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Von wo bist du? Eine Frage über Herkunft und Identität

Von wo bist du? Österreich. Nein, von wo bist du wirklich? Österreich. Bist du hier zur Schule gegangen? Ja, in Innsbruck geboren und aufgewachsen. Ich warte auf die nächste Frage. Weil es sie immer gibt. Bis sie die Antwort bekommen, die sie sich erwarten. 

In meinem Kopf zähle ich die Anzahl der Fragen. Wie schwer kann ich es meiner Nachbarin heute machen? Meine Nachbarin, die sich die ganze Zeit nervös nach mir umgedreht hat, als ich hinter ihr zur Wohnung gegangen bin und dann, als sie mich endlich erkannt hat, mit ihren Fragen abgefangen hat. Heute bin ich hartnäckig. Sie ist hartnäckiger. Und deine Mutter? Jetzt hat sie mich. In Wien geboren und aufgewachsen. Erst nach dem Studium nach Innsbruck gezogen, meine ich achselzuckend und versuche mir ein Lächeln zu verbeißen, als ich den Gesichtsausdruck meines Gegenübers sehe. Es ist nicht lustig, weil ich weiß, dass ich über diese Begegnung, die jetzt schon zwei Jahre her ist, noch lange nachdenken werde. Nicht weil sie besonders einzigartig war. Sie fügt sich mehr in den Strom vieler anderer, ähnlicher Erinnerungen ein. Mittlerweile fühlt es sich für mich an wie ein Spiel. Ein Spiel, das ich nur verlieren kann.

Es hat gedauert, bis ich verstanden habe, wieso mich diese Frage so sehr stört. Ich habe kein Problem damit, über meine asiatischen Wurzeln zu reden. Erst später habe ich verstanden, dass mir die Frage immer das Gefühl gibt, anders zu sein, nicht zugehörig zu dem Land und der Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin und in der ich jetzt studiere. Von wo bist du? Die Frage zweifelt meine Heimat an, sie erkundigt sich nicht nach meinen Wurzeln.

Es fühlt sich an, als müsse ich mich für etwas rechtfertigen, das für mich schon glasklar ist. Sie lässt mich an Dingen zweifeln, die ich selbst nie angezweifelt habe. Wenn ich diese Gespräche führe und irgendwann meine indisch- koreanischen Wurzeln zugebe (so fühlt es sich zumindest an), bekomme ich meistens ein „Nein, das hätte ich jetzt wirklich nicht gedacht“ oder „Ich hätte ja auf Thailand getippt, indisch sehe ich bei dir gar nicht.“ zu hören. Ich bin nicht indisch genug, aber auch keine Österreicherin. Mit einem Mal weiß ich nicht mehr, wer oder was ich sein soll, damit es für andere in das Bild passt, das sie im Kopf haben, wenn sie mich ansehen. 

Bei einer mündlichen Prüfung, die ich gemeinsam mit einer Mitstudentin ablege, fragt mich der Professor zuerst nach meinem Namen. „Sehr exotisch“ meint er und versucht dessen Herkunft zu erraten. Ich bin nervös, meine Finger sind eiskalt und ich will einfach nur mit der Prüfung beginnen. Aber er ist mein Professor. Also lasse ich ihn weiterraten, bis es selbst ihm irgendwann zu lange dauert und ihm keine Länder mehr einfallen. Er wendet sich meiner Freundin zu und liest ihren Namen vor. „Das ist ein echter Tiroler Name“ sagt er. Für mich hört er sich zufrieden an. Vielleicht sind es auch nur meine Gedanken, die mir einen Streich spielen. Nach der Prüfung muss ich die ganze Zeit an dieses Gespräch denken. 

Irgendwie tut es weh, wenn ich daran denke. 

Komisch, was so eine Frage mit einem macht.

Foto: Dara Shetty

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