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Der „Kunde ist König“ – eine Philosophie mit mehr Schaden als Nutzen

Diese Phrase haben wohl die meisten von uns schonmal gehört. König ist der Kunde, Königin ist die Kundin, da er oder sie die Person ist, der*die Cash in der Hosentasche hat. Und wir, als Anbietende von Dienstleistungen wollen dieses Geld haben. Doch warum hat sich eingebürgert, dass nur weil er*sie bei uns einkauft, wir uns alles gefallen lassen müssen? Warum ist es so normal, dass wir ihm*ihr als Abschluss des erfolgreichen Einkaufs noch gefühlt die Schuhe sauberlecken, damit er*sie garantiert wiederkommt? Ich möchte mit euch in das Konzept des „Kunde ist König“ eintauchen und euch dabei, als jemand der im Verkauf und im Tourismusbereich arbeitet, anhand persönlicher Beispiele erzählen, warum die Philosophie in meinen Augen ein Blödsinn ist und auch der Chef*innenetage nicht mehr Kohle einbringt.

Was ist überhaupt die Idee des Spruchs? Laut der Website fachwort24 (allein schon, weil Fachwort in der URL steht, musste ich diese Seite besuchen) ist die dahinterliegende Idee, die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden so gut wie nur möglich zu erfüllen, ihm diese am besten von den Augen abzulesen und idealerweise zu erfüllen, noch bevor diese der*dem Kund*in überhaupt selbst bewusst war. Der*die Kund*in steht immer an allererster Stelle, alle Beschwerden sind legitim und auch bei überaus unpassendem Verhalten ist man trotzdem stehts überaus freundlich. Er*sie ist König*in, wir nur die Untertan*innen, die stets brav zu folgen haben. Mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht versteht sich. Und das alles wegen Geld.

Ich sage nicht, dass alles Blödsinn ist. Die Grundidee der Haltung ist in meinen Augen auch gut und richtig. Bei meiner Arbeit zum Beispiel verkaufe ich ätherische Öle und Kräuterprodukte an viele Tourist*innen und ich berate sie dabei gerne so gut ich nur kann, bin freundlich und höflich. Auch bei, sagen wir, nicht so „intelligenten“ Fragen, wie ob man die Heilsalben essen kann, erkläre ich gerne, dass dies nicht die beste Idee ist. Dafür bin ich schlussendlich angestellt. Und ohne den Tourismus und die Menschen, die Geld hier ausgeben, könnte es den Betrieb nicht geben. Und so geht es vielen. Denken wir da nur an die Gastronomie und die Konsequenzen, die die Pandemie auf diesen Sektor hatte. Tourismus ist ein essenzieller Wirtschaftszweig und freundlich den Kund*innen gegenüber zu sein und diese gut zu behandeln, gehört dazu (wobei es manchmal schon erfrischend wäre, wenn wir das aussprechen könnten, was wir denken – beispielsweise, wenn ein Kunde sich seit gefühlten Stunden am Telefon beschwert, weil „die Salbe zu flüssig ist“ – er diese aber bei 30 Grad in der Sonne lagert).

Wir, die auf der anderen Seite der Theke stehen, sind dazu da, das Bedürfnis von Kund*innen zu erfüllen. Dafür wird man letzten Endes bezahlt. Eigene Probleme legt man so gut es geht beiseite – Kund*innen können ja schlussendlich in den meisten Fällen nichts dafür.

Wovon ich aber nicht so begeistert bin, ist, wenn sich Kund*innen wie Kaiser Napoleon aufführt. Oder wenn sie mit Scheuklappen durch den Laden schreiten und mich durch jede Kleinigkeit auf 180 bringen. Bevor er*sie selbst überlegt, wozu das Fläschchen gut sein soll, bevor selbstständig nachgelesen wird, was denn auf dem GROSSEN SCHILD DIREKT DARUNTER steht, oder das Produkt umgedreht und nachgeschaut wird, ob denn da eine Anwendungsbeschreibung steht, geht sofort der Mund auf: „Wofür ist das? Und das? Was ist denn das? Wieviel kostet das? Kann ich das essen? Ist das Seife?“ (während mit dem Finger auf eine Packung gezeigt wird, auf der groß Zirbelkieferseife steht).

Die Ignoranz von manchen Menschen beeindruckt mich immer wieder. Denn ganz egal wie groß das Schild ist, ein paar Leute würden es wahrscheinlich immer noch nicht mitkriegen. Oder absichtlich ignorieren

Der Gedanke, Käufer*innen über alles zu stellen, ist bis zu einem gewissen Grad gut nachvollziehbar. Vor allem zu einer Zeit, in der es wenig Tourismus und somit oft auch wenig Gäste gab, konnte man es sich einfach nicht leisten, Leute vor den Kopf zu stoßen, auch wenn ihr Verhalten oft unangemessen war. Da ist es manchmal ein schmaler Grat zwischen „die Mitarbeiter*innen schützen und sich diese bewahren (sie werden schlussendlich dafür bezahlt, Belastbarkeit ist da zu erwarten)“ und „den Wünschen des Gastes Folge zu leisten“.

Nur sollte man den Faktor Mitarbeiter*innen nicht unterschätzen. In unserem Betrieb gibt es neben den Kräuterprodukten auch eine Brennerei, wo ätherisches Öl aus Nadelhölzern destilliert wird. Diese kann man gratis besichtigen. Und wenn es nach der Chef*innenetage gehen sollte, dann sollte man jede Einzelperson darauf ansprechen, ihr das Angebot machen und am besten alles stehen und liegen lassen und diese Person durch die Anlage führen. Wenn man dies machen würde, dann würde man mindestens zehn Führungen pro Tag machen, jeweils mit einer Dauer von 15-30 Minuten, wenn diese vernünftig sein sollte. Und man redet im Wesentlichen immer das Gleiche. Und das fünf Tage die Woche. Für Monate. Da könnt ihr euch vielleicht vorstellen, wie man sich am Ende des Tages fühlt, vor allem nach ein paar Wochen. Die Lust auf das Arbeiten vergeht so extrem, dass automatisch auch die Qualität der Führung darunter leidet. Man hat gelinde gesagt einfach keinen Bock mehr. Und keine Nerven, oft scheinbar sinnlose Fragen zu beantworten, welche mit einem Hauch Hausverstand selbsterklärend wären. (Nein, die Arnika-Einreibung ist keine Seife, ansonsten würde Seife darauf stehen. Und nein, bitte auch nicht trinken, sie ist zum EINREIBEN gedacht. Hört ihr euch eigentlich selbst zu beim Reden?).

Und manchmal ist es schier unmöglich, die Bedürfnisse von Kund*innen zu befriedigen. Wenn sie diese selbst nicht kennen, dann kann ich, um ehrlich zu sein, auch nicht viel machen, außer zu erklären, was wofür verwendet werden kann. Oder wenn Leute zu mir kommen und mich wegen einer Führung ansprechen und während der Führung Kopfhörer in den Ohren haben. Oder ständig in der Gruppe miteinander reden. Oder mich am Ende der Führung fragen, wo denn nun der Schnaps zum Verkosten bleibt. Obwohl ich für 20 Minuten lang nur von ätherischem Öl geredet habe und gleich am Anfang gesagt habe, dass wir hier keinen Schnaps brennen. Anstatt planlos der Masse hinterherzulaufen, sich dem Personal gegenüber unhöflich zu benehmen und sich nach einer Dienstleistung zu erkundigen, nur weil einem langweilig ist, wäre es vielleicht sinnvoller, sich zuerst zu fragen: Interessiert mich das überhaupt? Brauche ich das Produkt überhaupt? Für was könnte das Wort Einreibung stehen? So würden sich beide Seiten viel Zeit sparen. Und nur weil etwas gratis ist, heißt das noch lange nicht, dass man sich benehmen kann als würde einem der Laden gehören. Und wenn man nicht interessiert ist, dann muss man die Führung auch nicht machen, nur um sagen zu können, dass man sie gemacht hat. Wozu haben wir denn unseren Kopf, wenn nicht zum (gelegentlichen) Nachdenken und eigenständigen Entscheidungen treffen?

Ich glaube, anhand der aufgezählten Beispiele, lässt sich ganz gut erkennen, warum es mit dem Konzept „der Kunde ist König“ einiges an Schwierigkeiten gibt. Die Grundidee ist gut, aber dabei bleibt es auch. Was bringt es einem Betrieb, die Mitarbeiter*innen den Kund*innen stets unterzuordnen, wenn das Personal dann keine Lust mehr auf das Arbeiten hat und am laufenden Band abspringt oder ausbrennt? Genauso wenig hat es für Kund*innen Mehrwert, dem Personal auf die Nerven zu gehen, indem sie sich aufspielen, wie König*innen und der Meinung sind, die Angestellten wären Untertan*innen. Ein freundliches Miteinander auf Augenhöhe, etwas Respekt für die Person hinter der Kassa, etwas Geduld vom Personal für die Leute, die im „Urlaubsmodus“ sind und deshalb tendenziell etwas weniger ausgereifte Fragen stellen und vor allem: etwas Empathie von Seiten der Kund*innen für Angestellte, da diese ihren Job möglicherweise schon seit sieben Stunden am Stück machen und deshalb nicht mehr zu 100% leistungsfähig sind wie am Anfang der Schicht. So könnte der Käufer oder die Käuferin und auch der Verkäufer oder die Verkäuferin mit einem besseren Gefühl nach Hause gehen. Was dann wiederum auch der Chef*innenetage zugutekommt. Klingt doch gar nicht mal so schwierig, oder?

Titelbild: @europeana (unsplash.com)

Ein Kommentar von: Alex Bonzi

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