Abstrakt, komisch und schön. Lustig, einfühlsam und locker. Eindrucksvoll, künstlerisch und frei. Diese Adjektive kamen mir in den Sinn als ich an einem verregneten Freitagabend im Leokino saß, um mir gemeinsam mit hundert wildfremden Leuten in einem riesigen Kinosaal Pornos anzusehen. Aber nicht nur das, auch ein Vortrag über Pornos und eine anschließende Diskussion über Pornos fand im Zuge der Diametrale in Innsbruck am liebevoll genannten „Sexy Friday“ statt. Als Leser*in denkt man sich jetzt vielleicht „ganz schon viel Porno für einen Abend“ und dies mag vielleicht auch erstmal so erscheinen. Doch genau in diesem Setting erkannte ich Pornos zum ersten mal so richtig als das was sie sind: Kunst.
“Pay for your porn”
Nachdem ich mir bereits am späten Nachmittag im Leokino einige Kurzfilme zu Themen wie Sexualität und Lust ansehen durfte, kehrte ich um 22:00 Uhr für die Sex positive short films, den Vortrag von Madita Oeming und anschließenden Talk mit Paulita Pappel in den Kinosaal zurück. Vor dem Film unterhielt ich mich mit einer Studienkollegin und wir bewunderten die Möglichkeiten der Diametrale; ich erzählte ihr von meiner Spannung auf die kommenden Stunden. Wenig später saß ich in einem gut gefüllten Kinosaal, wenige Reihen vor mir der Moderator David Prieth und die Regisseurin und Lustery-Gründerin Paulita Pappel. Ich musste kurz schlucken, so nah am Mittelpunkt des Geschehens dran zu sein war ich sonst nicht gewohnt. Als sich der Vorhang hob erschien Madita Oeming, eine Kulturwissenschaftlerin im Bereich Pornographie, auf der Leinwand. Sie begann ihren Vortrag mit den Ursprüngen des Porno und sofort fiel mir ihr Lächeln und ihre besondere Leichtigkeit auf mit der sie über das erste Porno-Museum mit Funden aus Pompeij sprach und uns erklärte, dass selbstverständlich nur alte Männer mit „ausgereiftem Verstand“ zu diesem damals Zutritt hatten.
Wie in einer überaus spannenden Vorlesung lauschte ich Maditas Worten und zückte mein Notizbuch, um mir besonders wichtiges für meinen Artikel zu notieren. Aber auch ohne diese Notizen blieb mir das aktuelle Vorurteil über Pornographie im Gedächtnis: Pornos sind und waren eine Gefahr für die Gesellschaft, etwas Grobes, was den Menschen als ein auswechselbares Objekt der sexuellen Begierde darstellt. Ein Teil der Vorstellung von Feminismus in mir nickte, der andere sträubte sich vehement. Sex im Mainstream Porno ist zwar oft auf männliche Zuseher ausgelegt (Frauen stehen Männer zur Verfügung, sie sind oft nur ein sexuelles Objekt für deren Befriedigung) aber genauso gibt es kunstvolle, feministische und selbstbestimmte Darstellungen in Pornos, die sich klar von diesem veralteten Bild abgrenzen. Trotzdem ist eine Grenzüberschreitung im Porno nicht gleich eine Subversion: Was im echten Leben eine Fantasie ist, darf eben nur im Porno zur Realität werden und zeigt genau deshalb klar die Grenze des Möglichen auf. Beliebte Kategorien wie Stepmom- oder Gangbang-Pornos wirken von außen betrachtet wie eine Provokation gesellschaftlicher Normen, reproduzieren jedoch durch das wiederholte Aufzeigen genau diese Grenzen.
Bedeutung von Subversion: meist im Verborgenen betriebene, auf die Untergrabung, den Umsturz der bestehenden staatlichen Ordnung zielende Tätigkeit (Definition des Duden)
Wenig später musste ich beim Kurzfilm „Holy Theory“ von Mahx Capacity genau daran denken. Während die eine Darstellerin über die Theorie von Löchern spricht, verwandelt sich die Sexszene zu einer Illustration, die den Monolog wie ein surreales Voice-Over wirken lässt, das gedanklich über der gerade gesehenen expliziten Szene hängen bleibt. Ich komme mit dem Denken nicht mehr hinterher, sehe ineinander geschlungene Körperteile und schmunzle, nur um ihm nächsten Moment wieder von Worten in den Bann gezogen zu werden; verliere meine Konzentration irgendwo zwischen meinen Augen und der Kinoleinwand. Keine mir bekannte Grenze scheint in diesem Porno aktiv reproduziert zu werden, er provoziert diese eher durch seine Darstellungen einer weiblichen, dominanten und einer nicht-binären passiveren Person und fügt dem ganzen einen besonderen, aber etwas verwirrenden Beigeschmack hinzu. Gleichzeitig wird mit der Illustration eine weitere Kunstform mit in den Film geholt und ergänzt eine alleinstehende Sexszene um den Part einer illustren Rede, welche auf gewisse Weise befremdlich fehl am Platz, aber gleichzeitig auch genau richtig so wirkt. Als der Film zu Ende ist kann ich mich nicht entscheiden ob ich gerade einen Porno oder ein abstraktes Kunstwerk gesehen habe.
Neben professionell produzierter Pornographie, egal ob feministisch oder Mainstream, gibt es weitere Bereiche von Sexarbeit, welche von OnlyFans bis Lustery reichen. Diese Medien bieten vor allem jetzt in Pandemiezeiten eine Plattform für Sexarbeiter*innen, auf denen sie sicher und selbstbestimmt arbeiten können. Paulita Pappel erzählte über die von ihre mitgegründete Plattform Lustery, welche Privatpersonen die Möglichkeit bietet Videos über ihr Sexleben hochzuladen. Dort sind dem Ideenreichtum keine Grenzen gesetzt, außer von den Darsteller*innen selbst. Sind diese Pornos nun also automatisch feministisch und frauenfreundlich? Paulita erwähnt ihre eigenen Erfahrungen als Pornodarstellerin, darüber dass sie am Anfang ihrer Karriere noch dachte, dass frauenfreundliche Pornos unbedingt eine Geschichte erzählen, einfühlsam und liebevoll sein müssten. Bis sie erkannte, dass sie es viel geiler findet bespuckt oder gewürgt zu werden. Jetzt produziert sie am liebsten Gangbang-Pornos, in denen die weibliche Lust zwar im Vordergrund steht, jedoch nicht als Stereotyp des von Frauen angeblich bevorzugten ruhigen und gefühlvollen Sex‘ reproduziert wird.
Ich hob meine Hand bei der Frage eines Zuschauers, wer im Saal schon einmal für pornographische Inhalte auf OnlyFans oder sonstigen Plattformen bezahlt hatte. Einige hoben ihre Hände energisch, andere eher schüchtern, wieder andere fast schon fragend, als ob sie sie nur heben würden, weil Paulita Pappel, die gerade erst mit Jan Böhmermann einen rundfunkfinanzierten Porno produziert hatte, sie vom Podium aus ganz genau beobachten konnte.
Als Madita Oeming später einen Schluck Tee aus ihrer Menstruationstasse-Tasse nahm musste ich lächeln. Mir wurde bewusst, dass Porno genau das ist was es in dieser Kinosaal-Bubble zu sein scheint: ein normales Gesprächsthema über das man bei einer Tasse Tee mit Freund*innen, Bekannten, Familie, aber auch anderen Personen sprechen kann. Pornos sowie Kommunikation über Sex werden in unserer Gesellschaft immer noch als Tabu, als eine potenzielle Gefahr für Jugendliche und generell als Quelle der Übersexualisierung angesehen. Doch Studien zeigen das Gegenteil: Jugendliche haben gegenwärtig eher später Sex, reden offener über Verhütung, haben mehr Möglichkeiten Fragen zu stellen, sehen variierende Sexualitäten und Gendernormen in Pornos repräsentiert. Dadurch ergibt sich auch eine Sphäre für Akzeptanz, Weiterbildung und Offenheit. Pornos sind und bleiben jederzeit ein Tool der sexuellen Bildung. Dabei stellt sich die Frage, welche Pornos unter welchen Umständen man Jugendlichen für diese Bildung zur Verfügung stellen möchte. Denn genau diese junge Gesellschaftsgruppe wird die verbotene Welt der Pornographie immer interessant finden, gerade deshalb, weil sie ihnen verboten ist.
„Wir sprechen oft über die falschen Fragen“, meint Madita Oeming. Pornographie wird zwar immer salonfähiger, jedoch bleibt es in gesetzlichen und politischen Bereichen weiterhin ein ignoriertes und gemiedenes Thema. Eine fehlende Gewerkschaft und unzureichende gesetzliche Regelungen in Bezug auf arbeitsrechtliche und wirtschaftliche Fragen, machen es allen Beteiligten in der Pornoindustrie schwer, ihrem Beruf nachgehen zu können. „Deshalb ist es umso wichtiger in der Öffentlichkeit laut und vehement solche Gespräche zu führen“ schließt Madita Oeming ihren Vortrag. Für die künstlerische Freiheit und besonders für die Gewährleistung fairer Bezahlung und Absicherung der Arbeitenden in der Pornographie-Branche wäre es zentral den persönlichen Pornokonsum zu bezahlen, falls es einem möglich ist. “Pay for your porn!” erwähnten Paulita Pappel und Madita Oeming während ihrer Redebeiträge einen Slogan, der auf die Wichtigkeit der Bezahlung dieser Leistungen aufmerksam macht. Beim erst kürzlich produzierten Porno von Paulita Pappel und Jan Böhmermann wurde die Abhängigkeit von (nicht) zahlenden Zuseher*innen ausgehebelt, da dieser durch deutsche Rundfunkgebühren finanziert wurde. Das gibt den Produzent*innen die Chance ihre Kreaitivät ausleben zu können, ohne dabei an jeder Ecke sparen oder sich auf teure Kredite verlassen zu müssen. Problematisch könnte hierbei jedoch die von ethisch-feministischem Porno angestrebte Grenzverschiebung werden und diese sowie der Subversionsgedanke dadurch verloren gehen.
Wie wäre es also, wenn wir aus dem durch gesellschaftliche Normen eingeschränkten Raum für “obszöne Fragen” ausbrechen und die wichtigen, die komischen, die aufwühlenden, die vermeintlich peinlichen und unbeholfenen Fragen stellen? Denn genauso können wir uns einen neuen, größeren Raum für eine offene und ungehemmte Kommunikation über Pornos, Sex, Verhütung, Konsens und Selbstbestimmung schaffen, der nicht nur für alle Sexualitäten, Vorlieben und Menschen Platz bietet, sondern auch Pornos als die Kunstform die sie sind anerkennt. Denn Pornos können nicht nur schön, sondern auch alles andere als nutzlos sein.
Mehr zu feminist porn und persönliche Erfahrungen zum Aufwachsen mit Erwartungen aus Pornos findet ihr im Artikel von Claudia Ploner über das PornFilmFest Innsbruck.
Die Diametrale wird organisiert von DIAMETRALE – Verein zur Förderung experimenteller und komischer FilmKunst – und dem Kulturkollektiv Contrapunkt – Verein zur Förderung von Gegenrealitäten. In Zusammenarbeit mit dem Leokino Innsbruck.
Viele Filme der Diametrale Innsbruck sind noch bis 18.04. auf der Streaming-Website gegen kleine Beiträge verfügbar. Auch die sex positive short films (18+) sind dort zu finden.
Vielen Dank für den interessanten Vortrag und spannenden Talk an Madita Oeming, Paulita Pappel und für die Moderation an David Prieth.
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Beitragsbild: Stills “Fuses” © Four Chambers