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Margherita und Maradona

„So weit im Süden war ich in Italien noch nie“, ist die Reaktion der meisten Befragten nach Tipps und Ratschlägen, als ich erzähle nach Neapel zu reisen. Würde man die Stadt rückblickend komprimieren wollen, stellen sich die allerorts dampfenden Pizzastücke und die ikonenhafte Darstellung des Fußballspielers Maradona sowie die hitzige, lebendige Hektik in den Vordergrund.

Nach dem großen Sieg in der italienischen Liga wurde kurzerhand die gesamte Innenstadt zu einem Schrein des Idols umgestaltet. Sogar die blauen Müllsäcke entlang der Balkone dienen als Dekoration, die im selben Blauton wie jener der Fußballmannschaft Neapels herunterleuchten. Touristen sind allerdings die einzigen, die die Trikots Maradonas auch kaufen und die Menschenmenge noch stellenweise mit der Farbe des Sieges sprenkeln. Im Übrigen sind die gepflasterten Gassen gelinde gesagt, etwas heruntergekommen und geben durch die schrillen Graffitis den Widerhall zu hupenden Italiener*innen. Auf dem Fahrrad ist niemand unterwegs, ein Mopedfahrer hantelt sich sogar an einem Polizeiwagen entlang, um ihn zu überholen.

Ein Ausflug nach Pompeii darf nicht fehlen und so fahren wir gerne mit dem Zug ins heutige Pompei (mit einem „I“), um uns von den Ausgrabungen das schwere Schicksal dieser antiken Stadt erzählen zu lassen. Keine bloßen Ruinensockel finden wir hier vor, wie sonst oft bei römischen Ausgrabungen. Stattdessen sehen wir funktionierende Brunnen, gut erhaltene Fresken und Graffitis, bunte Wandmalerei sowie unzählige Mosaikböden in dieser Stadt. Diese Überreste vermitteln das Bild ihrer Lebendigkeit, bevor sie 79 n. Chr. vom Vulkanausbruch überdeckt wurde. Es trifft sich, dass in ebenjener Woche, in der der Pizza Hawaii von Italien der Kampf angesagt wurde, man auf die Pizza-Abbildung in Pompeii stieß und auf ihr Obst entdeckt. Umso enttäuschter sind wir, als die gerade neu ausgegrabene Pizza hier noch nicht zu besichtigen ist. Allerdings hat die Band Pink Floyd sich mit ihrem Konzertauftritt im alten Amphitheater eine eigene kleine Ausstellung verdient, wobei man sehr stolz auf dieses Event zu sein scheint. In den Souvenirläden, auf Kunstwerken und jeglicher sonstigen Darstellung des Vulkans bricht er immer noch aus, obwohl er seit fast 2000 Jahren inaktiv ist. Dabei bleibt die Frage offen, ob es sich dabei noch um die Verarbeitung der Zerstörung Pompeiis oder einer eher attraktiveren Darstellung für das Auge handelt.

Weiteren Kontext findet man abseits der Ruinen im Archäologischen Nationalmuseum Neapel, in dem sich einem von Raum zu Raum schlendernd übermenschlich großen Marmorstatuen präsentieren. Die Hauptattraktion ist das Alexander-Mosaik, das hierher aus Pompeii übersiedelt wurde. Leider ist es gerade in Restauration, weshalb wir uns den kleineren, ebenfalls wunderschönen Steinmalereien zuwenden, die gleichfalls mehrere Räume einnehmen. Unsere Taktik, immer überall etwas früher zu erscheinen, zahlt sich aus. Gerade als wir das Museum wieder verlassen, passieren wir eine bereits meterlange Schlange an Menschen, wo wir noch eine leere Eingangshalle vorgefunden haben. Auch in den Restaurants stehen Menschen in Erwartung eines Tisches an, während wir schon nach der Rechnung fragen.

Unsere Unterkunft, ein winziges B&B bietet gerade das Nötigste und zudem das am schlechtesten bewertete WLAN ganz Neapels. Dafür ist sie ideal zentral gelegen und war so günstig, dass man doch für den einen oder anderen Apérol in Touristenfallen purzeln kann. Diese, so lernen wir mit der Zeit, erkennt man daran, dass sie ihre Preise vor der Bestellung nur ungern offenlegen. Fragen wir nach der Karte, so lächelt uns der Kellner nur entschuldigend an und wir wissen beide, dass damit der vorzeitige Abschied besiegelt ist. Denn für zwei Getränke bezahlt man hier umgerechnet drei Pizzen. Sogar bei der besten Pizzeria Neapels.

Denn Neapel ohne Pizza ist nicht vorstellbar. Und obwohl diesem Nationalgericht Italiens im bisherigen Bericht schon überdurchschnittlich viel Platz geboten wurde, muss man hier nochmals auf das Thema zu sprechen kommen. Immerhin wird seit 1985 von der Associazione Verace Pizza Napoletana die beste Pizza gekürt. Hier kommt sie her und wird in allen denkbaren Varianten verkauft, fast schon geatmet. Als klassisch fluffig und knusprig, mit und ohne Tomatensoße, ja sogar frittiert. Wir haben diese in Öl gebadete Variante gesehen und probiert – mit klassischer Pizza hat sie allerdings nicht mehr viel zu tun. Und doch, in dieser Stadt lebt die Pizza hoch, gleich in welcher Form. Das zweistündige Anstehen bei der L’Antica Pizzeria da Michele führt dazu, dass die Pizza danach noch umso besser schmeckt. Ehrlich gesagt, hat das Erlebnis etwas seines Charmes einbüßen müssen an der Frage, wo man die mühsam erworbene Pizza denn verspeisen soll. Die meisten Anstehenden verziehen sich, sobald sie ihrer Pizza habhaft werden, in eine der Nebengassen. Andere essen sie im bereits rollenden Auto. Etwas unwürdig, aber bequem sitzen wir am Straßenrand und öffnen vor allen Dingen gespannt den Pizzakarton. So lange erwartet der Moment auch war, ebenso kurz ist er wieder vorbei beziehungsweise verspeist. Das war sie also, die beste Pizza. Wir blicken hinauf auf ein Maradona-Plakat mit der Aufschrift „El Dios“. Eine Vespa fährt hupend vorbei und die bunt verschönerten, oder verschmierten, Fassaden vervollständigen das Ambiente.

Fotos: Tobias Jakober, Isabella Walder

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