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Gedanken über Farben, Hexen und Körper/ Das RISING BABA YAGA Festival

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Was mir direkt auffällt als ich am Freitag, den 2.6.22 vor der Bäckerei in Innsbruck ankomme sind die Lächeln auf den Gesichtern der Menschen, die dort stehen, um frische Luft zu schnappen, zu sprechen, zu rauchen oder einfach nur zu denken. Im Inneren findet gerade zum ersten Mal das „RISING BABA YAGA – Women* in Arts Festival“ statt. Ein Festival von Frauen* für kunstschaffende Frauen*. Ein Festival, um LGBTIQ+ Personen einen Raum zu geben, um ihre Kunst zu präsentieren, zu netzwerken und Unterstützung zu erfahren. Für Kreativität braucht es Raum, und diesen Raum wollte „Innawild productions“ im Zuge dieser Veranstaltung bieten, und so nach Möglichkeit ihren Teil dazu beitragen diesen Raum auch darüber hinaus zu erweitern und generell für Frauen* einen Zugang zu diesem zu schaffen. Eine Person mit Megafon kündigt an:“ Es geht los mit dem Screening der Kurzfilme. Alle Hexen und Hexer werden nach drinnen gebeten…!“
Also, los…


mit Ophelia niederliegen

Die Einrichtung der Bäckerei in Innsbruck erstrahlt an diesem Tag in bunten Farben. In liebevoller Detailarbeit wurde eine Atmosphäre wie in einem Wunderwald geschaffen. Überall verteilt finden sich Stände von Kunstschaffenden*, die mit Begleitung von Musik ihre Werkgegenstände zur Schau stellen. Ich blicke an mir herunter und sehe, dass ich schwarz trage – wie immer. Kurz frage ich mich, ob ich hier hin passe, was die anderen wohl von mir denken, ob ich nicht vielleicht auch besser etwas Buntes getragen hätte. Ich erwische mich dabei, mich ganz irrational zu fragen, ob ich aufgrund meiner Kleiderwahl von den anderen Frauen* vielleicht sogar als weniger emanzipiert angesehen werde, nicht als Teil ihrer Gemeinscahft. Im Laufe des Abends werde ich einmal mehr daran erinnert, dass es nicht die eine richtige Art und Weise gibt, eine Frau, ein Mensch generell zu sein. Es gibt unendlich viele Arten und Weisen und wie ich mich und mein Inneres, meinen Körper ausdrücken kann und darf, und das ist schön. Ich werde einmal mehr daran erinnert, dass Gedanken wie diese die Folge einer patriarchalen Sozialisation sind und wie eine alte Videokassette mit Neuem, Eigenen überspielt werden sollten. Nachdem ich das verstanden habe, mich daran erinnert habe, bin ich bereit mich von der Kunst berühren zu lassen und die daraufhin auf mich einströmenden Gefühle anzunehmen.

Die Themen „Körper“ und „Erscheinung“ spielen auch in den folgenden fünf Kurzfilmen eine Rolle. Durch die weibliche Linse kann ein Blickwinkel gezeigt werden, der sich unglaublich vertraut anfühlt, und in dem ich mich als Frau* in meiner Lebensrealität wiederfinde und verstanden fühle. Ich frage mich, ob mich das so überrascht und berührt, weil ich mich sonst häufig geschlechtsbezogen medial unterrepräsentiert fühle, die Branche noch immer eine männlich dominierte ist. In den Kurzfilmen spielen nämlich auch andere, weniger direkt geschlechterspezifische Themen wie „Einsamkeit“ oder „Erinnerungen“ eine Rolle. Die Filme geben mir ganz tief in meinem Inneren ein Gefühl von Intimität, von Verbundenheit, einen Schimmer der Schönheit und Tragik, der Melancholie und Freude dieser Welt. Ich habe das Gefühl zu verstehen, fühle meinen eigenen Zugang, meine eigenen Gefühle zu diesen Themen über die Leinwand tanzen. Im Anschluss an das Screening wird noch mit den Filmemacherinnen* gesprochen. Auf die Frage an das Publikum, ob noch jemand etwas sagen möchte, meldet sich eine Person und meint, sie habe noch nie etwas so Schönes gesehen und möchte sich bedanken. An diesem Abend wird sich viel und oft bedankt. Und ich denke mir: „Es gehört sich auch sonst viel mehr bedankt!“. Also bedanke ich mich an diesem Punkt bei den tollen Menschen des RISING BABA YAGA!

tanzen als Gesehene*r

Nach einer kurzen Pause beginnt Spilif, eine Hip-Hopperin aus Innsbruck ihren Auftritt und übergibt nach tosendem Applaus die Bühne an Gina Disobey mit ihrer Band, die die Stimmung mit Neo-Soul/ Funk weitertrug. Zwischen zwei Lieder rief sie „Seeking asylum is not a crime“, und die Menge antwortete mit „It is a human right.“ Denn kein Kampf der LGBTIQ+-Szene gegen Homophobie, Transphobie, Sexismus kann ohne den Kampf gegen andere -Ismen wie Rassismus, Klassismus, Ableismus gedacht werden. Diese Kämpfe für die Menschen sind intersektional verknüpft und auf komplexe Art und Weise vernetzt.

Im Anschluss, als letzten Act des Abends in der Bäckerei spielt die Band Ketekalles und bringt, wie auch die Acts davor die Menge zum Tanzen. Über Tanzen hab ich mir, nicht zuletzt während des Tanzens, schon viele Gedanken gemacht, denn Tanzen ist die verkörperte Darstellung seiner selbst, seiner Leiblichkeit. Körper müssen immer schon in ihrer Situiertheit und Geschichtlichkeit, also auch in ihrer Vergeschlechtlichkeit verstanden werden. Der Körper der Frau* ist seit ein politischer Kampfplatz, seit jeher im Bezug zum Mann konzipiert worden. Er wird einerseits verwendet, benutzt, gefordert im Zuge der Sorgearbeit, als Vermarktung, als Objekt. Andererseits wurde und wird jedoch immer durch Restriktionen, politische Entscheidungen und gesellschaftlichen Strukturen dafür gesorgt, den Frauen* nicht die Macht zukommen zu lassen, selbst über ihren Körper zu bestimmen. Auch für die LGBTIQ+ Szene ist das Thema rund um die Fremdbestimmung und Fremdzuschreibungen über die Körper ständig präsent. Wer bestimmt, welchem Geschlecht ich angehöre? Wer bestimmt, was das zu bedeuten hat? Wer bestimmt, ob mein Körper ungewollt zum Austragungsort von gesellschaftlichen und politischen Kämpfen wird, zu einem gebärenden Subjekt, dem das Gesetzt nicht erlaubt über das heranwachsende potentielle Leben im eigenen Körper zu verfügen? Und dies nur um ein paar Anregungen zu geben. „Channel your inner witch and be brave“, heißt es bevor alle beginnen zu tanzen. Hexen waren Frauen*, die aufgrund ihres Wissens und ihrer teilweisen Überlegenheit der „Ärzte“ ihrer Zeit als Gefahr gesehen wurden. Durch die Bezichtigung als „Hexe“ konnten sie aus der Welt geschafft, indem ihre Körper öffentlich verbrannt wurden. Oft reichte bereits die Anschuldigung einer Frau als Hexe, um ohne Möglichkeit auf Verteidigung auf dem Scheiterhaufen zu landen. Nur ein Beispiel aus der Geschichte der Menschheit in dem systematisch versucht wurde, Frauen kleinzuhalten und an der Emanzipation und Unabhängigkeit durch gesellschaftliche und politischen Mitteln zu hindern.

Wenn man nun aber einen Raum voller FLINTA*-Personen sieht, die ihre Körper bewegen, ihre Herzen zu der Musik anderer FLINTA*Personen öffnen, sich gegenseitig unterstützen, einen sicheren Raum füreinander schaffen, in dem jede*r sich ausdrücken kann wie er*/sie* möchte, sich gerade fühlt, dann kann das als politischer und emanzipatorischer Akt verstanden werden, als Rebellion und Befreiung. Dann kann das als Rückeroberung und Selbstermächtigung über diese umkämpften Leiber sehen, die sie tagtäglich durch eine Welt trägt in der sie sich immer wieder beweisen und erklären müssen.



nach der Party folgt die Afterparty/ Worte

Körper können nicht getrennt von unserer Existenz im Inneren betrachtet werden. Die Dualität zwischen Geist und Körper ist eine theoretische. Denn Körper sind nun einmal die Brücke nach Außen von dort drinnen. Von dort drinnen wo wir leiden, Glück empfinden, unsere Identität, unsere Träume, unsere Kreativität verwahren. Wir sind alle Körper, solange wir sind. Körper sind politische Subjekte, Objekte, Körper sind Ausdruckformen und Werkzeuge für die Kunst, die wir schaffen. Wir, unsere Körper sind Kunst, wir alle Kunstwerke inmitten eines andauernden Schaffensprozesses. Und Kunst hat nie mit Perfektion zu tun, so auch unsere Körper nicht, unser Ausdrücken nicht und unser (Frau*-) Sein nicht.

Und so bewegen sich diese Körper noch lange in die Nacht auf der Afterparty im Bögenclub „Project“ in gegenseitigem Verständnis, Vertrauen und wohlwollendem Einander-Zugeneigtsein zu dem gleichen Beat.

Foto: Claudia Ploner

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