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Wir dachten schon, es wäre vorbei…

Corona hat sich vor circa vier Jahren über unsere Gesellschaft gelegt und hüllt sie noch immer ein. Wir bewegen uns zwar maskenlos durch die Stadt und entlang der Supermarktregale, bedecken unsere Atemwege nicht mehr in den Büros und Hörsälen. Verschwunden sind die sich wiederholenden Durchsagen im Bus, Covid-19 jedoch keineswegs. Im Gegenteil, waren doch gerade Ende Dezember die coronabedingten Krankenstände mit knapp 45.000 der (nur) ÖGK-Versicherten weitaus höher als um dieselbe Zeit im vorherigen Jahr.

Der Überblick über Varianten des Virus ebenso wie seine Thematisierung teilt sich in Alltagsgesprächen nicht mehr den ersten Platz mit dem Wetterbericht. Währenddessen steigen erneut die Infektionszahlen lautlos in den bekannten Wellen. Sie werden, anders als vor drei Jahren, mehrheitlich nicht durch Entsetzen, sondern durch Achselzucken, hingenommen – meist mit Verweis auf andere grippale Infekte, die doch auch gerade im Umlauf seien. Doch in Corona schlummert eine weitere Gefahr neben der Überlastung des Gesundheitswesens und der Erkrankung an sich.

“Long Covid” ist die Krankheit, der eine akute SARS-CoV-2-Erkrankung vorangeht. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass vier Wochen nach dem Krankheitsfall noch Symptome bestehen. Dabei können diese länger andauern oder auch neue auftreten. Bleiben sie für länger als drei Monate, spricht man von “Post Covid”, wofür wider Erwarten vor allem jüngere Erwachsene anfälliger sind. Meistens werden diese Begriffe synoym verwendet. Betroffen sind laut einer britischen Studie acht bis zwölf Prozent der an Corona Erkrankten, ein schwerer oder symptomatischer Verlauf ist dafür keine Voraussetzung. Ein Forschungsteam der medizinischen Universität Innsbruck konnte nun in einer Pilotstudie bei Post Covid-Patienten*innen entsprechende Veränderungen in Urinproben nachweisen. Vermutet wird eine Störung des Immun- oder Stoffwechselsystems, etwa dass Zellen Nährstoffe nicht in Energie umwandeln können und damit das Virus im Körper weiterhin für Probleme sorgt. Damit ist Post Covid erstmals medizinisch nachweisbar.

Bis der Pathomechanismus, also die Prozesse, die zur Krankheit führen, erforscht ist und damit Therapiemöglichkeiten entwickelt werden können, wird es noch dauern. Derzeit können die behandelnden Ärzt*innen und das Gesundheitspersonal nur auf symptomatische Therapie (so gut es geht) zurückgreifen. Das Landesinstitut für integrierte Versorgung Tirol gibt hierzu eine Checkliste mit häufigen Symptomen von Long Covid aus.

  • Anhaltende Erschöpfung
  • Atembeschwerden
  • Muskel- bzw. Gelenkbeschwerden
  • Kognitive Beeinträchtigung
  • Kreislaufstörung/Herzrasen
  • Schlafstörung
  • Geruch- und Geschmacksstörung
  • Kopfschmerzen
  • Angst/Depression/Somatisierung

Insgesamt kann sich Long Covid in über 200 Symptomen äußern, etwa im “Fatigue-Syndrom”. Das Risiko für dieses chronisches Erschöpfungssyndrom ist schon länger bekannt und zudem mögliche Folge beim Pfeifferschen Drüsenfieber oder der “normalen” Grippe. Trotzdem ist es ein noch sehr unerforschtes Krankheitsbild, was einen weiteren Grund für die derzeitige Ratlosigkeit darstellt. Die Betroffenen berichten von rascher Ermüdung bei körperlicher und geistiger Betätigung. Manche leiden unter längeren Regenerationszeiten, andere fesselt es vollständig ans Bett. Bislang lässt unser Wissensstand über das Fatigue-Syndrom und Long Covid nur an den Einzelfall angepasste Symptombehandlungen zu, verspricht aber keine Heilung. Ebenso wenig sind wir in der Phase umfassender Studien oder von etablierten Behandlungsansätzen angelangt. Das Syndrom verschlimmert zudem das Risiko für psychische Erkrankungen wie Depression oder Angststörung. Besorgniserregend sind die Erfahrungsberichte von Personen, deren Hausärzt*innen sie mit solchen Symptomen abwiesen, weil sie ihre körperliche Beschwerden als psychosomatisch abtun und sie nicht ernst nehmen. Nichtsdestotrotz, Long COVID hat sich in unserer Gesellschaft eingenistet und das Bewusstsein dafür steigt. Eigene Anlaufstellen für Long Covid in Tirol beschäftigen sich mit dieser Krankheit und bringen Verständnis entgegen (etwa: postcovid@liv.tirol; www. Postcovid.tirol).

Die derzeitige Forschung der medizinischen Universitäten Innsbruck und Wien erweckt die Hoffnung, dass Fortschritte in der Erkennung und Bekämpfung von Long COVID erzielt werden mögen. Dass der Thematik inzwischen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, zeigt auch das kürzlich erschienene Buch von Dr. Claudia Ellert, die selbst Marathonläuferin und Post COVID-Patientin ist. In „Long Covid – Wege zu neuer Stärke“ beschreibt sie ihre eigenen Erfahrungen mit der Krankheit und liefert neben medizinischen Erklärungen auch Empfehlungen im Umgang damit. Sie betont die Bedeutung von „Pacing“, was Selbstbeobachtung und Achtsamkeit bedeutet. Durch Long Covid nimmt die Belastbarkeit als auch Leistungsfähigkeit ab. Mittels Pacing kann man innerhalb des eigenen Energieniveaus bleiben und eine Verschlimmerung und Verlängerung der Krankheit verhindern.

Anna* hat diagnostiziertes Long Covid und versucht, darin auch eine Chance zu sehen: „Paradoxerweise, wenn man eine weniger ausgeprägte Form davon hat, kann man in dem Ganzen durch Pacing Ruhe finden. In unserer Leistungsgesellschaft kommt das Auf-Sich-Achten zu kurz. Die eigene Grenze sollte nie verhandelbar sein.“

Entgegen der allgemeinen Stimmung in Hörsaal, Kino und Straßenbahn haben wir Covid noch nicht abgeschüttelt. Covid-19 wurde, wie bereits Anfang 2020 prognostiziert, endemisch – wie die Grippe. Doch birgt es größere und andere Gefahren in sich, die nicht zu ignorieren sind. Bücher, wie von Dr. Ellert, helfen dafür ein Bewusstsein zu schaffen. Forschungsteams beschäftigen sich mit möglichen Ursachen und Behandlungsmethoden. Doch für einen nicht zu verachtenden Teil, die monatelange Erkältungssymptome, Schlafprobleme, Atembeschwerden oder auch psychische Auswirkungen aufgrund einer Corona-Erkrankung in sich tragen, bleibt dies vorerst nur ein Schimmer der Hoffnung an kalten und vernebelten Tagen.

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