einander über die Menschenmenge hinweg.
Das ist „Berg“. Nun ja, eher ein Aspekt der Bergkirchweih vom 2. bis zum 13. Juni. Jedes Jahr wird hier das zweitgrößte Volksfest Bayerns veranstaltet und dieses Mal befindet sich unter den Anstoßenden auch eine Redakteurin der Zeitlos, die versucht hat, sich in dem Gewimmel zwischen Trank und Speis ein paar Notizen zu notieren – äh, Verzeihung, ich muss kurz den Krug hinstellen –, die Essenz des Festes einzufangen, um meinen Landsleuten davon berichten zu können. Praktisch die Auslandskorrespondenz vom Bierfest aus.
Doch zurück zum Anfang: Eine Freundin – nennen wir sie Anna – lädt mich in Innsbruck spontan zu einer Reise in die Welt des „Berch“ ein. Nach unserer Ankunft in Erlangen (etwas nördlich von Nürnberg) erklärt mir ihre Familie, dass die Kirchweihe des Burgbergs aus dem Jahr 1755 in ihren Ursprüngen ein religiös angehauchtes Volksfest war, welches im Laufe der Zeit so über sich selbst hinausgewachsen ist, dass es auf ein anderes Gelände verlagert werden musste. Heute gleicht es eher einer Mischung aus Vergnügungspark und österreichischen Maifest. Die Verlegung des Festortes war logistisch ohnehin praktischer, weil in den nahegelegenen Bergstollen das im Umfeld gebraute Bier besser, kühler und auch näher gelagert werden konnten.
Ich bin inzwischen schon gespannt darauf, was genau mich da erwarten wird. Das heutige Programm erscheint sehr kompakt und sportlich: Flunky-Ball im Park, dann der berüchtigte Kastenlauf. Da die Preislage für das leibliche Wohl auf dem Fest im Laufe der Zeit geradezu explodiert ist, teilt man sich also einen Kasten Bier anfangs zwischen mehreren Personen auf und muss diesen logischerweise aber auch im Laufe der 2,5 Kilometer bis zum Eingang geleert haben. Da zeigt sich schon bereits beim Einkauf am Vormittag: Bier ist nicht gleich Bier und alles will sorgfältig und strategisch geplant sein.
Als wir im Park ankommen, bleibt unsere ausgelassene Gruppe noch eher unter sich, bald trudeln jedoch weitere Begeisterte ein, die meisten davon in Dirndl und Lederhosen (eine vom Oktoberfest inzwischen übernommene Erscheinung). Anna trägt eine Lebkuchenherz-Kette mit der Aufschrift „Kleine Hexe“, die geflochtenen Zöpfe sind ein Muss. In der karierten schulterfreien Bluse fühle ich mich in meiner ungeübten Volksfestmanier doch eher verkleidet und male mir stattdessen eine Breze auf die Schulter. Das erscheint den anderen passabel.
Überhaupt werde ich von der Gruppe sofort aufgenommen. Vor allem scheinen sie von meinem (eigentlich nur leichten) österreichischen Dialekt fasziniert zu sein. Jede*r fragt mich an einem gewissen Punkt des Gesprächs mit strahlenden Augen nach meiner Herkunft, ob ich nur zum Studium nach Innsbruck gezogen sei oder doch eine waschechte Tirolerin bin.
Dann: Hinauf auf den „Berg“, der eigentlich nicht höher oder weiter gelegen ist als der Weg von der Wiltener Basilika zum Bierstindl‘. Er ist bereits voller Stände mit allem, was das Bierfest-Herz begehrt. Von personalisierten Lebkuchenherzen über Zuckerwatte und Brezenstand bis hin zu Fischbrötchen, soweit das Auge reicht. Das Gelände ist in der Form eines „T“ aufgebaut, was die Orientierung erheblich erleichtert. Wir trödeln von Stand zu Stand und vermeiden die langen Schlangen. Später wird zu Live-Musik auf den ächzenden Bierbänken getanzt und alle liegen sich in den Armen. Da wir aber überraschend schnell für die ganze Gruppe einen Tisch gefunden haben, ziehen wir zu den Ständen eher in Kleingruppen los, um ihn auch halten zu können. Um 23 Uhr ist dann mit „Angels“ von Robbie Williams, bei dem alle, egal ob Jung und Alt, mit feuchten Augen mitsingen, Berg für den Tag beendet.
Das „After-Berg“ feiert man gewöhnlich in einem der Clubs, welche die andrängende Menschenansammlung auch fassen können. Inzwischen finden sich zahlreiche leere Flaschen auf dem Gehweg verstreut und Alles bewegt sich – mehr oder weniger koordiniert – wieder zurück in Richtung Innenstadt. Einige unserer Gefolgsleute erwecken inzwischen eher den Anschein einer untoten Armee, so wie sie die Feinmotorik über ihre schlenkernden Arme und Beine zwischen Maß Nummer vier und fünf verloren haben. Im „E-Werk“, der Disco unserer Wahl, werden wir kontrolliert, gestempelt und unsere Taschen inspiziert, dann geht’s los auf die Tanzfläche mit unserem ersten Lied „Country Roads“. Das DJ-Team startet zwar immer wieder den Versuch, sich an die deutsche Schlagerkultur anzunähern, schwenkt aber aufgrund der mangelnden Begeisterung der Menge gleich wieder auf „Psy“, „Macklemore“, „YMCA“ etc. um, die – bis auf ein paar Ausnahmen, wie „Fürstenfeld“ und „Skandal im Sperrbezirk“, wo sogar ich nostalgisch werde – allesamt besser aufgenommen werden.
Bislang erscheint mir alles viel gesitteter als erwartet, nachdem in den Erlanger Nachrichten bereits von Seiten der Polizei gebeten wurde, sich aufgrund der letztjährlich stark ansteigenden Kriminalität, der vermehrten Verabreichung von K.O.-Tropfen und zahlreichen Sachbeschädigungen, dieses Jahr zusammenzureißen.
Zum Abschluss noch eine zufällig überhörte Konversation in der Toilette. Von linker Seite: „Mensch, jetzt hab‘ ich ‘ne Laufmasche in der Strumpfhose“: Antwort von der Kabine zur rechten Seite: „Ist mir scheiß egal. Digga, ich will tanzen.“