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Die Suche

In der Volksschule in einem kleinen Ort war alles still, jetzt noch. Bald würde sich das ändern. Dann war ein weiterer Schultag zu Ende. In diesem Moment klingelte die Schulglocke und Kinder strömten auf die Gänge der Volksschule hinaus. Unter ihnen auch die siebenjährige Emma, die seit ein paar Wochen in die erste Klasse ging. Mit den anderen Kindern ging sie nach draußen, dort verabschiedete sie sich von ihrer Klasse.

Auf dem Weg nach Hause war Emma sehr still. Sie dachte über das Gespräch nach, das die Lehrerin heute mit ihrer Klasse geführt hatte. Die Lehrerin hatte sie gefragt, was der Meinung der Kinder nach die wichtigsten Werte waren. Viele Kinder hatten sofort eine Antwort darauf gehabt, nur Emma nicht. Sie war sich nicht sicher, ob es darauf überhaupt eine eindeutige Antwort gab und beschloss ihre Mutter zu fragen.

Als Emma nach Hause kam stand ihre Mutter in der Küche und kochte. „Hallo, Mama.“ „Hallo, Emma.“, lächelte die Mutter sie an. „Das Essen ist gleich fertig. Du kannst dir schon mal die Hände waschen.“ „Okay.“, erwiderte Emma, ging in das Badezimmer und tat was ihre Mutter gesagt hatte. Dann setzte sie sich an den Esstisch. „Mama?“, fragte Emma schließlich. „Die Lehrerin hat heute mit uns über die wichtigsten Werte im Leben geredet. Die anderen konnten sofort welche nennen, nur ich nicht. Hast du eine Antwort darauf?“ Ihre Mutter überlegte kurz. „Nein.“, sagte sie dann ganz ehrlich zu Emma und stellte einen Topf auf den Untersetzer am Esstisch. Sie nahm den Teller ihrer Tochter und befüllte ihn mit Emmas Lieblingsgericht, Nudeln mit Tomatensoße. Emma und ihre Mutter fingen an zu essen. Nach dem Essen half sie ihrer Mutter das Geschirr zurück in die Küche zu tragen. Emma stellte sich auf einen Schemel und drehte den Wasserhahn auf. Dann griff sie nach einem Teller und fing an abzuspülen, so gut es eine Siebenjährige nun eben konnte. Ihre Mutter sah sie einen Augenblick lang schweigend an. „Du bist sehr hilfsbereit, Emma.“ Emma wandte sich zu ihrer Mutter um. „Ist das ein sehr wichtiger Wert, Mama?“ „Ja. Ja, ich denke schon.“, antwortete ihre Mutter.

Später zogen sich Emma und ihre Mutter die Schuhe an. Sie wollten einkaufen gehen. Da es ein warmer Tag war, brauchten sie keine Jacke. Emma und ihre Mutter verließen das Haus. Das Geschäft war nur ein paar Meter entfernt. Deswegen beschloss ihre Mutter, dass sie zu Fuß gehen würden.

Sie waren erst ein paar Schritte gegangen, als Emma eine kleine Raupe mitten auf dem Weg entdeckte. „Mama, bitte warte kurz.“, bat Emma. Von einem nahegelegenen Baum, der sich auf einer Wiese befand, zupfte sie vorsichtig ein Blatt. Emma ging neben der kleinen Raupe in die Hocke und versuchte, diese auf das Blatt zu locken. Das war gar nicht so einfach, fand sie. Doch schließlich gelang es ihr. Sie trug das Blatt mit der Raupe so behutsam wie möglich zu der Wiese zurück und legte es vorsichtig ab. Dann ging Emma zurück. Ihre Mutter sah sie einen Moment lang an. „Ich glaube, dass du soeben einen weiteren Wert entdeckt hast.“, sagte ihre Mutter nachdenklich. „Welchen denn?“, fragte Emma neugierig. „Achtsamkeit.“, erklärte ihre Mutter. „So viele Menschen sind an diesem Lebewesen vorbeigegangen, ohne daran zu denken, der Raupe zu helfen. Dir hingegen, Emma, ist die Raupe aufgefallen und du hast gehandelt, indem du sie in Sicherheit gebracht hast.“ Sie lächelte ihre Mutter an. „Dann haben wir schon zwei Werte entdeckt, Mama.“ Dann setzten Emma und ihre Mutter ihren Weg zum Geschäft fort.

Kurz vor dem Geschäft kam ihnen ein Mann mit einem augenscheinlich sehr jungen Hund entgegen. Als der Hund Emma sah, lief er zu ihr. Der Mann folgte seinem Hund. „Du kannst ihn ruhig streicheln.“, sagte der Mann zu Emma. „Danke.“, sagte Emma erfreut und streichelte den kleinen Hund. „Wie alt ist er denn?“, fragte die Mutter. „Erst ein paar Monate alt.“, erteilte der Mann Auskunft. Währenddessen schleckte der Hund Emma zärtlich über die Hand. „Wie heißt er denn?“, fragte Emma neugierig. „Snoopy.“, antwortete der Mann. Emma streichelte Snoopy noch einmal. Sie war begeistert von dem jungen Hund und man konnte diesem ansehen, dass es ihm mit Emma ähnlich ging. „Emma, kommst du?“ „Ja, Mama.“, antwortete sie. „Tschüss, Snoopy.“ Emma und ihre Mutter verabschiedeten sich von dem Mann und gingen weiter. „Was meinst du, Emma? Hast du vielleicht soeben einen neuen Wert entdeckt?“ Emma blieb stehen und sah ihre Mutter mit großen Augen an. „Einen neuen Wert?“ „Freundschaft.“, war die Antwort der Mutter. „In Snoopy hast du einen neuen Freund gefunden.“

Im Geschäft kaufte Emmas Mutter alles ein, was auf ihrem Einkaufszettel stand. Emma blieb bei ihrer Mutter, bis sie bemerkte, dass eine alte Frau Hilfe brauchte. Die alte Frau versuchte die Milch im untersten Regal zu erreichen, doch sie hatte offenbar mit ihren Rücken Probleme und konnte sich deswegen nicht sehr gut bücken. „Mama, ich komme gleich wieder.“, sagte Emma und ging zu der alten Frau. „Entschuldigen Sie, kann ich Ihnen helfen?“ Die alte Frau blickte auf. „Danke“, erwiderte diese erfreut. Emma griff nach der Milch und reichte sie der alten Frau, die sie in ihren Einkaufskorb legte. „Danke.“, wiederholte die alte Frau. „Sehr gerne.“, antwortete Emma und kehrte zu ihrer Mutter zurück. Ihre Mutter hatte mitangesehen wie Emma der alten Frau geholfen hatte. Sie war unglaublich stolz auf ihre hilfsbereite Tochter, die sah, wo sie gebraucht wurde. Ein weiterer wichtiger Wert, fand die Mutter. Nun hatten Emma und ihre Mutter schon vier wichtige Werte gefunden: Hilfsbereitschaft, Achtsamkeit, Freundschaft und Umsicht.

Emmas Mutter beendete den Einkauf. Sie ging zur Kassa, um für die Lebensmittel zu zahlen. Der Kassier gab Emma einen Lolli mit Cola-Geschmack, Emmas Lieblingssorte. „Danke.“, sagte Emma begeistert. Dann verließen Emma und ihre Mutter das Geschäft. Davor saß ein Bettler. Mutter und Tochter blieben stehen. Emmas Mutter zückte die Geldbörse und nahm ein paar Münzen heraus, die sie Emma in die Hand drückte. Sie ging zu dem Mann, der vor sich eine Mütze liegen hatte, in der schon ein bisschen Kleingeld vorhanden war. Sie warf die Münzen in die Mütze. Dankbar lächelte der arme Mann Emma und ihre Mutter an. Sie waren erst ein paar Schritte gegangen als Emma stehen blieb. „Mama?“, fragte Emma. „Ja, mein Schatz?“ „Wir haben dem Mann vorhin etwas Geld gegeben. Könnte das nicht auch ein wichtiger Wert sein?“ Emmas Mutter überlegte kurz. „Ja. Du hast Recht, Emma.“, erwiderte die Mutter. „Der Wert, den du gefunden hast, ist die Nächstenliebe.“ Emma freute sich darüber zusammen mit ihrer Mutter noch einen wichtigen Wert gefunden zu haben.

Zu Hause angekommen erledigte Emma ihre Hausaufgaben. Es gab kein Fach in der Schule, das sie nicht mochte. Ihre Eltern freuten sich über die Begeisterung ihrer Tochter und hofften, dass diese noch lang anhielt. Während Emma ihre Hausaufgaben schließlich fertigstellte, kochte Emmas Mutter das Abendessen. Jede Minute würde Emmas Vater aus dem Büro zurückkommen. Wie immer freute sie sich schon auf seine Rückkehr und lief in den Flur, als sie hörte wie sich der Schlüssel im Schloss drehte. „Hallo, Papa.“ Sie fiel ihrem Vater in die Arme. „Hallo, Emma.“ Zuerst fiel Emma nicht auf, dass das Lächeln ihres Vaters müde wirkte. Sie gingen in die Küche, wo ihr Vater seine Frau küsste. „Alles okay?“, fragte Emmas Mutter. Jetzt fiel der Zustand ihres Vaters auch Emma auf. „Es war nur etwas stressig.“, antwortete Emmas Vater. Emma ging zur Spüle und füllte das Glas, das daneben stand, mit Wasser. Dieses stellte sie vor ihren Vater. „Danke, Emma.“ „Du bist so aufmerksam, Emma.“ Der Blick ihrer Mutter traf den Emmas, beide lächelten. „Da haben wir wohl noch einen wichtigen Wert gefunden.“, sagte Emmas Mutter. Als der Vater die beiden verwirrt ansah, erklärte seine Tochter, dass sie wichtige Werten gesucht und auch welche gefunden hatten.

Als Emma im Bett lag, zog der Tag noch einmal vor ihrem inneren Auge vorbei. Zusammen mit ihrer Mutter erklärte sie ihrem Vater welche wichtigen Werte sie gefunden hatten. Ihr Vater hörte aufmerksam zu und fragte schließlich: „Und was glaubst du jetzt was ein wichtiger Wert ist?“ Emma musste nicht lang darüber nachdenken. „Irgendwie sind doch alle Werte gleich wichtig, oder?“ Ihre Eltern sahen sich an, ehe sie auf ihre Tochter blickten die, nach diesem aufregenden Tag eingeschlafen war.

(c) Beitragsbild: pixabay

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