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Ein Ferialjob der anderen Art

Ich sitze in der Arbeit. Mir ist langweilig. Ich öffne ein Word und beginne zu tippen. 

Das Zimmer ist hell, freundlich und auf 15 Grad heruntergekühlt. Meine Arme sind von Gänsehaut überzogen- ich habe natürlich nicht daran gedacht bei den 28 Grad die es heute werden soll, eine Jacke für den Kühlschrank, in dem ich arbeite mitzunehmen. Mir ist langweilig. Zum Glück machen hier alle schon um 12 Mittagspause. Und um 10 am Vormittag treffen sich alle für eine „kurze“ Kaffeerunde im Stübchen ohne Fenster. Ich bin nur einmal dabei gewesen, weil ich das Stübchen ohne Fenster nicht so gemütlich finde, keinen Kaffee trinke und nicht weiß, was ich zu den zehn 50-jährigen Männern sagen soll. Ich verstehe ihre Witze nicht, will sie, glaube ich, auch nicht verstehen, und lächle höflich, wenn ich das Gefühl habe, dass es angebracht ist.

Die Pausen ermüden mich mehr als es die Arbeit tut. Schließlich brauchen die „kurzen“ Pausen im dem Stübchen ohne Fenster eine Stunde. Den Tagesverlauf habe ich mir schnell gemerkt. Von 10-11 Kaffeepause, um 12 Mittagessen, um 15 Uhr eine weitere Kaffeepause und um 16 Uhr macht man sich langsam fertig, damit man um16:30 wirklich endlich heimgehen kann. Mir ist langweilig. Mir gegenüber im Büro sitzt eine von den zwei anderen Frauen in der Etage. Ich kann sie nicht sehen, weil meine zwei Bildschirme mir die Sicht verdecken, aber ab und zu höre ich, wie sie sich Wasser einschenkt, ein Blatt Papier zerknüllt oder die Höhe ihres Stuhles verstellt. Ich bin klein, weswegen ich meinen Stuhl auf die tiefste Stufe gestellt habe. Das bedeutet zwar einerseits, dass ich, wenn ich mit meiner Kollegin spreche, nur ihre Stimme und den Ansatz ihres Scheitels sehe, andererseits erlaubt mir diese Position von den Knien abwärts die Beine der Menschen zu beobachten, die am Büro vorbeigehen. Das Beste daran ist, dass ich, bevor die Beine am Büro vorbeihuschen, schon ihre Schritte höre. Mittlerweile bin ich sehr geübt darin, die Geräusche mit dem richtigen Paar Schuhen und Hosenenden zu verbinden. Ganz leicht zu erkennen ist die Person mit den schwarzen High-Heels und der schwarzen Anzugshose, die höre ich schon ganz lange bevor ich sie sehe. Dann gibt es den Mann, der sein Bein in den Cargo Shorts nachzieht, einer, der schon mit Fahrradschuhen und Fahrrad zur Arbeit kommt (sehr schwieriges Geräusch zum Erkennen, wenn man noch keine Erfahrung hat) und dann natürlich der Klassiker mit Anzugsschuhen und Hose, sehr subtiles Geräusch, aber doch klar erkennbar. Heute ist eine ganz neue Kategorie aufgetaucht, die ich so noch nicht gehört bzw. gesehen habe und mich im ersten Moment sehr verwirrt hat. Ich muss zugeben, dass ich dieses leichtfüßige Drippeln, begleitet von schweren Schritten nicht interpretieren konnte. Für die Zukunft weiß ich jetzt aber, wie sich die Kombination aus Frauchen bzw. Herrchen (es war schwierig zu sagen und tut ohnehin nichts zur Sache) mit Mops (sehr gut eingekleideter Mops, mit blauweißer Bandana und Goldkette um den Hals und aufgrund der geringen Größe vollständig für mich sichtbar!) anhört. 

Wenn ich meinen Blick weg von den Beinen und links zum Fenster lenke, kann ich auf den gegenüberliegenden Balkon sehen, der am Stübchen ohne Fenster grenzt. Im Grunde nicht sehr spannend, aber die zwei Männer (ja, zwei von den zehn fünfzigjährigen Männern, die sich auch immer im Stübchen ohne Fenster treffen) gehen jede halbe Stunde für 15 Minuten gemeinsam eine rauchen (ob es auch Unterbrechungen in diesem Zyklus gibt, kann ich noch nicht genau sagen, das benötigt noch ein paar Tage). Obwohl ich diese Routine erst vor zwei Tagen entdeckt habe, muss ich zugeben, dass ich diese Freundschaft schon ein bisschen liebgewonnen habe. Sie teilen sich die Zigarettenpackung und das Feuerzeug, und stehen gemeinsam an die Reling gelehnt da, während sie Gespräche über Gott und die Welt führen. 

Aufgrund meiner konzentrierten Analyse der Beine, die ich vorher bereits erwähnt habe und meiner gleichzeitigen Abwesenheit von den Treffen im Stübchen ohne Fenster, kenne ich die gesamte Abteilung nur vom Knie abwärts. Dies führt zu, zum Teil, etwas konfusen Situationen: heute ging ich zum Beispiel in ein anderes Büro, als ich plötzlich angesprochen wurde. Auf den ersten (nach oben gerichteten) Blick war mir die Person völlig fremd, aber dann als ich den Kopf senkte und das untere Drittel seines Körpers ansah, erkannte ich ihn wieder. Es war der Radfahrer, ganz ohne Zweifel.  Jetzt ergab der Satz eines Mitarbeiters Sinn, der zuvor in einer Besprechung gemeint hatte, dass der Mann, den wir zu erreichen versuchten, sehr wahrscheinlich nicht da sein würde, weil „schönes Wetter sei und er viel radeln geht.“ 

Es ist wieder Zeit mich der Arbeit zu widmen, schließlich ist während des Schreibens schon wieder eine halbe Stunde vergangen. Das erkenne ich an der Balkontür, die sich gerade öffnet.  

Photo: Unsplash (Ali Jouyandeh)

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