Folge
Newsletter
Anmelden

Von der Impotenz des Lebens

Die Lebhaftigkeit ist durchaus eine spektrale Angelegenheit, sie ist nicht entweder Ja oder Nein, 1 oder 0. Aber in diesem sogenannten Leben kann es trotzdem passieren, dass man sich an manchen Tagen in der Feststellung wiederfindet, dass „heute gar nichts geht”.

Derartige Schwierigkeiten sehen aber ganz unterschiedlich aus. Einerseits kann es der Fall sein, dass weder Motivation noch Energie auf Reserve sind. Andererseits könnte es auch so sein, dass gar kein Problem mit der Erektion selbst vorliegt, also man vor Kraft und Freude sprießt, die Ejakulation allerdings ihr Ziel verfehlt und so nicht zur Frucht gelangen kann. Oder die Freude findet ihr Ziel, doch entpuppt sich dann als dysfunktional.

So oder so muss es wohl sehr verzweifelnd sein, das Leben nicht zur Blüte bringen zu können. Mindestens genauso traumatisch ist eine gelungene Befruchtung, die dann im Reifeprozess verdirbt! Da kann man sich tausende Fragen stellen, wie etwa: “Woran hat’s gelegen?”, “Hab ich etwas falsch gemacht?”, “Bin ich das Problem?”, “Klappt es unter anderen Umständen?” oder “Sind andere schuld daran?” Oder man stellt sich nur eine Frage: “Warum muss ich das ertragen?”

Keine Antwort, aber ein Weg des Umgangs damit ist das Entsagen, das Aufgeben. Wozu denn auch den Versuch unternehmen, diesem Drang nachzugehen, dem Leben Ja zu sagen? “Nein danke, Leben. Heute nicht.” Dieses Aufgeben kann wiederum verschiedene Wege einschlagen. Einen nenne ich “Den Streik”: Kratzbürstig und -borstig will man sich rächen. “Leben, du Scheusal! Dir werd ichs schon noch zeigen!”, denkt man sich in seinen Tiefen. Dies ist eine Art Antithese. Ein anderer Weg ist es, den verzweifelten Drang, das Leben zu verwirklichen, nicht mit seiner Antithese zu ersetzen, sondern ihn wirklich abzuwerfen, und zu schauen, was ohne ihn vor sich geht.

Da kann es passieren, dass man einen sehr schönen Tag erlebt, da man plötzlich offen für das Leben ist und ihr/ihm nicht mehr Gewalt antut. Aber es kann auch sein, dass man überfordert ist von dieser Lücke und schließlich wieder in die These oder Antithese des Lebens rutscht. Oder man täuscht sich selbst, indem man eine der beiden umformuliert, um den Schein zu erzeugen, dass man jetzt ein neues Rezept gefunden hat. Der eingebildete Neuanfang ist ein hilfreiches, aber leicht auszunutzendes Mittel für den Impotenten. Wer dies allerdings zu oft anwendet, kann es irgendwann nicht mehr ernst nehmen, weil man sich selbst schon zu oft dabei zugesehen hat, aus dem Neuanfang ein Neuende werden zu lassen.

“Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne” sagte Hesse, und er hatte Recht. Da allerdings der Anfang Vergänglichkeit und der Zauber Unwirklichkeit impliziert, ist Enttäuschung vorprogrammiert. Doch wenn uns das Leben – oder wir uns selbst – nie täuschen würden, würden wir dann überhaupt noch irgendetwas tun? Die rosarote Geisteshaltung kann durchaus motivierend und antreibend wirken, doch wie funktioniert der Sprung zu allen anderen Farben? Ich bin mir sicher, dass solche Sprünge möglich sind; es gab sicher schon viele Menschen, die auf diesem blau-grünen Planeten gewandelt sind.

Das große Dilemma ist wohl, dass die Unmöglichkeit im Vorteil ist: Sie ist nämlich möglich. Oft habe ich die Unmöglichkeit erlebt, also ist sie möglich. Die Möglichkeit hingegen kann nie unmöglich sein, weil sie immer nur möglich bleibt.
Vielleicht müssen wir einfach akzeptieren, dass von 8 Milliarden Spermien, wenn überhaupt, nur eins ans Ziel kommt.

Total
0
Shares
Vorheriger Artikel

Ich will

Nächster Artikel

Emotionale Gewalt - Folgen psychischer Verletzungen

Verwandte Artikel