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Warum es eine Protestkultur abseits von Tomatensuppe braucht

Suppe in London, Brei in Potsdam, Öl in Wien: der Klimaaktivismus ist längst in der Kunst- und Kulturszene angekommen und macht keine Pause, wie auch die Klimakrise keine Auszeit nimmt. Ich bin zwiegespalten – als junger Mensch teile ich die Betroffenheit und Sorge um den Planeten und auch die Anliegen des Klimaaktivismus. Als Kunstinteressierte beschäftigt mich jedoch die Gefährdung von Kulturgut, mehr noch aber kommt Ärger über die Symbolik der Vorfälle auf. Ärger darüber, dass dieser (so notwendige!) Kampf für das Klima auf dem Rücken der Non-Profit-Institutionen ausgetragen wird, die durch ihren Bildungsauftrag so viel zur Gesellschaft beitragen: Museen.

Dass mit den Protestaktionen keine Sympathien geweckt werden sollen, ist klar. Doch es zeigt sich: Unterstützungserklärungen kommen vorwiegend aus den eigenen Lagern, die allgemeine gesellschaftliche Reaktion ist defensiv bis aggressiv, die von Konzernen und Politik verschwindend gering, wenn überhaupt vorhanden. Natürlich ist es nicht das Ziel der Aktivist:innen, das Handeln von Einzelnen in den Fokus zu nehmen, vielmehr geht es um die großen, dringenden Fragen: die Gefährdung von Millarden von Menschen durch die Auswirkungen der Klimakrise langfristig und die Leistbarkeit von Brennstoffen akut. Schließlich ist der Hebel, an dem Konsument*innen sitzen, zu kurz und ein möglichst nachhaltiger Lebensstil zwar erstrebenswert, aber nicht ausreichend als Weg aus der Krise. Kritik an den Rollen von Konzernen und Industrie, deren Macht und Subventionierung, und dem mangelnden Engagement der Politik ist ohne Zweifel sinnvoll – im Aktivismus wie auch in der Kunst. Umso deplatzierter ist das Adressieren der Öffentlichkeit und im Besonderen von Kunstinteressierten, denen wegen ihrer Besorgnis um den Erhalt von Kulturgütern Desinteresse am Schutz des Planeten unterstellt wird. Wenig überraschend ist die Reaktion darauf oft trotzig, man wolle sich so erst recht nicht mit den Anliegen der Aktivist*innen befassen. Abgesehen davon gelangt der Kunstbetrieb in die Bredouille. Plötzlich müssen Schutzmaßnahmen abgewogen, neue energieaufwendige Schutzgläser installiert und Besucher*innen durchsucht werden – ein niederschwelliges Kulturangebot sieht anders aus. Die Institutionen müssen Stellung beziehen: freilich ist niemand gegen Klimaschutz. Warum aber dafür Kulturgüter gerade stehen sollen, erschließt sich mir nicht. Zumal die teils fraglichen preislichen Entwicklungen im Kunsthandel und die damit verbundenen moralischen Bedenken den gemeinnützig ausgelegten musealen Betrieb nicht tangieren.

Eine rege Beschäftigung mit dem Klima wie auch anderweitige Systemkritik sind jedoch seit Jahrzehnten integrale Bestandteile der Kunstszene. Das zeichnet sich auch in zeitgenössischen Ausstellungen und Kunstschauen ab, wie etwa die KlimARS in Graz 2016 oder das Climate Cultures Festival in Berlin 2021 und 2022. Es braucht mehr Fokus auf diese und ähnliche Projekte, mehr mediale, finanzielle und vor allem politische Aufmerksamkeit! Zweifelsohne regen die Proteste zum Denken an, die Radikalität des Auftretens überschattet jedoch oft die Relevanz der Anliegen und hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Es muss mehr über die Zukunft jener Proteste und über die Etablierung einer fruchtbaren Protestkultur (!) nachgedacht werden. Kulturelle Institutionen können und sollen dabei zu Projektionsflächen gesellschaftlicher Anliegen und Probleme werden. Die Kunst darin agiert als Medium, die Kunstschaffenden als Aktivist*innen.

Ein konstruktiver, gesellschaftswirksamer Klimaaktivismus ist möglich und hat Platz im Kulturbereich. Dieser darf und muss wütend sein, kann und soll laut sein – doch lasst uns gemeinsam laut sein. Schluss mit der Opposition von Kultur und Aktivismus!

Beitragsbild: Pixabay

Dieser Text erscheint weiters bei der Plattform resonanzen.store

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