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Die Todsünde Neid – Besser als ihr Ruf?

©Magdalena Altmiks

„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Die bekannte Frage aus dem Märchen Schneewitchen dürfte jeder schon mal gehört haben. Eigentlich sollte der Spiegel eine schöne, mächtige und einflussreiche Frau, die Königin, zeigen. Stattdessen spiegelt er eine von Neid zerfressene Frau, die die eigene Schönheit nicht mehr sieht, sondern nur wie viel schöner ihre Stieftochter ist.

„Du bist doch nur neidisch.“ Dieser Satz verärgert vermutlich jeden von uns erstmal, auch wenn vielleicht etwas dran ist. Wer neidisch ist, ist missgünstig und freut sich nicht für den*die andere*n. Wer sagt das schon über sich selbst? Es ist ein verpöhntes Gefühl, das nur die*den Ehrlichste*n unter uns zugeben. Dennoch begegnet uns die Emotion immer wieder im Leben, wir sind neidisch auf andere und unsere Mitmenschen auf uns. Uns passiert das Gleiche, wie der schönen Märchen-Königin, die ihre eigene Schönheit nicht mehr erkennt. Der eigentliche berufliche Erfolg wird nicht mehr gesehen, weil der*die Kolleg*in erfolgreicher ist.  Der eigene Garten wird nicht mehr genossen, weil jener des*der Nachbar*in so viel größer und schöner ist.  Laut Sozialpsychologen Jan Crusius werden wir neidisch, „wenn wir uns mit einer anderen Person vergleichen und dabei feststellen: Sie ist uns überlegen in dem, wie sie ist, was sie besitzt oder erreicht hat.“

Doch auf wen oder was sind wir neidisch? Geld, beruflicher Erfolg oder eine funktonierende Partnerschaft – alles kann zum Objekt der Begierde werden. Neidisch werden wir, wenn wir uns mit Mitmenschen vergleichen, die scheinbar mehr zu besitzen. Hier spielt jedoch vor allem das persönliche Umfeld eine Rolle. Meistens neiden wir den tollen sportlichen Körper nicht dem*der Olympia-Sieger*in, die wir aus dem Fernsehen kennen, sondern der*des Nachbar*in, der*die dreimal die Woche in Sportkurse geht.

In unserer Gesellschaft rühmt sich der Neid keines guten Rufes. In der katholischen Kirche wird er als einer der sieben Todsünden genannt, er gilt als Laster und Ursache vieler Sünden. Kain erschlägt in der Bibel aus Neid seinen Bruder Abel, wird also zur Zerstörung und zum Mord angestiftet. Auch viele bedeutsame Dramen verwenden Neid als Motiv. In Shakespears „Hamlet“ wird der König von seinem eigenen Bruder ermordet, der selbst König sein will – der Beginn einer Tragödie, in der am Ende alle Sterben. In Schillers „Die Räuber“ hat der Graf Maximilian zwei Söhne. Der eine ist charmant und Alleinerbe, der andere von Natur aus hässlich und vernachlässigt – eine Ungerechtigkeit der Natur und Nährboden für Neid und Eifersucht.

©Gordon Johnson (Pixabay.com)

Doch ist Neid so negativ, wie die Literatur es uns vermittelt? Der Pro­fes­sor für Sozio­lo­gie und Sozi­al­psy­cho­lo­gie an der Goethe-Uni­ver­si­tät Frank­furt Dr. Rolf Haubl beschreibt Neid neutral: „Ich sehe das von mir begehrte Gut im Besitz eines anderen und muss mit der Tatsache fertig werden, dass ich dieses Gut nicht bekommen kann.” Dr. Eva Wlodarek bezeichnet Neid als „Indikator dafür, dass uns etwas fehlt, dass wir gerne erreichen möchten.“ Neid zeigt uns damit eigene Defizite auf und bekommt eine Bedeutung für unsere individuelle Entwicklung. Hier ist wichtig, mit welcher Art von Neid reagiert wird, destruktiver und konstruktiver Neid. Der destruktive Neid beinhaltet den Versuch, dem*der Beneideten das Beneidete zu entziehen, sei es durch Klatsch und Trasch oder durch Intrigen – ein Neid der zerstört. Der konstruktive Neid dagegen motiviert uns selbst diese Ziele zu erreichen.

Doch was können wir gegen Neid unternehmen? Dr. Eva Wlodarek schlägt in Anlehnung an die Kahuna-Lehre, der Heiler*innen von Hawaii, vor, immer wenn wir etwas sehen, was wir auch gerne besitzen würden, dieses wertzuschätzen und zu würdigen, es „segnen“, und dies in Gedanken oder Worten zum Ausdruck zu bringen. So erreichen wir eine Beurteilung auf Augenhöhe, und nicht aus dem Zustand des Neides heraus mit einem Gefühl des Defizts.

Konstruktiver Neid kann uns motivieren, uns mehr anzustrengen, aber auch den Wert unserer eigenen Erfolge vergessen lassen. Anstatt nur danach zu streben, was andere haben, sollten wir manchmal innehalten und uns die Zeit nehmen, uns daran zu erinnern, was an unserem Leben wunderbar und auch einzigartig ist. Niemand kann alles haben – aber wir können uns jeden Tag bewusst machen wie schön beispielsweise die Umgebung ist, in der wir leben dürfen und das das, was wir beneiden, vielleicht gar nicht das Richtige für uns ist. Wer immer nur sieht, was ihm das Schicksal verweigert, wird nie sehen, was es ihm schenkt.

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