Seit Februar dieses Jahres tobt in Europa ein verheerender Krieg – ohne Ende in Sicht. Der Ukraine-Krieg hält die Welt in Atem. Seine Auswirkungen haben sich unlängst in unserem Alltag bemerkbar gemacht: Hohe Inflationsraten, Preissteigerungen für Energie und Rohstoffe sowie Lieferengpässe für zahlreiche Güter gehören mittlerweile zur Tagesordnung. Laut Schätzungen kann man mit bis zu 100.000 Toten rechnen, hunderte Menschen werden vermisst. Doch der Krieg fordert nicht nur unmittelbar in der Ukraine zahlreiche Opfer. Laut dem Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen stürzte der Konflikt etwa 50 Millionen Menschen, davon mehr als 30 Millionen aus afrikanischen Ländern, zusätzlich in eine Hungersnot. Die Preise für Nahrungsmittel sind für viele Menschen mittlerweile unbezahlbar. Sie finden sich in einer nie dagewesenen globalen Hungerkrise wieder, die insbesondere durch die Folgen der COVID-19-Pandemie, anhaltende Dürren und den Klimawandel verschärft wurde.
Ukraine-Konflikt verschlimmert den Hunger
Über 400 Millionen Menschen auf der ganzen Welt sind auf Lebensmittel aus der Ukraine und Russland angewiesen. Dabei handelt es sich insbesondere um Menschen aus afrikanischen und asiatischen Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen.
Und obwohl genügend Getreide zum Export vorhanden wäre, verhindert der Krieg sowohl die Produktion als auch die Lieferung der Lebensmittel. Die direkten Folgen sind hohe Preissteigerungen, die für zahlreiche Menschen lebensbedrohliche Ausmaße annehmen und in den Hungertod führen könnten.
Eine Abwärtsspirale aus Krieg und Hunger
In der Ukraine warten ca. 25 Millionen Tonnen Getreide auf den Export in Länder, in denen sie dringend benötigt werden. Aufgrund der russischen Invasion und der Blockade von Häfen am Schwarzen Meer hingen diese insgesamt fünf Monate lang fest. Ende Juli wurde der Export von Getreide und anderen Agrarprodukten im Rahmen eines Abkommens geregelt und die Seeblockade vor Odessa aufgehoben. Bisher sind vier Frachter mit Getreide aus der Ukraine abgefahren. Das ist zwar ein kleiner Hoffnungsschimmer, allerdings wird die Versorgung nur langsam vorangehen, eine Nahrungsmittelkrise ist noch längst nicht abgewendet.
Genauso wenig werden die negativen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs jemals wieder rückläufig: Die hohen Lebensmittelpreise in den Staaten Afrikas werden nie wieder auf das Niveau sinken, das vor dem Krieg herrschte.
Laut Angaben der UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung decken die Getreideproduktionen der beiden kriegsführenden Länder ein Drittel des gesamten afrikanischen Bedarfs an Weizen. Fallen diese Ernten weg, beschleunigt das eine Hungerkrise rasant. Das Welternährungsprogramm rechnet damit, dass die Zahl der Hungerleidenden in diesem Jahr weltweit noch um bis zu 47 Millionen Menschen ansteigen wird.
Hunger als Waffe
Im Rahmen der aktuellen Entwicklungen wirft der Westen Putin vor, absichtlich Nahrungsmittelengpässe zu schaffen und den Hunger als Kriegswaffe zu missbrauchen, um Europa und die USA zur Beendigung der strengen Sanktionen zu bewegen.
Martin Rentsch, Sprecher des Welternährungsprogramms, fürchtet Unruhen und Aufstände. „Weil Hunger auch immer eine ganz große destabilisierende Wirkung hat und das ja auch politische Konsequenzen nach sich zieht. Wir wissen aus der Vergangenheit aus den Ländern Nordafrikas, wie das eben zu Konflikten führen kann und was sich die Welt momentan überhaupt nicht leisten kann, sind weitere Konflikte.“
Eine beispiellose Hungerkrise
Zahlreiche Länder weltweit sehen sich mit einer besorgniserregenden Anzahl von hungernden Einwohner*innen konfrontiert. Bis zu 828 Millionen Menschen müssen derzeit hungern, Tendenz steigend. Die globale Nahrungsmittelkrise hat mehrere Ursachen, die zum Teil miteinander einhergehen und die Ernährungssituation zunehmend verschlimmern. Der Ukraine-Krieg verstärkt diese dramatische Ausgangslage nur zusätzlich. „Kriege haben massive Auswirkungen auf das Ernährungssystem, weil etwa Felder niedergebrannt, Lagerbestände geplündert oder der Verkauf von Ernten eingeschränkt werden“, teilt die Welthungerhilfe in ihrem Bericht von 2021 mit.
Vom Hunger betroffen sind laut UNICEF große Teile Afrikas, zahlreiche Länder Südasiens wie Bangladesch, Nepal und Pakistan sowie die Krisenregionen Afghanistan und der Jemen.
Ukraine-Krieg als Brandbeschleuniger für Hunger in Afrika
Besonders viele Staaten Afrikas sind zurzeit am stärksten gefährdet, da sie zusätzlich zur Abhängigkeit von Getreideimporten auch unter Lebensmittelverlusten durch Dürre leiden. Die ostafrikanischen Staaten Somalia, Äthiopien, Kenia und der Südsudan sind derzeit am meisten vom Hunger aufgrund ausbleibender Importe betroffen. Aber auch in Staaten der Sahelzone, wie Mali, Tschad, Burkina Faso und Niger leidet ein Großteil der Bevölkerung unter großer Mangelernährung.
„Der Krieg gegen die Ukraine wirkt wie ein Brandbeschleuniger der bereits existierenden Krisen”, so Marlehn Thieme, die Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe. Sie bezeichnet die neuen Zahlen des Jahresberichts ihrer NGO als „Weckruf an die ganze Welt“.
Gefangen in der Abhängigkeit
Dabei hätten viele Staaten Afrikas großes Potenzial, sich selbst zu versorgen und nicht länger vom Rest der Welt abhängig zu sein. Es gibt jedoch zahlreiche Faktoren, die größere Agrarerträge in afrikanischen Gebieten erschweren und nahezu unmöglich machen. Dazu gehören Wassermangel, Verwüstung, extreme Wetterverhältnisse, fehlende technische Möglichkeiten, schlechte Handelswege und große Konkurrenz durch europäische Produkte. All diese Faktoren trieben afrikanische Märkte über Jahrzehnte hinweg in die Abhängigkeit.„Der Ukrainekonflikt, aber auch die Corona-Pandemie, haben gezeigt, dass unsere Lebensmittelsysteme für die Ärmsten nicht funktionieren”, stellt Sara Mbago-Bhunu von der UN-Organisation Internationaler Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) fest.
Das globale Ernährungssystem ist so konzipiert, dass sich Afrika aus dieser Abhängigkeit kaum befreien kann.
Sehr viele Länder versorgen sich selbst mit Getreide, Deutschland beispielsweise hat sogar einen Getreideüberschuss. Der Großteil des Getreides wird allerdings als Tierfutter für Schweine, Rinder und Hühner verwendet oder energetisch genutzt. In der gesamten EU wurden in den Jahren 2020 und 2021 nur 22 Prozent der insgesamt 260 Millionen Tonnen Getreide für den Verzehr bestimmt. Eine Begrenzung des Nutztierbestands würde nicht nur dem Klimawandel entgegenrücken, sondern auch das weltweite Hungerproblem verringern.
Hilfsorganisationen stoßen an ihre Grenzen
Einen wertvollen Beitrag zur Eindämmung von weltweiten Hungerkrisen leisten etwa die Welthungerhilfe und die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (WFP).
Angesichts der derzeitigen Situation werden aber auch diese internationalen Hilfsorganisationen vor große Hürden gestellt. Unterstützung kann häufig nicht rechtzeitig bereitgestellt werden, da die großen Gebernationen nicht so schnell finanzielle Hilfe leisten. Zudem haben die Waffenlieferungen für die Ukraine sehr viele Kosten verursacht. Von 1,5 Milliarden Dollar, welche die UNO für ihre Hilfeleistungen in Somalia benötigt, wurde erst weniger als ein Drittel bezahlt.
Ein positiver Lichtblick ist die Tatsache, dass beim diesjährigen G7-Gipfel in Elmau ein Bündnis für Ernährungssicherheit geschlossen und 4,5 Millionen US-Dollar dafür zugesichert wurden. Die Welthungerhilfe betont allerdings, dass in Zukunft weitere 14 Milliarden US-Dollar benötigt werden, um bis zum Jahr 2030 500 Millionen Menschen vor dem Hunger zu bewahren.
Titelbild: © Tucker Tangemann (unsplash)