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Schmieröl für einsame Stunden

Haltet mich für verrückt, aber ich bin begeistert. Ich bin erschüttert, verlaufe mich im Gefühlschaos des letzten Konzerts, auf dem ich war. Als ich die Karten im Mai dieses Jahres kaufte, wusste ich nicht, auf was ich mich einließ. Nun fragt ihr euch sicher, was denn passiert ist. War E.T. Stargast auf einem Rolling Stones Konzert? Coverte etwa Helene Fischer Harry Styles? Nein, viel besser. Kommt mit, ich nehme euch mit auf ein Abenteuer! 

Linz, 9. November 2022, Punkt 20:00 Uhr (so pünktlich war keine Band zuvor!). Das Licht geht aus, die sitzende Menge, nach Kukident und 4711 riechend, mit dicken Perlenketten bestückt und auftoupiertem Haar, beginnt zu toben. Das Intro wird abgespielt, die zwei Musiker vorgestellt. Alles “Musikindustrie-Bla-Bla”. “Nur wegen den Fans kamen wir so weit, wir haben es geschafft! Dank euch! Und wir fahren überall hin! Für euch!”…. Bla-Bla-Bla… 

Schließlich kommen sie. Die Musiker Bernd Ulrich (72) und sein Bruder Karl-Heinz Ulrich (74), besser bekannt als “Die Amigos”, das erfolgreichsten Schlagerduo Europas, an dieser Stelle nicht mit der amerikanischen Rapgroup zu verwechseln, legen los und heizen dem ausverkauften, in blau-lilanes Licht gehüllten Saal des Brucknerhauses richtig ein.  Schon bei den ersten Klängen wusste ich: “I’m in for a ride!”  

Doch zuvor lasst mich ein bisschen was über die Amigos erzählen. Einige die bereits was von ihnen gehört haben, kennen die beiden wahrscheinlich aus dem gleichen Grund wie ich. Nämlich als Meme und als Witz, und nicht als ernste Musikschaffende. Doch dieses Konzert machte mir klar, dass die zwei wirkliche Musikliebhaber sind, die, gegründet 1970, von Dorffest zu Dorffest, durch Kneipen und Bars tingelten, und erst 2006 ihren Durchbruch hatten. Danach: Zwei Echos, unzählige Gold – und Platinschallplatten, viele Nummer –Eins-Alben in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Und trotzdem blieben die beiden bodenständig und fangetreu. Wirklich! Diese Beständigkeit, der Ehrgeiz und der Wille Musik zu machen, den muss man ihnen durchaus zugutehalten. Die Musik mag nicht jeden Geschmack treffen, doch den Ehrgeiz und die Konsequenz, dass über 50 Jahre durchzuziehen muss man ihnen zugutehalten. Und, dass diese Musik, durch ihre Themen und eingängigen Melodien, die vereinen, wo jede*r mitmachen/mitfühlen kann, Menschen aus einem Loch herausziehen kann, kann ich mir gut vorstellen. Wenn es dir schlecht geht, hilft Musik, und diese Musik macht einfach gute Laune. 

Elia mit einem Amigos-Fan

Zurück in den Saal: Während ich, inmitten von zwei auf 2-4 klatschenden Damen Platz gefunden habe (die etwas weniger Betagten schafften die 1-2-3-4) sieht man Bernd (den “Frontman”) leicht tanzend, immer wieder faustballend, auf und ab, hin und her wippend, klatschend, kopfnickend – also akrobatisch performend – und Amigo 2, Karl-Heinz, wie angewurzelt stehend, ins Publikum starrend und Gitarre schrammend. Stimmung kommt auf (und das nicht zu knapp!)  weil man einfach spürt, dass die zwei Spaß auf der Bühne haben, sich selber (wird vor allem in den Ansagen zwischen den Songs deutlich) nicht zu ernst nehmen, und es geradezu genießen vor uns stehen. Das spürt, sieht und hört man, steckt an und reißt mit, und so surfte auch ich bald auf der “Friede, Freude, Eierkuchen”- Welle. Und die erste Überraschung kommt auch gleich dazu: Sie singen live. Schlageruntypisch, aber die Jungs singen live! Und das klingt auch noch richtig gut! Der Rest kommt zwar vom Band und die Gitarre von Karl-Heinz hört man nicht, sie ist entweder nicht angesteckt oder tief im Mix verloren, aber man spürt, sie sind da! Stets faszinierend der Fakt, wie sie die Leute – jeglicher Spott beiseite – mitreißen. Hits wie “Die Legende von Babylon”, “Sommer 65”, “Weißt du, was du für mich bist”, oder “Wie David gegen Goliath”, laden zum Mitklatschen und super Stimmung ein. Eine halbe Stunde Vollgas “Amigos”– WIRKLICH! (im Rahmen der Möglichkeiten wohlgemerkt) verging wie im Flug- und Bernds Tochter, Daniela Alfinito, wird angekündigt. Sie wirkt leider weniger passioniert, ihre Lieder gehen eher unter, verschwinden im Einheitsbrei, – ja, es klingt zwar fast alles gleich, doch Amigos Lieder haben etwas Besonderes! –  sind auf “Ich habe meine Midlife – Crisis überwunden und stehe jetzt nach 50 Jahren mit beiden Beinen im Leben!” getrimmt – GÄHN!  

Nach Daniela war Pause. Mich gelüstete eine Zigarette, doch bevor ich aus der Halle war, wurde ich schon von den Leuten über meinen Anzug angequasselt. So wurde man dann halt eingeladen, und höflich wie ich bin, trank ich halt fleißig mit. Da ein Schnaps, da ein Glas Weißwein, da ein Aperol, noch ein Sekt – in 15 Minuten diese Mengen zu konsumieren schlägt aufs Gemüt. Die Tore zum Saal wurden geöffnet, ich trank das letzte Glas Wein, und torkelte hinein. Bevor ich meinen Sitzplatz erreichte, wurden mir noch zwei Hugo-Dosen zugesteckt. Ich nahm an, denn ich bin ja ein Kind mit Anstand und einem geschenkten Gaul schaut man bekanntlich nicht ins Maul. 

An dieser Stelle noch ein paar Worte über die Akustik im Saal: Bei den Amigos, naja, wie soll man sagen… Es war so, wie es sein musste. Der 4-on-the-floor- Beat hatte Wumms und war hier am lautesten und deutlich im Vordergrund, was definitiv so sein soll. Die E-Gitarren hatten diesen weichgespült-typischen Schlagersound, die Synthesizer und Klaviere hatten dieses glöckchenähnliche Hallen, das den Schlager, Schlager macht. Die engelsgleichen Stimmen des Vogelsberger Erfolgsduos waren für meinen Geschmack zu leise, und man konnte sie nur recht konzentriert verstehen. Das ist bei dieser Musik verschmerzbar. Aber Hall und Echo musste sein – und, oh Backe! – das war da. Alles in allem fein abgemischter, schlagertypischer Weichspüler, der “die Herzen schmelzen lässt”. – alles richtig gemacht.  

Elia und Bernd Ulrich

Mit “Sweet Maria”, und “Wenn Liebe siegt” wurden dann anschließend von den beiden wiedergekehrten Amigos ruhigere Töne angeschlagen, bevor mit “James Dean” und “110 Karat” die wenigen, die noch fähig waren, eingeladen wurden vor die Bühne zu kommen, um mit den Amigos und Daniela gemeinsam den Abend zu betanzen. “Hitmix 2022”, bestehend aus verschieden Amigos Hits, nur halt zusammengeschnitten, schloss einen denkwürdigen Abend ab. Nach zwei Stunden sagte Karl Heinz nun auch endlich etwas, nämlich “Danke”, bevor sein Bruder wieder übernahm. So verabschiedeten sich die Mittelhessen von der Bühne.  

Vor dem Brucknerhaus war eine Menschentraube noch um Bernd versammelt, der aus dem Auto heraus Autogramme und Fotos gab. So schnell als möglich wankte ich zu ihm hin und konnte noch ein Foto ergattern! Ich war der glücklichste kleine Besoffski auf Erden! Als ursprünglicher Kitzbüheler erfüllte ich auch meine Pflicht und überbrachte ihm schönste Grüße von Hansi Hinterseer (der mit dem Ski-Twist), ehe er, mehr panisch und hastig, die schwarz getönte Fensterscheibe des Mercedes-Busses hochfahren ließ und mit seinem Bruder auf der Rückbank gen Schlagerolymp zog. Und ein Teil von mir zog mit ihnen. 

Was ist nun mein Fazit? Was ziehe ich aus dem Abend für einen tieferen Sinn? Dass in mir eine 65-jährige, von ihrer großen Liebe verlassenen und Hoffnung suchende Seele wohnt? Jedenfalls war es ein gelungener Abend, um all das zu vergessen, was auf der Welt schiefläuft, um in eine völlig neue Umgebung einzutauchen und die dich durch ihre schier unendliche schleimige Konsistenz mitreißt und schweben lässt. Einfach: Schmieröl für einsame Stunden. 

7/10 Amigos 

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