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Neues Gedenken für das KZ Reichenau

Quelle: Eigene Aufnahme

In den Jahren 1941-1945 befand sich im Stadtgebiet Innsbruck ein Arbeitserziehungslager der Gestapo Innsbruck. Heutzutage erinnert nicht mehr viel an die Existenz dieses Lagers, aber genau das soll sich jetzt ändern.

Gelegen an der Grenze des heutigen Stadtteils Reichenau und des Gewerbegebiets Rossau, waren in dem Lager etwa 8500 Menschen inhaftiert, die dort gefoltert, zur Arbeit gezwungen und ermordet wurden. Es handelte sich bei den inhaftierten Menschen vor allem um Widerstandskämpfer*innen, aufgegriffene italienische Zivilarbeiter*innen, die der Zwangsarbeit des Deutschen Reichs entkommen wollten, Mitglieder der jüdischen Gemeinde Südtirols, jüdische Bürger*innen Innsbrucks und politischen Gefangene. Für viele von Ihnen war das Lager eine Station auf dem Weg in Vernichtungslager wie Ausschwitz-Birkenau. Beim Gebiet der ehemaligen Lagerfläche liegt heute auch der Recyclinghof Rossau. Dort befindet sich nahe der LKW-Einfahrt eine Mahntafel von 1972 mit der folgenden Inschrift: „Hier stand in den Jahren 1941–1945 das Gestapo-Auffanglager Reichenau, in dem Patrioten aus allen vom Nationalsozialismus besetzten Ländern inhaftiert und gefoltert wurden. Viele von ihnen fanden hier den Tod.“

Die Mahntafel beim Recyclinghof, Ecke Einfahrt bei der IIG. Quelle: Eigene Aufnahmen.
Rossaugasse 4, Innsbruck. Quelle: Eigene Aufnahmen.

Die Inschrift ist nicht sehr aussagekräftig und enthält keinerlei Angaben zu den Menschen und ihren Biografien, was auf eine weitere Art entwürdigend ist für all diejenigen, die dort inhaftiert waren. Auch die Formulierung „Viele von ihnen fanden hier den Tod“ verharmlost die Ermordung der inhaftierten Menschen.

Der Gemeinderat der Stadt Innsbruck hat daher 2023 eine Expert*innenkommission beauftragt, die Geschehnisse neu aufzuarbeiten, um alternative, zeitgemäße Arten des Gedenkens zu finden. Angedacht sind beispielsweise eine überdachte Stätte für Besuche von Schulklassen und Gedenkveranstaltungen. Die erarbeiteten Ergebnisse der Kommission umfassen die Namen und biographischen Daten von 112 Menschen, die nachweislich im KZ Reichenau ermordet wurden. Die Kommission besteht aus Vertretern des Gemeinderats (Irene Heisz), des Stadtarchivs Innsbruck (Lukas Morscher), des Tiroler Landesarchivs (Christoph Haidacher), der KZ-Gedenkstätte Dachau (Gabriele Hammermann), des Wissenschaftsbüro Innsbruck e. V., (Sabine Pitscheider), des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck (Dirk Rupnow) und _erinnern.at_Tirol (Horst Schreiber).

Die Bemühungen für weitere Aufklärung und Gedenkarbeit fügen sich an die bereits seit Anfang der 2000erJahre bestehende Arbeit von Johannes Breit, der dazu einen Dokumentarfilm gedreht (verfügbar auf YouTube) und ein Buch veröffentlicht hat. Auch Die Zeitlos hat im Jahr 2022 bereits einen Beitrag von Eva Mattle zu dem Thema veröffentlicht. Dieser weitere Beitrag zu dem Thema soll dazu beitragen, wieder neue Aufmerksamkeit zu generieren und einen Teil zur Aufklärung beitragen. Denn: Der Innradweg führt nicht weit des ehemaligen Lagergeländes vorbei, ein Weg, der im Sommer Richtung Baggersee stark frequentiert ist. Der Baggersee Innsbruck entstand aus einer Schottergrube, die sich mit Grundwasser füllte und durch eine Bürgerinitiative in den 1970er Jahren offiziell zu einer Badestätte erklärt wurde. Zur gleichen Zeit wurden auch die letzten Baracken abgerissen und der Recyclinghof errichtet. Doch nicht weit des neu entstandenen Naherholungsgebiets Baggersee wurden Menschen unrechtmäßig festgehalten und grausam ermordet. Ein Bewusstsein für diesen krassen Gegensatz sollte einen Weg in die Köpfe der Bewohner*innen Innsbrucks finden. Dieser Verantwortung des Gedenkens muss nachgekommen werden, um eine starke Zivilgesellschaft zu gewährleisten. Umso erfreulicher ist es, dass die Stadt Innsbruck diese Verantwortung wahrgenommen hat und dem Bau einer Gedenkstätte an der innseitigen städtischen Grünfläche in der Nähe des ehemaligen Lagergebiets stattgegeben hat. Infolgedessen wurde ein Wettbewerb mit Teilnahmefrist zum 19. Oktober 2023 ausgerufen, dessen Ergebnis die Planung und Umsetzung der Gedenkstätte bestimmen soll.

Zum Abschluss dieses Textes soll noch etwas der auch heute noch getätigten Aussage entgegengesetzt werden, die Verbrechen der NS-Zeit seien nicht geschehen oder man hätte ja von nichts gewusst: Unsichtbar waren das Lager und seine Insassen für die Stadtbevölkerung zu der Zeit nämlich bei Weitem nicht. Es befand sich in Sichtweite der beliebten, noch heute existierenden, Gaststätte Sandwirt. Auch muss man bedenken, dass die Rossau, das heutige Gewerbegebiet Rossau, zu jener Zeit noch kaum bebaut war. Zum Großteil befanden sich dort niedrige Bauten wie die des Sandwirts und der Lagerbaracken sowie Wiesen und Felder. So ist die Stelle und ihre Geschichte heute vielleicht für nicht suchende Betrachter*innen versteckt, damals jedoch war das Sichtfeld unverbaut. Darüber hinaus wurden die Häftlinge im Innsbrucker Straßenbau eingesetzt und waren ein Teil des alltäglichen Lebens der Stadt.

Übersichtskarte aus dem Jahr 1944. Quelle: Breit, J. 2017, S.16.

All das wurde jahrzehntelang verschwiegen und verdrängt, wie so vieles aus jener Zeit. Doch es ist gerade das Unausgesprochene, Verdrängte, was Jahre später neuem Unrecht den Weg bereiten kann.


Verwendete Quellen:

Breit, Johannes: Es ist besser, nicht zu viel um sich zu schauen. Das Arbeitserziehungslager Innsbruck-Reichenau 1941-1945, Dokumentarfilm

Breit, Johannes: Das Gestapo-Lager Innsbruck-Reichenau: Geschichte, Aufarbeitung, Erinnerung. Tyrolia, Innsbruck/Wien 2017

https://www.erinnern.at/media/fe1e651f8dd5f5f407d8c915250345ef/Lager_Innsbruck-Reichenau.pdf/@@download/file/Lager_Innsbruck-Reichenau.pdf

https://austria-forum.org/af/AustriaWiki/Lager_Reichenau – aufgerufen am 29.12.23

https://tirol.orf.at/stories/3140541/ – aufgerufen am 29.12.23

https://www.tt.com/artikel/5980032/erinnerungen-an-das-lager-reichenau – aufgerufen am 29.12.23

https://www.meinbezirk.at/innsbruck/c-lokales/innsbruck-stellt-sich-seiner-geschichte-des-lagers-reichenau_a5880946  – aufgerufen am 30.12.23

https://tirol.orf.at/stories/3194031/ – aufgerufen am 30.12.23

https://www.weissraum.at/projekte/wettbewerb-gedenkort-reichenau  – aufgerufen am 30.12.23

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