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Auf den Spuren der Geschichte Berlins – eine Bildungsreise

Vom 02. bis 07. Juni traten insgesamt 24 Teilnehmer*innen aus Südtirol und dem Trentino eine Bildungsreise (viaggio di formazione) nach Berlin an. Ziel der Reise war es, das nationalsozialistische, jüdische und geteilte Berlin hautnah an den historischen Plätzen und Gedenkstätten zu erleben und mit prägenden Erinnerungen und Erkenntnissen nach Hause zurückzukehren. Organisiert wurde das Ganze von der italienischen Organisation Arci Bolzano, sowie vom Jugenddienst Lana-Tisens, dem Jugenddienst Unterland und dem Verein Jugend Cultura Unterland.

Das nationalsozialistische Berlin

Der Ort des Geschehens: Die Villa der Wannsee-Konferenz
© Johannes Karl Fink (Teilnehmer der Bildungsreise)

Der Nationalsozialismus und der Holocaust sind ein einschneidendes Kapitel in der Geschichte Deutschlands. In Berlin erinnern viele Gedenkstätten daran. Zwei davon besuchten die Teilnehmer*innen der Bildungsreise. In der Nähe von Berlin gibt es das Haus der Wannsee-Konferenz. Hier fand am 20. Januar 1942 die Wannsee-Konferenz statt, bei der die Koordinierung und Organisation der Deportationen der gesamten jüdischen Bevölkerung und somit die „Endlösung der Judenfrage“ systematisch geplant wurde. Diese Villa, in der einst fünfzehn hochrangige Vertreter der nationalsozialistischen Reichsregierung zusammensaßen und die Vernichtung der Juden und Jüdinnen im gesamten europäischen Raum beschlossen, ist heute zu einer Gedenk- und Bildungsstätte geworden.

Nach dem Besuch wurden die Teilnehmer*innen der Reise mit Entsetzen und Staunen in einen mit Blumen geschmückten Garten entlassen. Sie konnten sich nur fragen, wie man an einem solchen wunderschönen Ort, eine derartig grausame Grundlage für spätere Gräueltaten schaffen konnte.

Museum “Topographie des Terrors” mit dem Geländerundgang, der in 15 Stationen die Geschichte des Areals erklärt.
© Heidi Siller

Ebenfalls erwähnenswert ist das Museum „Topographie des Terrors“. Diesen Namen erhielt es, weil sich auf diesem Gelände zwischen 1933 und 1945 die wichtigsten Einrichtungen des nationalsozialistischen Verfolgungs- und Terrorapparates befanden: die Zentrale der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), die Reichsführung der Schutzstaffel (SS), der Sicherheitsdienst der Schutzstaffel (SD) und ab 1939 das Reichssicherheitshauptamt. Erstaunlich ist hier, dass sich die der Großteil der Verantwortlichen (sowohl NS-Offiziere als auch Gestapo-Mitglieder) nach 1945 ihrer juristischen Verantwortung entziehen konnten, da sie mit dem herannahenden Kalten Krieg als Sicherheitsexperten eingesetzt wurden.

Das jüdische Berlin

Rund 55.696 jüdische Menschen aus Berlin fielen dem nationalsozialistischen Regime zum Opfer. Das jüdische Museum in Berlin ist definitiv ein Besuch wert, denn allein durch seine Architektur können die Besucher*innen die Schicksale der Juden und Jüdinnen jedoch nur erahnen. Architekt dieses besonderen Gebäudes ist Daniel Libeskind, dessen Vater und Mutter den Holocaust überlebten. Mit seinem Entwurf „Between the Lines“ entwickelte er Räume der Erinnerungen und ein hautnah erlebbares architektonisches Kunstwerk. Beim Betreten des Museums fällt als erstes auf, dass sowohl die Gänge als auch die Wände schräg waren. Verwirrung und Desorientierung waren vorprogrammiert, aber genau das wollte Libeskind erreichen.

Einige der in summa 49 angeordneten Stelen im Jüdischen Museum.
© Sarah Oberlechner (ebenfalls Teilnehmerin der Reise)

Sobald man als Besucher*in durch die ersten Räume spaziert, kann man sofort drei Achsen erkennen: die Achse des Exils, die Achse des Holocaust und die Achse der Kontinuität. Die erste Achse führte zu einem Garten, der auf einer schrägen Ebene geschaffen wurde, um diese Unsicherheit und das „schwindelige“ Gefühl im Exil darzustellen. Auch kann es dahingehend interpretiert werden, der Garten stelle die ersten Schritte der ins Exil geflüchteten Juden und Jüdinnen dar, die nach der langen Schiffsfahrt wieder festen Boden unter den Füßen spürten. Im Garten befinden sich zudem 49 quadratisch angeordnete Stelen, die die Hochhäuser in New York darstellen, weil dies das Erste war, was die jüdischen Geflüchteten sahen, als sie in Amerika ankamen. Die jüdische Bevölkerung konnte jedoch nur bis Oktober 1941 fliehen. Außerdem war es für nicht alle Jüdinnen und Juden eine Option zu flüchten, da dafür finanzielle Rücklagen von Nöten waren.

Das Schicksal derer, die nicht fliehen konnten, wird im Holocaust-Turm dargestellt, der am Ende der Achse des Holocausts liegt. Er trägt auch den Namen „Voided Void“ (entleerte Leere). Ein Turm, der die Besucher*innen hautnah erleben lässt, was Kälte, Einsamkeit und Bangigkeit bedeutet und der im Menschen ein Gefühl der Beklemmtheit auslöst, welches wir dankbarerweise durch Verlassen des Turmes wieder loswurden. Diese Emotionen wurden für sechs Millionen Juden und Jüdinnen in ganz Europa jedoch zum Alltag und später zur realen Todesfurcht.

Über die Achse der Kontinuität, die in einer steilen Treppe mündet, kommen die Besucher*innen zum Eingang der Dauerausstellung im 2. Obergeschoss, welche die deutsche jüdische Historik und Kultur der Vergangenheit und Gegenwart aufzeigt.

Das geteilte Berlin

„Die Mauer war ein Bauwerk der Furcht. Am 9. November vor 20 Jahren wurde sie zu einem Ort der Freude.”
(Bundespräsident Horst Köhler zum Jahrestag des Mauerfalls am 9. November 2009)
©Heidi Siller

Als Berlin-Reisende*r oder Besucher*in in Berlin, fällt einem sicherlich alsbald die Berliner Mauer auf. 118 Künstler*innen aus insgesamt 21 Staaten haben nach dem Mauerfall von 1989 die noch restlich vorhandene Mauer mit Graffitis und Zeichnungen bemalt. Heute dient die „East Side Gallery“ als Symbol der Freude, als Zeichen der Überwindung der deutschen Teilung und als Ort der Erinnerung hinsichtlich des unmenschlichen DDR-Grenzregimes.

Mit dem geteilten Berlin befasst sich auch das Stasi-Museum, welches die Frage in den Fokus stellt, wie es der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) über 40 Jahre hinweg gelang, Millionen von Menschen in der DDR unter Kontrolle zu halten. Dabei wird als wichtigstes Instrument das Ministerium für Staatssicherheit, das auch unter dem Namen „Schild und Schwert der Partei” bekannt, angesehen. Besonders beeindruckend sind die im Museum ausgestellten Hilfsmittel der Überwachung. Dazu gehören Wanzen in den Wänden, um Menschen heimlich abzuhören, Spezialkameras in Knöpfen der Offiziers-Jacketts, die unbemerkte Aufnahmen ermöglichten und diverse andere Werkzeuge und Methoden, mithilfe derer die eigene Bevölkerung abgehört, kontrolliert oder überwacht wurde.

Der Zeitzeuge Mischa Naue, der mir in diesem Moment sein Buch Gefangen mit Buddha: Meine Rebellion im Stasi Staat mitsamt seiner Unterschrift und einer kleinen herzlichen Nachricht überreichte.
©Heidi Siller

Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen: Mischa Naue – ein Zeitzeuge berichtet

Beeindruckend, erschütternd, berührend, surreal und grausam zugleich. Diese Gedanken löste Mischa Naues Geschichte aus, die er in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen erzählte. Naue wurde aufgrund mehrerer Fluchtversuche aus der DDR zu einer Haftstrafe von zwei Jahren verurteilt. Vier Monate dieser Haft verbrachte er in der Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen. Die restliche Haftstrafe saß er von April bis Dezember 1984 in der Strafvollzugseinrichtung Naumburg ab. Was Naue über seine Haft berichtet, geht unter die Haut. Täglich wurden die Häftlinge vernommen. An seinem Vernehmer lässt Naue kein gutes Haar. Er beschreibt ihn als Mensch, der „geschult in Psychologie und der operativen Zersetzung von Menschen war”. Seine weiteren Erzählungen von Bestrafungen, Folter und dem Absitzen in der sogenannten „Gummizelle“ veranschaulichen die unmenschlichen Methoden der Vernehmer und Aufseher in den Gefängnissen. Wer nicht reden wollte, wurde durch physische und psychische Folter gebrochen und so zum Reden gebracht. Und das passierte vor nicht mal 40 Jahren und nicht wie häufig angenommen im Zuge einer der beiden verheerenden Weltkriege.

Resümee der Reise

Als wir an der Berliner Mauer vorbeischlenderten konnte ich ein wunderschönes Zitat lesen. Dieses möchte ich euch nicht vorenthalten, da es uns alle zum Nachdenken anregen sollte. Humanität, Solidarität und menschliches Handeln dürfen nicht verdrängt, vergessen oder gar abgeschaltet werden.

Die Welt noch unberührt – strahlend!

Und dann aus heiterem Himmel

schleicht sich an kaum sichtbar,

das Unheil von Menschenhand.

Ein Sturm kommt auf, die Erde bebt,

sie will’s nicht mehr ertragen.

sich berstend, brechend, schreiend, – warnend,

gestörter Kreislauf der Natur.

Schau mit wachsamen Augen

auf die Welt, Stelle Fragen!

Das Unheil abzuwehren

gemacht von Menschenhand!

Mauerbild “Gemischte Gefühle” von Siegrid Müller-Holtz an der 1,3 km langen East Side Gallery in Berlin

Beitragsbild: ©Heidi Siller

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