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Von der Body Positivity zur Neutrality

Body Positivity: Dieser Begriff hat sich in den letzten Jahren zu einem Modeausdruck etabliert. Klamottenlabels schmücken sich mit augenscheinlicher Diversität an Körpertypen und die Welt der Sozialen Medien ist überflutet von mehr oder weniger gut gemeinten Aufforderungen zur Selbstliebe. Die Body-Positivity-Bewegung steht für die Bekämpfung unrealistischer Gesellschaftsideale und die unbestreitbare Schönheit aller Körperformen. Dieser Artikel handelt vom Ursprung der Body-Positivity-Bewegung, den negativen Seiten, die Kommerzialisierung und aber auch der Ausnutzung. Und von der Idee der Body Neutrality, bei der weder Hass noch Liebe für den eigenen Körper verspürt werden.

Von der Fat Acceptance zur Body Positivity

Begonnen hat der Aktivismus rund um Body Positivity mit dem Kampf gegen die Stigmatisierung von Fettleibigkeit. Menschen, deren Körper kurviger sind als die gesellschaftliche Norm, sahen und sehen sich mit sozialen Hindernissen konfrontiert. Das Fat-Acceptance-Movement ist wesentlich älter als die sozialen Medien oder das Internet. Bereits in den 60ern ging es um eine Änderung des ästhetischen, rechtlichen und medizinischen Umgangs mit dicken Personen. Beim „Fat-in“ Protest 1967 trafen sich Aktivist*innen im Central Park in New York, um gemeinsam zu essen, dicke Berühmtheiten zu ehren und Diät-Bücher zu verbrennen.

Und heute? Ringlicht, Kamerawinkel, Haltung. Face Tune, Filter, Photoshop. Nachbearbeitung. Und am Ende das perfekte Selbstbild, welches auf Instagram geteilt wird. Während die Ursprünge des Kampfs gegen ein gesellschaftsideales Schönheitsbild bereits langsam in Vergessenheit gerieten, haben soziale Netzwerke die Probleme des Ideals auf die Spitze getrieben. Selbst Ex-Facebook Meta hat durch interner Recherche herausgefunden, dass Instagram die Probleme junger Menschen mit dem eigenen Körperbild verschlimmert. Unter dem Hashtag #bodypositivity fingen Instagrammer*innen an sich gegen Body Shaming einzusetzen und ihre „Problemstellen“ selbstsicher zu posten. Die Body-Positivity-Bewegung stand für die Idee, dass sich jede*r in ihrem*seinem Körper wohlfühlen sowie Makel und Eigenheiten schön finden soll. Unrealistische Schönheitsideale sollen bekämpft werden und Unvollkommenheiten geliebt werden. Fettrollen, Cellulite, Körperbehaarung und Narben werden hervorgehoben statt retuschiert. Dehnungsstreifen werden mit Glitter verziert und zu empowernden Tiger Stripes gekürt.

Die Kommerzialisierung der Body Positivity

Die Bewegung Body Positivity hatte unter anderem der Diskriminierung von Fettleibigkeit im Alltag, wie beim Kauf von Kleidung, den Kampf angesagt. Wie oft sah und sieht man in Einkaufszentren bei H&M, Zara, Bershka oder Vero Moda Konfektionsgrößen über 44? Ehrlich gesagt nie. Ein Abweichen von der gesellschaftlichen Norm bedeutete auf den Online-Handel und in den 2000ern steckengebliebene Übergrößen-Geschäfte zurückgreifen zu müssen.

Doch vor ein paar Jahren fingen die ersten progressiven Kleidermarken an Produkte für diversere Körperformen anzubieten. In Werbungen für Unterwäsche, von meist nachhaltigen Labels, standen fünf Frauen jeglicher Kleidergrößen Arm in Arm zusammen und es wurde darauf verzichtet Dehnungsstreifen oder Armhaare zu retuschieren. Sogar Nike überraschte als erstes Sportmodelabel mit einer Schaufensterpuppe, die Sport-BH und Leggins in Plus Size trug. Und bald schrieben sich alle Marken Diversität auf die Fahne.

Die Repräsentation verschiedener Body-Typen in Werbungen und das Anbieten auch größerer Größen tragen zur Sichtbarkeit bei und machen den Zugang zu allen Konfektionsgrößen einfacherer. Doch die Ausschlachtung der Bewegung für eine breitere Kundenpalette, mehr Einnahmen und die Darstellung einer weißen Firmenweste unterstützt Body Positivity keineswegs. Scrollt man durch die Instagram Timeline bekommt man das Gefühl, Modelabels würden in ihren Werbungen eine Checkliste abarbeiten mit Themen, die gerade relevant sind: Klimafreundlich und CO2-neutral, Unterstützung von Black Lives Matter, verschiedene Körpertypen und Altersklassen. Eine solche Kommerzialisierung von Body Positivity schießt vollkommen an den Zielen der Bewegung vorbei. Wie soll eine gestellte Werbung Selbstliebe und Toleranz transportieren?

(Falsche?) Body Positivity in den sozialen Medien

Auf Instagram, wo in der Anonymität des Internets Mobbing und unnatürliche Selbstdarstellung populärer denn je wurden, wurde auch die Body-Positivity-Bewegung groß. Die Suche nach dem Hashtag #bodypositivity zeigt über 9 Millionen Ergebnisse. Hauptsächlich Posts von Frauen und viele Beiträge, die den Vergleich „Instagram vs. Reality“ ziehen: Auf der linken Seite des Posts strahlt einem eine glücklich wirkende Frau mit dem perfekten gesellschaftsidealen Körper posend entgegen. Auf der rechten Seite ist ein Bild, auf dem dieselbe Person mit einem „du-bist-schön-aus-jedem-Winkel“-Blick auf dem Boden sitzt. Man sieht ihre Speckröllchen, Cellulite, Dehnungsstreifen und Pickelmale. Der erste Eindruck ist positiv: Die Influencer*innen zeigen auf wie Instagram unseren Blick auf die Realität trübt und die sorgfältig ausgewählten Fotos unser Selbstbild negativ beeinflussen. Doch je mehr der immer gleich aufgebauten Posts man sich anschaut, desto fader wird der Beigeschmack dieser Ausnutzung von Body Positivity.

Diese Frauen können ihre Haltung einfach ändern und schon sind die Bauchrollen weg. Doch viele ihrer Follower*innen, denen solche Posts eigentlich Selbstvertrauen schenken sollen, können das nicht. Sie entsprechen nicht dem typischen Schönheitsideal und müssen mit möglichen Einschränkungen und Diskriminierungen täglich leben. Die Influencer*innen höchstwahrscheinlich nicht. Einige Profile beinhalten nichts anderes als die Darstellung des Körpers in „ungünstigen“ Posen und grellem Licht. Jedes Mal mit einem inspirierenden Text über die Reise hin zur Selbstliebe und des Wandels von Makeln in Schönheit. Doch es handelt sich immer noch um Instagram. Der Gedanke, dass manche dieser Instagram-Accounts nur auf den Body-Positivity-Zug aufspringen, um Follower*innen zu generieren und Likes zu kassieren, liegt nahe. Und so sind wir wieder bei der Kommerzialisierung der Bewegung, die nur augenscheinlich Selbstliebe verschenkt.

Was ist das Problem mit der Positivity?

Die Überschwemmung der Modewelt und der Sozialen Medien mit der Body Positivity hat ein Ausweichen unmöglich gemacht. Doch anstatt sich selbst zu akzeptieren mit den eigenen körperlichen Ecken und Kanten, fühlt man sich doch eher einem Druck zur Selbstliebe ausgesetzt. Anscheinend sind alle anderen glücklich in ihrem Körper und können sich völlig loslösen von gesellschaftlichen Normen, wenn sie in den Spiegel schauen. Warum kann man das selbst nicht? Und wieder, anstatt ein positives Gefühl für den eigenen Körper zu vermitteln, bündelt die Bewegung die gesamte Aufmerksamkeit auf äußerliche Unsicherheiten. Das Ziel der Selbstliebe ist unrealistisch. Die Body-Positivity-Bewegung stellt die Figur und die Attraktivität des Erscheinungsbilds in den Vordergrund. Aber sollte es nicht vielmehr auf die inneren Werte ankommen? Der Fokus aufs Äußere scheint den Charakter zu überschatten. Sonderlich feministisch ist dieser Ansatz nicht.

Der Umschwung auf die Body Acceptance

Wenn nicht mit dem Versuch zu lieben, wie sollte man sonst mit dem eigenen Körper umgehen? Die Body-Acceptance-Bewegung schlägt Neutralität vor. Neutralität gegenüber dem eigenen Körper, also weder Liebe noch Hass für sein Äußeres zu empfinden. Seinen Körper für das akzeptieren, was er ist: eine Verbindung von Muskeln, Knochen und Fett, das es einem erlaubt sich von A nach B zu bewegen und alles zu genießen, das das Leben so bietet. Es geht nicht um die Frage, was man an sich selbst schön findet und wie man Liebe für seine Makel empfinden kann. Vielmehr sollte man lernen auf den eigenen Körper zu hören und seine Bedürfnisse zu erkennen. „Was brauche ich heute? Gesundes Porridge oder Schokocroissant zum Frühstück? Sport oder Entspannung nach der Arbeit?“

Body Neutrality regt dazu an das eigene Selbstwertgefühl nicht an das äußere Erscheinungsbild zu koppeln. Selbstvertrauen, Laune und Glücklichsein sollten nicht dadurch geschwächt werden, dass heute der Bauch aufgebläht ist, die Waage eine höhere oder niedrigere Zahl als gestern anzeigt, oder sich schon wieder ein Pickel an die Hautoberfläche hochgearbeitet hat.

Und wie wird man neutral? Das muss wohl jede*r für sich selbst herausfinden. Doch ein Loslösen vom unrealistischen Ziel der Selbstliebe könnte ein erster Schritt sein. Der Gedanke, dass die Figur und Attraktivität nicht das Einzige sind, was einen ausmacht.


Beitragsbild: © Anh Tuan To via unsplash

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